Im Juni 2020 offenbarte Wirecard, dass Vermögenswerte in Höhe von 1,9 Milliarden Euro – also rund einem Viertel der Bilanzsumme – fehlten. Doch solche Vorfälle betreffen nicht nur Grosskonzerne wie den deutschen Zahlungsdienstleister, sondern auch kleinere Unternehmen und Stiftungen. Ein Beispiel dafür ist ein Geschäftsführer einer Schweizer Stiftung, der fiktive Spendeneinnahmen verbuchte und dafür ungerechtfertigt einen Bonus erhielt. Diese Fälle verdeutlichen, wie wichtig es ist, stets zu hinterfragen, ob die in der Bilanz ausgewiesenen Vermögenswerte tatsächlich existieren.

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Die Autorin

Susanne Grau verantwortet an der Hochschule Luzern den Themenbereich Wirtschaftskriminalistik. Zudem ist sie Vizepräsidentin von Swiss Accounting.

Die Bilanz eines Unternehmens ist mehr als nur eine Auflistung von Zahlen; sie ist ein zentrales Instrument zur Kommunikation der wirtschaftlichen Lage gegenüber Aktionären, Gläubigern und einer breiten Öffentlichkeit. Auch die Steuerbehörden verwenden die Abschlüsse zur Gewinn- und Kapitalbemessung und legen damit die Höhe der Steuern fest. Doch immer wieder kommt es zu Fällen von Bilanzfälschung und anderen Formen der Wirtschaftskriminalität, die das Vertrauen in die Unternehmensführung untergraben und erheblichen Schaden anrichten können. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, solche Manipulationen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, um sich vor rechtlichen Konsequenzen und finanziellen Verlusten zu schützen. Dabei spielt auch die finanzielle Verantwortung des Verwaltungsrats eine entscheidende Rolle.

 

Bilanzmanipulation und Bilanzfälschung

Bilanzfälschung ist eine schwerwiegende Form der Manipulation, bei der die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens bewusst verzerrt wird, um Gläubiger, Steuerbehörden oder andere Stakeholder zu täuschen. Es gibt vielfältige Motivationen, wie die Verschleierung finanzieller Schwierigkeiten oder die Beeinflussung der Steuerlast.

In Krisenzeiten wird oft versucht, die wirtschaftliche Lage besser darzustellen, als sie tatsächlich ist. Häufig geschieht dies, um Kreditgeber zu täuschen und neue Kredite zu erhalten oder bestehende Kredite zu verlängern. Eine gefälschte Bilanz soll dabei die tatsächliche finanzielle Notlage des Unternehmens verschleiern.

Beim Kreditbetrug nach Art. 146 StGB täuscht der Kreditnehmer den Kreditgeber über seine wirtschaftliche Lage, was dazu führt, dass dieser irrtümlich eine Vermögensdisposition trifft und später einen finanziellen Schaden erleidet, weil der Kreditnehmer die Schulden nicht zurückzahlen kann.

Neben einer positiven Darstellung der wirtschaftlichen Lage durch Scheingeschäfte oder unberechtigte Finanzzuflüsse kommt es auch vor, dass Unternehmen ihre Geschäftszahlen bewusst schlechter darstellen. Dies geschieht klassischerweise aus steuerlichen Gründen, indem der Aufwand fiktiv oder überhöht ausgewiesen wird.

Auch verdeckte Gewinnausschüttungen fallen in diesen Bereich. Zwar könnte man annehmen, dass solche Manipulationen «nur» Steuerdelikte darstellen, jedoch hat das Bundesgericht entschieden, dass auch diese Handlungen den Tatbestand der Bilanzfälschung erfüllen können. Deshalb sind Kenntnisse über die (legal mögliche) Bildung von stillen Reserven nötig, um nicht die (illegale) Erfassung fiktiver Posten verantworten zu müssen.

Ein weiteres Motiv für Bilanzmanipulationen und -fälschungen sind Vermögensabflüsse, die durch Mitarbeiterdelikte verursacht werden. Hierbei gelingt es Mitarbeitenden, Unternehmensvermögen für private Zwecke zu verwenden, indem sie diese als Geschäftsaufwand verbuchen oder Einnahmen nicht abliefern.

Methoden wie die Nichtverbuchung von Einnahmen, die Mehrfachzahlung von Kreditoren oder die Fälschung von Belegen dienen dazu, das Delikt zu vertuschen. Hier steht weniger die Bilanzfälschung im Fokus, sondern vielmehr die Verschleierung des eigentlichen Vermögensdelikts.

Auch das Management kann in die Bilanzmanipulation verwickelt sein, indem es Geschäftszahlen absichtlich besser darstellt, um sich persönliche Vorteile wie Bonuszahlungen zu sichern. Dabei werden das Unternehmen und seine Aktionäre getäuscht, da sie ein falsches Bild über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens erhalten.

 

Die finanzielle Verantwortung des Verwaltungsrats

Eine zentrale Rolle bei der Prävention von Bilanzfälschungen und der Wahrung der finanziellen Integrität eines Unternehmens kommt dem Verwaltungsrat zu. Gemäss Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 des Obligationenrechts (OR) gehören die Ausgestaltung des Rechnungswesens, die Finanzkontrolle und die Finanzplanung zu den unübertragbaren und unentziehbaren Aufgaben des Verwaltungsrats.

Dies bedeutet, dass der Verwaltungsrat die Verantwortung trägt, sicherzustellen, dass das Rechnungswesen korrekt und transparent geführt wird, interne Kontrollen vorhanden sind und die finanzielle Planung des Unternehmens solide aufgestellt ist.

Diese Aufgaben sind essenziell, um Wirtschaftskriminalität und Bilanzfälschung entgegenzuwirken. Eine unzureichende Finanzkontrolle oder mangelhafte Finanzplanung kann nicht nur das Unternehmen selbst gefährden, sondern auch den Verwaltungsrat persönlich haftbar machen.

Die finanzielle Integrität des Unternehmens zu schützen, ist daher eine Pflicht, die der Verwaltungsrat nicht delegieren kann und die von ihm mit höchster Sorgfalt wahrgenommen werden muss. Daran ändern auch die in der Praxis häufig von Verwaltungsräten abgeschlossenen Versicherungen nichts.

 

Checkliste zur Prävention von Bilanzmanipulation und Bilanzfälschung

  1. Sind Buchführung und Rechnungslegung ordnungsgemäss erfolgt?

  2. Gibt es ein wirksames internes Kontrollsystem (IKS), welches auch eingehalten wird?

  3. Ist im Rechnungswesen eine Aufgabentrennung möglich und wird diese auch umgesetzt?

  4. Ist eine interne Revision vorhanden, die regelmässig Kontrollen durchführt?

  5. Sind die budgetierten Ziele realistisch und basieren auf nachvollziehbaren Annahmen?

  6. Besteht die Gefahr, dass in der Erfolgsrechnung fiktive Erträge enthalten sind?

  7. Gibt es in den Vorräten fiktive Vermögenswerte?

  8. Werden Schulden oder Aufwendungen verheimlicht oder falsch dargestellt?

  9. Sind einzelne Kontensalden angesichts der Art, des Alters und der Grösse des Unternehmens unrealistisch, oder haben sich diese gegenüber dem Vorjahr auf wenig plausible Art und Weise verändert?

  10. Lassen sich die in der Bilanz aufgeführten Vermögenswerte tatsächlich nachweisen oder finden sich im Anhang plausible Erläuterungen?

  11. Machen eine oder einige grosse Transaktionen einen erheblichen Teil eines Kontosaldos aus?

  12. Gibt es bedeutende Transaktionen, die gegen Jahresende stattfinden und das Geschäftsergebnis positiv beeinflussen?

  13. Gelingt es dem Unternehmen nicht, Cashflows aus operativen Tätigkeiten zu generieren, obwohl die Gewinne gesteigert werden?

  14. Beruhen ausgewiesene Vermögenswerte, Verbindlichkeiten, Erträge oder Aufwendungen auf wesentlichen Schätzungen, die subjektive Einschätzungen oder Unsicherheiten beinhalten?

  15. Drohen dem Unternehmen negative Auswirkungen auf wichtige Auftragsvergaben oder andere schwebende Geschäfte bei schlechten Quartalsergebnissen?

  16. Ist das Unternehmen von einem oder zwei wichtigen Produkten oder Dienstleistungen abhängig, die schnell veralten könnten?

 

Prävention und Verantwortungsbewusstsein als Schlüssel

Um der Wirtschaftskriminalität im Finanz- und Rechnungswesen wirksam zu begegnen, müssen Unternehmen klare Richtlinien und Kontrollmechanismen etablieren. Regelmässige interne und externe Audits, transparente Buchhaltungsprozesse und ein umfassendes Risikomanagement sind entscheidend, um Manipulationen frühzeitig zu erkennen.

Zudem sollten Mitarbeitende und Führungskräfte regelmässig geschult werden, um ein Bewusstsein für die möglichen Folgen von Bilanzmanipulationen und Vermögensdelikten zu schaffen. Letztlich ist die Integrität der Unternehmensführung von grösster Bedeutung, um das Vertrauen von Gläubigern, Investoren und der Öffentlichkeit zu wahren.

Wirtschaftskriminalität schadet nicht nur dem Unternehmen selbst, sondern kann auch weitreichende Folgen für die gesamte Wirtschaft haben. Es liegt in der Verantwortung jedes Unternehmens – insbesondere des Verwaltungsrats – achtsam zu sein und geeignete Massnahmen zu ergreifen, um solchen Praktiken vorzubeugen.