Diese 48 Seiten haben es in sich: Minutiös leuchtet Bundesrichterin Alexia Heine, die das Disziplinarverfahren gegen Michael Lauber leitete, die Erinnerungslücken und Inkompetenzen des Bundesanwalts aus.
Im Fokus stehen jene nicht-protokollierten, informellen Treffen des Bundesanwalts mit FIFA-Präsident Gianni Infantino et al. Besonderen Raum nimmt dabei das ominöse dritte Treffen vom 16. Juni 2017 im Hotel Schweizerhof in Bern ein.
Dazu muss man wissen, dass Lauber bloss ein Jahr und vier Monate später gegenüber der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft AB-BA zu den informellen FIFA-Treffen Auskunft gibt, von denen zum damaligen Zeitpunkt nur deren zwei bekannt waren. Auf die Frage, ob es weitere solche Meetings gab, antwortet Lauber: «Nein. Nie auf Stufe Bundesanwalt. (…). Abgesehen von diesen beiden informellen Gesprächen sind die Verfahrenshandlungen dokumentiert in den entsprechenden Dossiers.»
Wo Konsumation, da Person
Dabei hatte es Hinweise auf ein drittes Treffen gegeben: Die Bundesanwaltschaft hatte für jenen Tag einen Raum im Luxushotel beim Bahnhof Bern gebucht – aber weiterhin blieb die Möglichkeit offen, dass der Raum doch nicht genutzt wurde. Ein Indiz besagt nun aber, dass dieses dritte Treffen mit FIFA-Präsident Infantino tatsächlich stattfand. Denn am Ende stellte der Hotelbetrieb eine Rechnung aus: «fünf Snacks zu sechs Franken». Die Zwischenverpflegung war später der Kostenstelle des Bundesanwalts belastet worden. Die Rechnung umfasste damit mehr als nur die blosse Raumpauschale, welche Mineralwasser, Softgetränke und Nespresso-Kaffee miteinschliesst.
«Dass explizit fünf Snacks abgerechnet worden sind, zeigt, dass vor Ort am 16. Juni 2017 Konsumationen getätigt wurden. Wenn Konsumationen (und zwar fünf Snacks zu CHF 6.00) getätigt werden, müssen auch Personen vor Ort gewesen sein…», folgert AB-BA-Frau Heine.
Wer ist die fünfte Person beim Schweizerhof-Meeting?
Anwesend waren mutmasslicherweise Bundesanwalt Lauber, sein Kommunikationschef André Marty, FIFA-Präsident Infantino und dessen Schulfreund, der Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold – sowie eine fünfte Person, die in Laubers Agenda mit Kürzel vermerkt worden sei. Dessen Name aber wurde in der öffentlichen Version des AB-BA-Berichts geschwärzt. Wer also ist diese fünfte Person?
Wie auch immer: Obwohl im «Meeting Room III» im 1. Stock des Hotels Schweizerhofs gegessen und getrunken wurde – und obwohl das Gegenüber des Bundesanwalts nicht irgendwer war, sondern Fifa-Präsident Gianni Infantino –, vermochten sich weder Michael Lauber noch sein Kommunikationschef André Marty an das unprotokollierte Meeting erinnern.
Das Treffen mit dem «grossen Player» Gianni Infantino sei für ihn nicht derart besonders, wie es gegen aussen wirken könnte, sagt Lauber bei einer späteren Befragung gegenüber der AB-BA: Die Erinnerung verschwimme auch mit anderen wichtigen Personen im Laufe der Zeit. Seit Amtsantritt vergesse er angesichts der schieren Menge mehr und mehr die Details im courant normal, so Lauber. Dieses Vergessen schätze er als normal ein.
Als «unglaubhaft» taxiert dagegen der AB-BA-Bericht Laubers Gedächtnislücken.
«Es wäre gerade am Bundesanwalt, die Sensitivität solcher Treffen zu erkennen und angemessene Massnahmen zu ergreifen.»
Auch wurde der Bundesanwalt dazu befragt, weshalb er den Fifa-Boss nicht einfach in Räumlichkeiten der Bundesanwaltschaft zum Gespräch getroffen habe statt in einem zentralen Berner Fünf-Sterne-Hotel: Man habe vermeiden wollen, dass Gianni Infantino erkannt werde, weil das zu Spekulationen Anlass geben könne. Deshalb habe man sich für das bahnhofsnahe Hotel Schweizerhof entschieden. Diese Ausführungen seien unglaubhaft und in Teilen faktenwidrig, steht im AB-BA-Bericht: «Die Wahrscheinlichkeit, dass der weltweit bekannte Gianni Infantino und der mindestens schweizweit bekannte Bundesanwalt erkannt werden, wenn sie das von Touristen, Geschäftsleuten und öffentlichen Funktionsträgern stark frequentierte Hotel betreten, um zu einem Sitzungszimmer zu gelangen, ist erheblich.» Ganz im Gegensatz zum Einvernahmezentrum der Bundesanwaltschaft an der Brückenstrasse 50 in Bern, wo ein diskreter Zugang problemlos möglich sei.
«Sensitivität solcher Treffen zu erkennen»
So gelangt der AB-BA-Bericht zum wenig schmeichelhaften Fazit, dass es Lauber an Fingerspitzengefühl mangle: «Es wäre gerade am Bundesanwalt, die Sensitivität solcher Treffen zu erkennen und angemessene Massnahmen zu ergreifen, diesen den Odor des Ungesetzlichen zu nehmen. »
Der Bericht zum Disziplinarverfahren legt aber noch weitere Laubersche Unzulänglichkeiten frei: Und zwar im Handling des gigantischen FIFA-Verfahrens. So wurde Lauber nicht müde öffentlich zu betonen, wie gigantisch die Datenmengen seien, welche die Bundesanwaltschaft im Verfahren zu bewältigen habe: 25 Kilometer Dokumentenlänge, 9 und später 11 Terabyte. Man ertrinke gleichsam in der Datenmenge. Die AB-BA rügt, es sei schon 2015 absehbar gewesen, dass die Ressourcen der Bundesanwaltschaft dafür nicht ausreichen würden. Und so erklärte Lauber den FIFA-Fall denn auch zur Chefsache («enge Begleitung aus übergeordneter Sicht») samt persönlichen Engagement («I will act accordingly»).
Doch es blieb bei medienwirksamen Lippenbekundungen, wie die AB-BA nun enthüllt: «Tatsache ist, dass er sich um keine konkrete Problematik selbst gekümmert hat, ja nicht einmal wusste, was seine Ausschüsse tun, andererseits.» Damit habe Lauber seine Amtspflichten verletzt.
Gegen den Entscheid der AB-BA kann der Bundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erheben.