Nach einem von Wachstumsaktien dominierten Jahrzehnt trumpfen die Fans wertorientierter Aktien auf. Seit dem 29. Oktober 2020 stiegen diese in der Schweiz um 23,3 Prozent und verwiesen die Wachstumsaktien mit ihren 7,5 Prozent auf die Plätze. Global verhält sich dieser Trend ähnlich.
Die Value-Optimisten behaupten, dass die Covid-19-Impfstoffe und die anstehende Öffnung der Geschäfte die wirtschaftlich sensiblen Value-Titel für ihren typischen, langanhaltenden Boom in einem frühen Bullenmarkt bereit machen. Dem ist nicht so.
Denn die Eigenheiten dieses Bullenmarkts signalisieren, dass der grosse Anstieg der «Unterbewerteten» falsch und vermutlich auch schon vorbei ist.
Ken Fisher ist Chairman von Fisher Investments Europe.
Wie ich im Juli ausgeführt habe, behaupteten datenbesessene Anleger seit Beginn dieses Bullenmarktes, dass die Value-Aktien die Führung von den Wachstumsaktien übernehmen sollten. «Die Daten» sagen, das passiere zu Beginn eines Bullenmarktes. Nach dem Tiefstand im vergangenen März jedoch hielt die Vorherrschaft der Wachstumsaktien an.
Warum? Weil der Marktrückgang 2020 einzigartig schnell einsetzte.
Zentralbanken fürchten sich vor Inflation
Wir haben es hier mit einem anderen Bullenmarkt zu tun, weil der fallende Markt ein anderer war. Bärenmärkte beginnen üblicherweise mit langsamen, rollenden Hochs, während die Aktien eine kommende Rezession einpreisen, die zur Korrektur vorausgegangener Exzesse erforderlich ist.
Wenn sich das Wirtschaftswachstum einer Sättigung nähert, fürchten die Zentralbanken eine Inflation. Sie verknappen Kredite, schiessen dabei aber über das Ziel hinaus.
Sie heben die kurzfristigen über die langfristigen Zinsen und invertieren die Zinsstrukturkurven. Den Banken – die kurzfristig leihen, um langfristig zu verleihen und die Marge einzustreichen – fehlt der Anreiz zur Kreditvergabe. Es setzt ein Bärenmarkt ein, der die Rezession einpreist.
Furcht vor der Rezession
Die kräftigen Einbrüche finden erst später statt, wenn die Value-Aktien, insbesondere die kleinsten, die meist höhere Kreditrisiken darstellen als Wachstumsfirmen, aufgrund der Zurückhaltung der Kreditgeber fallen.
Schliesslich senken die Zentralbanken aus Furcht vor der Rezession die kurzfristigen Zinsen, halten die langfristigen stabil und die Zinsstrukturkurve wird steiler.
Die Märkte sehen einen Kreditvergabespurt in Richtung der kleinen Value-Aktien kommen, preisen diesen ein und so führen die Value-Aktien traditionell die frühe Erholung nach einem Bärenmarkttief an.
2020 schlug in den Wachstum ein
Der Rückgang im vergangenen Jahr war jedoch komplett anders. Er schlug inmitten einer insgesamt starken, stetig wachsenden aber nicht überhitzten Konjunktur ein – ohne Exzesse oder Euphorie.
Aber die Covid-19-Lockdowns katapultierten die weltweiten Aktien in Rekordzeit aus einem Allzeithoch in ein Loch. Der SPI fiel in etwas mehr als einem Monat um 26,3 Prozent.
Den weltweiten Aktien erging es mit einem Minus von 34,0 Prozent noch schlechter. Während es sich aufgrund des Ausmasses technisch um einen Bärenmarkt handelte, kam der ultraschnelle Absturz einer völlig überdimensionierten Korrektur eines Bullenmarkts gleich.
Somit verhielt sich die Erholung wie die Fortsetzung des vorherigen alten Bullenmarkts und die Wachstumsaktien führten zunächst diesen Anstieg an. Das ist – wie ich bereits im Oktober erläutert habe – etwas sehr Ungewöhnliches.
Value-Aktien hinken hinterher
In traditionellen Zyklen geraten die Value-Titel im Abschwung erheblich unter Druck, bevor sie sich kräftig erholen. Das geschah 2020 nicht.
Vom globalen Tiefpunkt am 23. März bis zum 6. November hinkten die Value-Aktien mit einem Wachstum von 28,7 Prozent dem der Wachstumsaktien von 56,0 Prozent weltweit hinterher.
Die Technologie- und technologienahen Aktien mit ihren fetten Margen und geringen Schulden – das, wonach Anleger bei restriktiver Kreditvergabe lechzen – führten gemeinsam mit den wachstumsorientierten Luxusgüterherstellern.
Die Umkehrung in diesem Herbst lässt die unerschütterlichen Value-Fans träumen, dass der Impfoptimismus und die Klarheit nach der amerikanischen Wahl eine langjährige Erholung auslösen.
Zählen Sie nicht darauf. Der Grossteil der jüngsten weltweiten Outperformance der Value-Aktien geschah innerhalb von zwei Wochen Mitte November.
Ein kleinerer Spurt im Januar kehrte sich schnell wieder um. Insgesamt haben seit dem 24. November die weltweiten Wachstumsaktien mit 9,7 Prozent eine fast doppelt so hohe Rendite erzielt wie die Value-Aktien mit 4,1 Prozent. Soviel zur Renaissance der Values.
Nur minimal mehr
Momentan sind die Fundamentaldaten nicht günstig für wertorientierte Aktien. Auch wenn sich die globale Zinsstrukturkurve etwas geweitet hat, was vor allem mit dem mässigen Anstieg der langfristigen Zinsen in den USA zusammenhängt, ist es nicht viel.
Am 1. Februar übertrafen die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen in den Industrieländern die Dreimonatszinsen um 0,76 Prozentpunkte, ausgehend von 0,47 Punkten vor sechs Monaten. Das ist mehr, aber nur minimal!
Die langfristigen Zinsen steigen jetzt wahrscheinlich nicht weit. Die weltweite Nachfrage nach langfristigen Staatsanleihen befindet sich in schwindelerregender Höhe.
Die SNB hat am 10. Februar über 225 Millionen CHF in Zehnjahresanleihen mit einer Rendite von -0,33 Prozent verkauft. In den USA, der Eurozone und Japan pumpen sich die Zentralbanken für ihre massiven quantitativen Lockerungsbemühungen mit langfristigen Anleihen voll.
Damit werden die langfristigen Zinsen gedeckelt. Hochfliegende langfristige Zinsen bräuchten eine heisse Inflation.
Stellen wir fest, dass die massive Liquidität, die im vergangenen Jahr in die Volkswirtschaften strömte, lediglich für eine Implosion des Geldumschlags sorgte, aber keine Inflation auslöste.
Das wird jetzt nicht anders sein. Es gibt keinen richtigen Hinweis auf eine höhere Inflation.
Alle in Schwierigkeiten
Ultraniedrige langfristige Zinsen und flache Zinsstrukturkurven drücken nicht nur auf die wertorientierten Unternehmen, die sich um Kredite bemühen, sie zehren an den Kreditgewinnen der Banken, die einen grossen Teil der Value-Titel weltweit ausmachen.
In anderen wertorientierten Sektoren weht der sektorspezifische Wind ebenfalls von vorn: Die Ölfirmen ertrinken im Überangebot. Hotels, Restaurants, Fluglinien, Freizeitunternehmen – alles Value-Aktien, alle in Schwierigkeiten.
Die Experten ignorieren diese Realitäten. Sie glauben, dass nach einem Jahrzehnt des Hinterherhinkens und im – technisch betrachtet – aktuellen Bullenmarkt die Values «fällig» seien.
Aber Führung kehrt sich nie um, weil ein Stil «fällig» ist. Die Führung wechselt, wenn sich fundamentale Faktoren, die die Unternehmensaussichten beeinflussen, ändern. Das haben sie nicht und werden sie wohl so bald nicht.
Covid-19 Impfung wird verfolgt
Abgesehen davon blenden die Wertfanatiker aus, wie die Märkte funktionieren. Fast jeder hat die Impfstoffnachrichten mit angehaltenem Atem verfolgt.
Alles, was von so vielen beobachtet wird, muss in den Aktien eingepreist sein. Wer anders argumentiert, nimmt an, dass die Märkte hoffnungslos ineffizient sind.
Vergessen Sie nicht: Den Value-Aktien geht es am besten, wenn sie ungeliebt sind. Diese Zeit wird kommen, aber der heute um sich greifende Value-Jubel signalisiert, dass sie noch nicht so weit sind.