Am Dienstag letzter Woche wurde die UNO deutlich: Die Staatenorganisation – genauer: die Leiter ihres World Food Programmewarnten vor einer Katastrophe «biblischen Ausmasses»:  Rund 120 Millionen Menschen dürften in den nächsten Monaten akut und zusätzlich vom Hunger bedroht sein, die Tragödie könnte 30 Millionen das Leben kosten. In zahlreichen Staaten würden sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erschütterungen der Covid-19-Krise zu einem furchtbaren Mix verbinden. «Es ist ein Hammerschlag für Millionen, die bloss etwas zu essen bekommen, wenn sie einen Lohn haben», sagte der Chefökonom des Food Programme, Arif Husain.

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Zwei Tage später folgte die WHO mit einer anderen Hiobsbotschaft: Wegen der Covid-19-Krise werden sich die Todesfälle durch Malaria verdoppeln, so die Berechnungen der Gesundheitsorganisation. Denn nun sei die Versorgung mit Medikamenten und Moskitonetzen massiv erschwert, was nach den übelsten Szenarien fast 400'000 Menschen das Leben kosten kann; es wären so viele Malaria-Opfer wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Der grosse Verband der Hilfsorganisationen, Oxfam, hatte bereits in der Vorwoche Alarm geschlagen: Nach seinen Berechnungen könnte der «Economic Fallout» der Krise über 400 Millionen Personen unter die Schwelle der extremen Armut zurückdrücken.

Das sind Worst-Case-Szenarien, die dasselbe Ziel haben wie die Worst-Case-Szenarien von Epidemiologen: Sie sollen aufrütteln. Doch im Grunde war es sowieso absehbar: Die Wirtschaftskrise, in die wir in Europa und Amerika nun hineinschlittern, wird viele Regionen furchtbar treffen.

Shops hier, Auskommen dort

Drei Jahrzehnte lang sorgte das stetige Wachstum der Globalökonomie dafür, dass Monat für Monat Hunderttausende Menschen über die Armutsschwelle nach oben steigen konnten und dann genügend Nahrung erhielten. Dieser Trend dürfte gebrochen sein – oder wie es der Oxfam-Bericht formuliert: «Zum ersten Mal seit 1990 könnte sich das Elend in der Welt wieder ausbreiten.» 

Und so erscheinen denn auch langsam Berichte über Textilarbeiterinnen, die in Bangladesch ihr Auskommen verlieren, weil unsere Modeläden geschlossen sind; über Familien, die leiden, weil die Überweisungen ihrer Angehörigen aus den Industriestaaten versiegen.

Doch was schliessen wir daraus? Hätten die Regierungen in Bern oder Berlin, gar Peking oder Washington dies berücksichtigen sollen, als das Virus anrollte? Undenkbar. In Notlagen fokussiert jede Regierung auf den Schutz der eigenen Bevölkerung, und so blieben auch die Abwägungen zwischen Viruskontrolle und Wirtschaftscrash strikt im nationalen Rahmen.

«Jetzt, nachdem die ersten Ängste überstanden sind, wäre es an der Zeit, den Blick zu weiten: Rezessionen töten ebenso wie Viren, nur unauffälliger.»

Doch jetzt, nachdem die ersten Ängste überstanden sind, wäre es an der Zeit, den Blick zu weiten und sich zu erinnern, dass Rezessionen ebenso töten wie Viren, nur entfernter und stiller. Fast kleinlich wirkt es, dass der Bundesrat – wie Aussenminister Ignazio Cassis nun bekanntgab – gegen 400 Millionen Franken freigeben will für Organisationen, die hier helfen. Wer vor ein paar Wochen radikale Lockdowns wollte, weil der Mensch über allem steht, wird nun jedenfalls neben den KMU-Milliardenhilfen auch grosse Hilfspakete für die wahren Katastrophenzonen gutheissen.

Und spätestens wenn – falls – eine zweite Viruswelle anrollt, darf die Welt nicht mehr so einseitig unterm Blickwinkel der Epidemiologie regiert werden wie im Schock des Frühjahrs 2020.