Die SBB suchen in puncto Pünktlichkeit und reibungslosen Abläufen ihresgleichen. Ob das am sprichwörtlichen – und legendären! – Schweizer Uhrwerk liegt? Dass ein Land mit einer so langen Tradition im Bereich wertiger Präzisionsarbeit wie die Schweiz als Innovationstreiber in puncto Digital Experiences hervortritt, passt also ganz hervorragend ins Bild. Was große Gefühle mit digitalen Erlebnissen zu tun haben und welche Rolle Content Management in diesem Zusammenhang spielt, darüber sprechen wir heute mit Jean-Michel Pittet, VP Engineering AEM (Adobe Experience Manager).
Vor kurzem wurde die aktuelle Adobe-Studie „Content Management als Enabler der digitalen Transformation“ veröffentlicht. Welche Rolle kommt modernem Content Management in Unternehmen zu und wie wichtig ist es für die Erreichung des Geschäftserfolgs?
Wir erleben heute einen globalen Wettbewerb. Unternehmen konkurrieren nicht nur in der eigenen Branche, Kund*innen vergleichen Erlebnisse mit Marken branchenübergreifend. In diesem Getümmel der Marktschreier setzt sich nicht die lauteste Stimme durch, vielmehr kommt es darauf an, die eigene Zielgruppe zu erreichen und zu überzeugen. Das funktioniert nur mit überzeugenden, personalisierten Inhalten und einer herausragenden Customer Experience. Dabei geht es nicht um Show-Effekte, sondern darum, den Informationsbedarf einer Person zu stillen. Im direkten Gespräch ist das ziemlich einfach. Im globalen Wettbewerb muss man diese Ansprache in den digitalen Austausch übersetzen. Deshalb ist Personalisierung ein zentraler Faktor digitaler Erlebnisse. Diese Kombination – personalisierte Inhalte und Emotionen – sorgen dafür, dass die Botschaft ankommt und im Kopf bleibt. Verkürzt gesagt: Content Management sorgt für zufriedene Kund*innen – und die revanchieren sich durch ihre Loyalität. Das ist die Grundlage des Geschäftserfolgs.
Welche Ergebnisse haben aus Ihrer Sicht besonders hervorgestochen?
Besonders frappierend ist für mich, dass zwar knapp drei Viertel (74 Prozent) der Schweizer und deutschen Unternehmen um die Bedeutung des Content Managements als Hebel ihrer Wettbewerbsfähigkeit wissen, aber trotzdem nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) eine entsprechende Strategie hat. Knapp die Hälfte (47 Prozent) sieht zudem mangelnde Personalisierungsmöglichkeiten ihrer aktuellen Content Management Systeme als Hindernis. Genau hier liegt das Dilemma: Content und Personalisierung sind Eckpfeiler der Digital Experience. Zu vielen Unternehmen ist noch nicht klar, dass modernes Content Management weit über die Möglichkeiten des Verwaltens hinaus geht. Digital Experiences leben von einer hohen Dynamik und einer mitreissenden – d.h. auch einer nahtlos verzahnten – Customer Journey. Digital Experience und digitale Transformation gehen Hand in Hand, diese Erkenntnis muss sich noch mehr durchsetzen!
Wo stehen Unternehmen in ihrer Digitalisierung? Gibt es hier noch Nachholbedarf?
Content Management umfasst heute Personalisierung, Omnichannel-Erlebnisse und bezieht ausserdem die Performance engmaschig mit ein. Ausgespielter Content kann permanent vermessen und auf Basis der erhobenen Daten kontinuierlich optimiert werden. Aktuell ist es jedoch so, dass noch immer nicht alle Unternehmen die gesamte Dimension dessen verstanden haben, was Content Management bedeutet. Teilweise werden da Texte noch immer an Webagenturen weitergereicht und über den Dienstleister eingespeist. Doch auch in Unternehmen, die die Bedeutung erkannt haben, hapert es zum Teil an der Umsetzung. Wir brauchen eine deutlich höhere Dynamik, die Erwartungen der Endkund*innen entwickeln sich immer weiter. Da muss man mithalten, im besten Fall sogar einen Schritt voraus sein. Jede Generation wird Technologie-affiner, Menschen, die heute in den Beruf starten, sind mit digitalen Technologien aufgewachsen. Natürlich wirkt sich das auch auf ihre Erwartungen an die Customer Experience aus, etwa, dass Unternehmen auch in den verschiedenen sozialen Netzwerken präsent und ansprechbar sind. Hier ist bei vielen Unternehmen noch Luft nach oben. Angst vor zu komplizierten Tools muss jedenfalls niemand mehr haben, führende Content Management-Lösungen sind so intuitiv aufgebaut, dass man keine speziell ausgebildeten Fachkräfte für ihre Bedienung braucht.
Am Adobe-Standort Basel verantworten Sie die Entwicklung des Adobe Experience Managers. Was macht aus Ihrer Sicht eine gute CMS-Lösung aus?
Das stimmt, unser Schweizer Team hat Adobe Experience Manager in den vergangenen Jahren zur weltweit führenden Lösung im Bereich Content Management Systeme ausgebaut. Für uns ist ganz klar: Wer Content Management als reines Organisieren und Verwalten von Inhalten begreift, hat ein ernsthaftes Problem. Die Ansprüche an das digitale Erlebnis haben sich weiterentwickelt, Kund*innen setzen heute nahtlose Omnichannel-Erlebnisse voraus. Deshalb ist es kritisch, wenn Unternehmen auf einen Flickenteppich verschiedener Lösungen setzen. Wenn die Systeme hinter den Kulissen schon nicht miteinander arbeiten, wie soll dann eine einheitliche Customer Experience zustande kommen? Moderne CMS sind Herz und Steuerungszentrale, hier fließen alle Informationen zusammen, hier werden die Insights für personalisierte Erlebnisse generiert und ausgespielt. Gleichzeitig sorgt künstliche Intelligenz dafür, dass repetitive Aufgaben automatisiert werden. Der Clou eines modernen Content Management Systems liegt darin, mehr Menschen mit geringerem Aufwand zu erreichen, d. h. bessere Ergebnisse zu geringeren Kosten zu erzielen. Dazu zählt natürlich auch eine Cloud-native Architektur, auch die Geschwindigkeit ist ein entscheidender Faktor für das digitale Erlebnis. Moderne CMS wie Adobe Experience Manager haben heute beispielsweise einen eingebauten Echtzeit-Feedback-Loop. Wenn man eine Kampagne ausspielt, kann diese direkt im CMS getestet und Sekunden später mit optimiertem Text weiter ausgespielt werden. All das ist Teil eines umfassenden Ökosystems, in das u.a. auch die Kreativ-Anwendungen der Adobe Creative Cloud eingebunden sind. So lässt sich auch die Arbeit der Kreativ-Teams nahtlos in die Workflows einbinden. Das Wissen um diese Möglichkeiten ist leider noch nicht zu allen Unternehmen durchgedrungen. Es gibt definitiv noch Luft nach oben!
Von der Fläche betrachtet ein kleines Land, dafür eine hohe kulturelle Vielfalt. Die Schweiz schafft es seit Jahrhunderten, verschiedenste Strömungen für ihre Innovationspower zu nutzen und so eine lange Tradition der Präzisionsarbeit zu schaffen. Ist die Schweiz quasi prädestiniert dafür, Geburtsort eines Produkts wie Adobe Experience Manager zu sein?
Die Schweiz hat keine Rohstoffe, also haben wir Intelligenz und Erfindungsreichtum zu unserem Exportschlager gemacht. Hinzu kommt, dass wir unsere Wurzeln in verschiedenen Sprachen und Kulturen haben und dass nahezu alle Schweizer Unternehmen global tätig sind, weil der heimische Markt einfach zu klein ist. Interkulturelle Kompetenz und flexible Perspektiven einnehmen prägt uns also von klein auf. Gerade im Bereich Content Management geht es darum, dass Menschen – mithilfe eines Tools – ihre Botschaft zu anderen Menschen bringen wollen, da ist dieses Mindset natürlich eine Stärke. Unsere Wurzeln liegen in der auf Content Management Systeme spezialisierte Firma Day Software, die Adobe 2010 übernommen und den Standort in Basel erhalten hat. Wir haben so den großen Vorteil, dass Adobe als unser Mutterkonzern zu den größten Playern am Markt gehört, wir aber auch unsere „Schweizer“ Herangehensweise (genius loci) wesentlich miteinbringen können.
Wo geht die Entwicklung im Bereich Content Management in Zukunft hin?
Weitreichende Prognosen sind immer schwierig. Vor 20 Jahren hätte ich den heutigen Stand nicht voraussagen können. Was ich aber konkret sehe, ist eine zunehmende Kluft. Digital Experiences für Produkte und Dienstleistungen gewinnen immer mehr an Bedeutung, doch viele Firmen ziehen nicht schnell genug mit oder setzen auf veraltete Technologien. Das ist dramatisch, denn in puncto Erwartungen der Endkund:innen lässt sich ein exponentielles Wachstum beobachten. Wer nicht aufpasst und auf Technologien setzt, die sich nicht permanent neu erfinden, läuft Gefahr, dauerhaft abgehängt zu werden. Diese Kluft lässt sich irgendwann nicht mehr schließen und das ist dann ein echter Business-Killer. Ausserdem müssen Unternehmen einsehen, dass die Zeit linearer Customer Journeys endgültig vorbei ist. Immer mehr Endgeräte, immer neue digitale Kanäle: Jetzt kommt es darauf an, trotz zunehmend fragmentierter Routen umso nahtlosere Erlebnisse zu schaffen. Unser Ziel ist deshalb, unsere Kund*innen darin zu unterstützen, diese Lücke zu schließen, mit dieser Entwicklung mitzuhalten und auf allen digitalen Kanälen relevant zu bleiben.