Die Nachricht hat es in sich, auch für die Schweizer Pharmaindustrie: Die US-Regierung will den Patentschutz für Covid-19-Vakzine aussetzen, zumindest temporär. Und auch die EU prüft nach den Worten von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen solch einen Schritt. Damit steht ein gefährlicher Präzedenzfall an. Die Entwicklung neuer Therapie kostet mittlerweile ein bis zwei Milliarden. Das ist ohne einen wasserdichten Patentschutz für privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen nicht zu machen.
Biden und Von der Leyen rütteln damit just an dem Gerüst, das die bahnbrechenden Innovationen, welche den Weg aus der Pandemie eröffnen, erst ermöglicht hat: Es ist die Garantie an die Unternehmen, die kommerziellen Früchte ihrer Erfindungen zumindest über einen bestimmten Zeitraum exklusiv nutzen zu können.
Die Politiker rechtfertigen ihren Entscheid mit der Notwendigkeit, die Covid-19-Impfstoffe möglichst schnell möglichst vielen Menschen zur Verfügung zu stellen. Diesen Anspruch kann man nur unterstützen; nicht nur, weil es ist ein Gebot der Menschlichkeit ist, auch die ärmeren Länder möglichst schnell mit Impfstoffen zu versorgen. Sondern auch, weil jeder weitere unkontrollierte Covid-19-Ausbruch die Gefahr birgt, dass weitere, womöglich noch gefährlichere Varianten des Coronavirus entstehen. Womit die Bekämpfung der Pandemie als Ganzes in Frage gestellt würde.
«Dass zu wenig Impfstoff zur Verfügung steht, liegt nicht daran, dass das geistige Eigentum geschützt ist.»
Nur: Es ist billig, den Patentschutz für den Impfstoffmangel verantwortlich zu machen. Dass zu wenig Impfstoff zur Verfügung steht, liegt nicht daran, dass das geistige Eigentum geschützt ist. Das Nadelöhr ist vielmehr die Produktion. Es fehlt an Produktionskapazitäten, weil die Regierungen – allen voran die europäischen – im vergangenen Jahr zu wenig und zu spät in die Impfstoffentwicklung und in den Aufbau der Produktion investiert haben.
Zudem: Gerade die Produktion besonders effizienten mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech erfordern hochstehende Anlagen und bestens qualifiziertes Personal. Das kann nicht jeder. Es gibt einen Grund, warum Moderna bei Lonza, einem weltweit führenden Pharmazulieferer, produzieren lässt.
Warum Sonderrechte für Covid-19?
Der historische Tabubruch beim Patentschutz hat der US-Administration aber Applaus eingebracht. Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, bezeichnete den Entscheid gegenüber der «Financial Times» als «monumentalen Moment».
Was dabei untergeht: In den Entwicklungsländern ist Corona, anders als bei uns, nüchtern betrachtet, nur eine Gesundheitskrise von vielen. Es ist nicht einzusehen, warum für Covid-19 andere Regeln gelten sollten als zum Beispiel für Hepatitis C – eine Infektionskrankheit, die jährlich mehr als 70 Millionen Menschen betrifft. Wobei viele, gerade in Entwicklungsländern, nicht einmal wissen, dass sie infiziert sind.
Die Versorgung armer Länder mit Medizinalgütern muss verbessert werden, kein Zweifel. Und die reichen Länder haben dabei sehr wohl eine entscheidende Rolle zu spielen.
Den Patentschutz zu lockern und damit die Innovationskraft einer ganzen Industrie aufs Spiel zu setzen, ist dafür aber der falsche Weg.
1 Kommentar
Einen Tunnelblick durch einen anderen zu ersetzen, ist vielleicht nicht die geeignetste Herangehensweise, um komplexe gesundheits- und sozialpolitische Fragen anzugehen.
Ein solches Gejammer ist sicher von einer direkt interessierten Pharmafirma zu erwarten; aber nicht von einer umsichtigen Stellungnahme, wie ich sie hier eher gewohnt bin.
Es bleibt dabei beispielsweise unbeachtet,
- dass der Patentschutz in der heutigen (pharmagetriebenen) Praxis auch schlimme Nebenwirkungen hat - insbesondere gegenüber (oft günstigen - heisst wenig lukrativen) traditionellen Heilmethoden schulischer wie vor allem alternativer Provenienz.
- dass bezüglich COVID in diesen eineinhalb Jahren praktisch nur in Impfungen zur Bekämpfung der sogenannten (in vielen Aspekten äusserst fragwürdigen) Pandemie investiert wurde;
- nicht aber in die Entwicklung von Behandlungsmethoden der Krankheit, was menschlicher und wesentlich effizienter für die Betroffenen wäre
- auch nicht für echte Prävention im Sinne der Stärkung unserer Immunsysteme und allgemeine Gesundheitsvorsorge
- dass diese eingleisige Entwicklungspolitik zugunsten von rein gewinnorientierten Firmen zusätzlich geschützt wurde durch ihre Entlastung von Folgekosten durch zu erwartende Forderungen wegen unliebsamer Nebenwirkungen
- dass
... wie gesagt Tunnelblick - der in den vergangenen Monaten systematisch eingeübt wurde - nicht auf dem Niveau ernstzunehmender Auseinandersetzung und Berichterstattung.