Magdalena Martullo-Blocher hat alles versucht, um prominente Firmenchefs in den Kampf gegen die Vormacht des Völkerrechts einzuspannen. Genützt hat's wenig: Im siebzigköpfigen «Unternehmerkomitee» für die Selbstbestimmungsinitiative ist die Ems-Chefin selber der bekannteste Kopf.
Auch sonst glänzen in diesem Gremium vor allem SVP-Politikerinnen und -Politiker sowie Angehörige, die einen Betrieb führen: Stefan und Benjamin Giezendanner, die Söhne von SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner. Rahel Blocher. Oder Apotheken-Besitzerin Silvia Brand-Ciocco, Gattin von SVP-Nationalrat Heinz Brand. Immerhin macht auch Konrad Hummler mit. Der ehemalige Privatbankier (Wegelin) ist die Ausnahme, welche die Regel bestätigt.
Die selbst ernannte Wirtschaftspartei, sie spürt derzeit wenig Rückhalt in der Wirtschaft. In der Selbstbestimmungsinitiative bricht die Entfremdung deutlich hervor. Einstimmig votierte der Vorstandsausschuss von Economiesuisse gegen den SVP-Plan. In ähnlicher Deutlichkeit gab auch der Gewerbeverband der Volkspartei einen Korb. Dass sein Präsident, der SVP-Nationalrat Jean-François Rime, im Initiativkomitee sitzt, bekehrte die Gewerbler nicht.
Gegner, nicht Alliierte
Die Zerrüttung zeigt sich aber auch im gehässigen Ton, der dieser Tage zwischen den Wirtschaftsverbänden und der Volkspartei herrscht. Als «Verbandsbürokraten» kanzelt Martullo-Blocher die Economiesuisse-Führung ab, als «unfähig» Fraktionschef Thomas Aeschi. Economiesuisse, das ist aus Sicht der wählerstärksten Partei eine von Grosskonzernen dominierte Organisation, in der ausländische Manager das Sagen hätten, die das Schweizer System nicht kennen.
«Inakzeptabel» sei diese Verunglimpfung der Wirtschaft, kontert derweil Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl – und schaltet selber auf Angriff: «Die SVP positioniert sich so, dass sie Probleme bewirtschaftet, aber es fehlt die Bereitschaft, gemeinsame Lösungen zu suchen.» So sprechen keine Alliierten übereinander, sondern Gegner.
Einst machten Blochers Erfolge Eindruck
«Die SVP war eigentlich nie wirklich eine Wirtschaftspartei», sagt Michael Hermann, der Chef der Politforschungsstelle Sotomo. Erst um die Jahrhundertwende gelang es Christoph Blocher, seine aufstrebende Partei mit Finanz- und Wirtschaftsthemen zu profilieren – der Unternehmer nutzte damit die Vertrauenskrise aus, in die die FDP zwischen Swissair-Grounding und Finanzkrise geraten war. «Blochers Erfolge machten in Wirtschaftskreisen mächtig Eindruck.»
Laut Hermann schlägt das Pendel nun zurück. «Ich stelle eine gewisse Versöhnung der Wirtschaft mit der FDP fest.» Die Liberalen sind wieder stärker – also auch ein stärkerer Partner – und die Unternehmen rückten Auslandsbeziehungen wieder mehr in den Vordergrund; fast wie in den 1990er Jahren, als die SVP noch als schwarzes Schaf in der bürgerlichen Herde galt. In der ganzen Zeit waren die Wähler der SVP jedoch nie besonders wirtschaftsnah, sondern vor allem an der Begrenzung der Zuwanderung interessiert.
Damit müssen sich SVP-Politik und Exportindustrie zwangsläufig aneinander reiben. Die Unternehmen sind auf den Zugang zu fremden Märkten, auf Berechenbarkeit und Rechtssicherheit angewiesen. Die Volkspartei jedoch stellt die nationale Unabhängigkeit vor internationale Wertschöpfungsketten, die direkte Demokratie vor internationale Vertragswerke. Und wenn es um Wilhelm-Tell-Werte geht, meint sie es bitter ernst.
Mal gut, mal entscheidend schlecht
So riskiert sie mit ihrer jüngst eingereichten Begrenzungsinitiative den Wegfall aller sieben Abkommen der Bilateralen 1. «Eine Annahme der SVP-Initiativen würde der Exportindustrie massiven Schaden zufügen», sagt der Swissmem-Präsident Hans Hess. In diversen Geschäften funktioniere die Zusammenarbeit mit der SVP zwar gut. «In der Europapolitik jedoch arbeitet die Partei frontal gegen die Interessen der Exportwirtschaft.» Zu den Reibflächen Zuwanderung und Europa kommt inzwischen auch die Steuerpolitik hinzu.
«Wir konnten bisher stets darauf zählen, dass die SVP ein verlässlicher Partner in der Steuer- und Sozialpolitik ist», sagt Valentin Vogt, der Präsident des Arbeitgeberverbands. «Seit sich die SVP nun aber gegen das mit der AHV verknüpfte Steuerpaket stellt, hat die Partei an Berechenbarkeit eingebüsst.»
Economiesuisse urteilt ähnlich: Mit der Ablehnung des Steuerpakets würden sich nun auch Differenzen in einem Feld ergeben, in dem man sich mit der SVP bislang einig gewesen sei. «Das ist für uns eine neue Situation», sagt Monika Rühl.
Die neue Situation, sie ist eigentlich eine uralte. Denn je weiter sich die SVP von der grossen Exportwirtschaft entfernt, desto mehr kehrt sie zu ihren Ursprüngen zurück. Begonnen hat die SVP vor hundert Jahren als Bauern- und Gewerbepartei. Im Grunde ist sie das geblieben.
Wie steht die SVP zu den zentralen Bereichen der Wirtschaftspolitik? Der grosse Check:
Steuern sind für die SVP eher ein Problem als eine Lösung – und folglich liebäugelt die Partei stets mit tieferen Steuern. Bei der Steuervorlage 17 sorgte sie denn auch zuerst für eine wirtschaftsfreundlichere Ausgestaltung. Am Schluss entzog sie der Vorlage aber die Unterstützung, weil sie mit einer AHV-Finanzspritze verknüpft wurde. Die Steuerreform könnte nun auch im zweiten Anlauf scheitern – den Unternehmen drohten dann Sanktionen aus dem Ausland.
Als starke Bremse gegen die Ausgaben-Lust der Politiker erachtet die Volkspartei das Volk. So hat sie mehrere Vorstösse eingereicht mit dem Ziel, ein fakultatives Finanzreferendum einzuführen, was die Vetomacht des Volkes stärken würde. Bei der Unternehmenssteuerreform III zeigte sich aber auch das Dilemma: Die Parteispitze gab die Ja-Parole aus, sie erachtete die Erleichterungen für die Unternehmen als genügend – dennoch lehnte eine Mehrheit ihrer eigenen Wähler das Paket ab. Ein weiterer Hebel zur Mässigung des Staates ist die Schuldenbremse. In Vorstössen will die Partei festzurren, dass die Schuldenbremse keinesfalls aufgeweicht werden kann und dass der Bundesrat die gebundenen Ausgaben senkt. Denn je weniger gebundene Ausgaben es gibt, desto eher lässt sich irgendwo das Messer ansetzen. Das Fernziel der SVP ist dabei ein schlankerer Staat.
Natürlich könnte man einfach sagen: Die SVP bremst bei Personenfreizügigkeit und beim EU-Rahmenabkommen, sie bedroht das Verhältnis zur EU ganz fundamental – ergo ist sie ein Problem für den helvetischen Aussenhandel. Und tatsächlich liegt das EU-Dossier wie ein Schatten über der gesamten Wirtschaftspolitik der Partei. Trotzdem: Die Aussenhandelspolitik der SVP ist differenzierter. Zum Beispiel war es Magdalena Martullo-Blocher, die entschlossen darauf drängte, ein Freihandelsabkommen mit den USA wieder möglich zu machen. Die Heimatpartei SVP hat auch einen Globalisierungs-Spin: Sie sieht eine Stärke des Landes darin, dass es weltweit konkurrenzfähig sein kann; Hindernisse im Europahandel müssten einfach andernorts kompensiert werden.
Dazu passt, dass die SVP ein eher lockeres Verhältnis zu Waffenexporten hat. Und auch bei der Zuwanderung ist sie nicht immer ideologisch fixiert, wenns der Wettbewerbsfähigkeit dient: Die Erhöhungen der Drittstaatenkontingente liess sie in den letzten Jahren jeweils ohne Protest durchgehen. Zu zwei Gesetzesanpassungen, die eine viel raschere und effiziente Einfuhr von Medtech-Geräten und Heilmitteln ermöglichen wollten, sagte die Partei jüngst njet: Denn die automatisierte Übernahme von EU-Recht war ihr ein Dorn im Auge.
Grundsätzlich ist die SVP ja eine wirtschaftsliberale Partei. Entsprechend wehrt sie sich fast schon reflexartig gegen jegliche Regelung, welche das Verhältnis von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden fixiert, etwa via Mindestlöhne, Kündigungsfristen, Arbeits- und Ferienzeiten. Ergo engagierte sich die SVP auch gegen weitere Massnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit – mit dem Argument, hier drohe den Firmen ein neuer Papierkrieg, zugleich würden mehr Überwachungsbeamte benötigt. Dazu passt auch, dass ihr bereits Gesamtarbeitsverträge suspekt sind und ihr die flankierenden Massnahmen als Ärgernis erscheinen («ein umfassendes Konstrukt an staatlicher Überwachung»). Trotzdem: Dass die SVP das Anliegen vieler Unternehmen nach lockerer Personenfreizügigkeit wuchtig bekämpft – aktuell mit der Begrenzungsinitiative –, dies belegt auch eine Entfremdung zwischen Volkspartei und Wirtschaft.
Ein Grundverdacht der Partei: Die Chefs machen es sich zu einfach. Sie holen Ausländer und pflanzen sie auf Stellen, für die sich problemlos gute Leute im Inland finden liessen. Anders formuliert: Für die SVP löst Einwanderung die Engpässe im Arbeitsmarkt nur oberflächlich, die Probleme wurzeln andernorts. Wenn es etwa an Fachkräften fehlt, dann weil die Schweiz selber zu wenig Lernende ausbildet. Also müsse hier angesetzt werden.
Die SVP ist verwaltungskritisch und unternehmerfreundlich? Gewiss, dieses Image hat Grund. Doch ganz eindeutig ist das Bild nicht. Sobald es um den Service public geht, zeigt die Partei ein erhebliches Vertrauen in den Staat. Beim Fernmeldegesetz wandte sie sich dagegen, dass der Swisscom günstigere Durchleitungspreise aufgezwungen würden. Anderseits engagierte sie sich dafür, dass die Post weiterhin ein dichtes Filialnetz betreibt, also gegen die Idee, dass der Staatsbetrieb mehr Standorte schliesst und damit das Angebot in gewissen Regionen etwas stärker dem Markt überlässt.
Die Beispiele illustrieren schön, dass sich die SVP bei Fragen von Infrastruktur und Grundversorgung eher an der Lebenswelt ihrer Wählerschaft orientiert als an Ideologien oder Effizienzdoktrinen; auch ihre Landwirtschaftspolitik liesse sich so erklären. Wo es ihre Basis wünscht, kämpft die Partei lieber für alte Strukturen; wo nicht, da weniger: Folglich konnten die urbanen SRG-Medienleute nicht erwarten, dass sich die SVP bei «No Billag» ebenfalls traditionstreu gibt: Hier setzte es die Ja-Parole – gegen die alteingesessene SRG. Durchgreifen tut die SVP auch, wenn Staatsbetriebe das heimische Gewerbe konkurrenzieren. Fortan soll der Bund seinen Unternehmen vorschreiben, in welchen Märkten sie tätig sein dürfen – und in welchen nicht.
Geschlechterquoten? Unnötig. Konzernverantwortung? Ist Konzernsache. Tabakwerbung? Muss möglich sein. Staatliche Regulierung? Sie mag manchmal nötig werden, aber dann darf sie nicht die Wettbewerbsfähigkeit schmälern. In solchen Einstellungen zeigt sich der klassische Wirtschafts-Freisinn der SVP. Wenn es um die Detailregulierung der Wirtschaft geht, gilt die alte Ruedi-Minger-Parole: Keine Bevormundung durch Bern. Aktuell manifestiert sich die Finger-weg-Haltung beim geplanten Mediengesetz: Auch hier tritt die SVP auf die Bremse. Die Idee, dass der Bund Online-Angebote finanziell unterstützt und hier Leistungsaufträge vergibt, ist für die Partei bereits ein erster Schritt hin zu Regulierung und Verstaatlichung.
Erstaunt es, dass die SVP die Sozialdetektive in Ordnung findet? Wohl kaum. Ihre Ja-Parole zur kommenden Abstimmung passt jedenfalls zur Grundhaltung in der Sozialpolitik. Im Parteiprogramm fokussieren ihre Äusserungen stark auf Missbrauch und Fehlanreize – sowie auf die Kosten, welche die soziale Sicherung verursacht. Angebote des Sozialstaats sind für die SVP vor allem Teil des «big state». Sie drängt darauf, soziale Probleme hinabzudelegieren – in die Gemeinden, möglichst gar an die Familien. Grundsätzlich seien sozialstaatliche Angebote abzubauen – oder zumindest nicht auszubauen. Bei der AHV ist die Erhöhung des Rentenalters ein Hauptziel der Volkspartei. Höhere Mehrwertsteuersätze für die Sozialwerke wecken indes sofort SVP-Widerstand.
Erinnern Sie sich an das Bankgeheimnis? Vielleicht zeigt sich hier am schönsten, was die heutige SVP-Wirtschaftspolitik ausmacht. Die Initiative zum Schutz der Privatsphäre griff einen Wert der traditionellen Schweiz auf – das Bankgeheimnis – und sie brachte auch einen Erfolg: Das Bankkundengeheimnis im Inland bleibt unangetastet, sodass SVP-Nationalrat Thomas Matter die Initiative zurückziehen konnte. Nur wurde dieser Stoff inzwischen zur Nebensache, da sich der automatische Informationsaustausch mit vielen Staaten nicht vermeiden liess. Hier will die SVP weiter bremsen – was ihr die Ehre verschafft, Unrechts-Staaten wie Saudi-Arabien entschlossener zu widerstehen als die SP.
Das gilt für die SVP auch im Geldwesen: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Ob beim Anlegerschutz-
gesetz Fidleg, bei der neuen Fintech-Verordnung, bei Ausweitungen der Geldwäschereiverordnung: Die SVP macht mit, aber sie versucht dabei, diverse regulierende Zähne zu ziehen.