ADC: Das Buch steckt angeblich seit Jahren in einer Krise. Warum geht es ihm nach wie vor blendend?
Philipp Keel: Eines der Hauptprobleme ist, dass man immer meinte, man müsse dem Buch helfen. Dabei müsste man vor allem sich selbst helfen und einfach mehr lesen. Diese Schwarzmalerei stimmt auch gar nicht. Ich finde es faszinierend, dass jedes Jahr allein im deutschsprachigen Raum 70000 Bücher erscheinen. Eine Tatsache ist, dass schon immer nur zehn Prozent der Menschen, die an einer Tramhaltestelle stehen, ein anständiges Buch lesen. Der Unterschied zu heute ist bloß, dass diese zehn Prozent früher mehr Zeit hatten. Wenn also jemand damals 15 Bücher im Jahr gekauft hat, sind es heute vielleicht noch drei. Als Verleger wünscht man sich übrigens immer, dass mehr Bücher gekauft werden. Und man ist nicht selten beleidigt, dass es nicht so ist. Aber erst einmal muss jemand gute Geschichten schreiben und ein anderer muss sie hören wollen. Das verbindet Diogenes mit all den Menschen, die unseren Verlag seit Generationen kennen.

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Im März fand der erste Buch-Launch im Metaverse statt. Wird auch Diogenes digitaler?
Irgendwann habe ich mal auf einem Zettel notiert: Digital kann mich mal. Persönlich lese das Buch noch am liebsten so, wie man es im Laden kauft. Schauen Sie mal, unterwegs schaut man sich kaum mehr an. Das Smartphone ist schon verflixt. Andererseits, wenn jemand ein gutes Buch liest, schaut er ja auch nicht auf. Wie die meisten in der Branche, haben wir alles Erdenkliche ausprobiert und zerbrechen uns weiter die Köpfe über Apps, digitale Lesezirkel, E-Books, Podcasts, Webshops. So wunderbar die Freude daran ist, neue Dinge auszuprobieren, sind sie damit noch lange nicht erfolgreich. Mir berichten immer mehr Menschen, dass, wenn sie schon mal ein Buch lesen, sie es dann auch gern in den Händen halten. Die Sinnlichkeit, die mit dem Lesen verbunden wird, spielt eine große Rolle. Corona hat eine Rückbesinnung auf das Wesentliche mit sich gebracht. Viele haben deutlich gemerkt, dass sie von ihrem Smartphone und digitalen Angeboten regiert werden. Unser Verlag hat darum in den letzten zwei Jahren eine Blütezeit erlebt. 

Wie wird man als Marke Kult, wie es den weissen Diogenes-Büchern gelungen ist?
Als Künstler haben mich schon immer die Gestaltung und die Möglichkeiten von Brands fasziniert. Und die Aufträge in der Werbung haben mir damals geholfen, mir meine Kameras und Pinsel zu leisten. Ich war selbst geprägt von den brillanten Einfällen des Designers Raymond Loewy, aber auch vielen Popart- und Fotorealismus-Künstlern, in deren Arbeit Marken eine wichtige Rolle spielten. Darum habe ich mich schon früh mit der Marke Diogenes beschäftigt, lange bevor ich den Verlag übernommen habe. Meine Idee der weissen Cover geht also weit zurück. Ich dachte an etwas Einfaches, an etwas Plakatives, an etwas, das man wiedererkennt. Wie die Shell-Tankstelle in den 70er-Jahren, die so gestaltet war, dass man als Kind unbedingt dort anhalten wollte. In den letzten zehn Jahren habe ich mich intensiv damit beschäftigt, wie man mit der Pflege in der Gestaltung, dem Werbeauftritt und einer gewissen Ironie in den Slogans die Menschen an Diogenes bindet. 

Wir bringen die Menschen zum Lachen und zum Weinen.

Wann wird es Werbung für andere Produkte in Büchern geben?

Vielleicht gibt es das schon, aber das wäre nicht unser Stil. Hingegen haben wir mittlerweile 20 Millionen «Anzeigen» in Form von Karten unseren Büchern beigelegt. Dabei handelt es sich um weisse Karten mit Gedanken, die unsere seltsame Welt und somit auch unsere Leser:innen beschäftigen dürften. Diese Kampagne vereint Gelassenheit und Humor, beides steht für Diogenes. Die Karten haben eine ungemeine Wirksamkeit, weil viele sie weiterschenken, verschicken oder irgendwo hinkleben. Wir hören immer wieder, dass unsere Kampagne vergrößert in Klassenzimmern, Aufenthaltsräumen von Firmen, in Küchen und sogar WCs (!) aufgehängt werden. 

Wie lautet der Purpose von Diogenes?

Der entspricht Voltaire und unserem Firmenmotto: «Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht.» Wir sind ein Verlag mit Unterhaltungsliteratur und einer breiten Programmgestaltung: Belletristik, Kinderbuch, Sachbuch, Hörbuch, und Adaptionen für Fernsehen, Kino und Theater. Für einen geistreichen Appetit gibt es bei uns diverse Gerichte. Wir bringen die Leute zum Lachen und zum Weinen.

«Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur die langweilige nicht.»

Gemäss Ihrem Bestseller «All About Me»: Wie wichtig ist eine starke Identifikationsfigur für ein Unternehmen?

Mir ist das nicht unwichtig, aber nicht besonders wichtig, weil ich auch Künstler bin. Meine Eitelkeit als Verleger hält sich also in Grenzen. Was sicher geschätzt wird und beruhigend wirkt, ist, dass ich mit allem, was mich umtreibt, schon eine Weile zu tun habe.

Der beste erste Satz in der Literatur? 

Der muss auf jeden Fall ein Statement sein. Ein Gedanke über die Liebe oder die Verzweiflung, in dessen Einfachheit und Poesie ich mich auf der Stelle verliere. Über das Gelesene hinaus darf nichts mehr eine Rolle spielen.

Letzten Sommer kam Ihr Bildband «Last Summer» heraus. Was planen Sie diesen Sommer?

Es sind ein paar Ausstellungen geplant, die sowohl Fotografie, Malerei und auch Zeichnungen zeigen. Und zu denen auch Kataloge erscheinen sollen. Im Moment gehe ich gerade schwanger damit und mache mir trotz der Vorfreude auch hier manchmal etwas zu viele Sorgen.