Viele Autobauer melden Rekordgewinne. Goldene Zeiten für die Automobilindustrie?

Im Gegenteil, vielen Herstellern stehen wirtschaftlich schwierige Zeiten bevor. Die Rekordgewinne wurden nur erzielt, weil die Autobauer hohe Verkaufspreise bei den Verbrennern durchsetzen konnten. Nach Corona gab es sehr viele Bestellungen, ohne dass die Anbieter Rabatte gewähren mussten. Jetzt aber schmelzen die Aufträge wie Schnee in der Sonne.

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Auch weil in vielen Ländern die Förderungen für E-Autos ausgelaufen sind. Ist die Autoindustrie ohne Subventionen nicht mehr überlebensfähig?

Nicht nur die deutschen Hersteller, alle westlichen Autobauer laufen beim Elektroauto in Kostennachteile. Nicht umsonst werden bei der EU Schutzzölle eingefordert, angeregt durch den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron. In China sind hohe Kaufprämien für Elektroautos – wie vormals in Deutschland – im Markt. Damit können Hersteller wie BYD in die wichtige Skalierung kommen und deutliche Kosteneinsparungen realisieren. Wer die Skalierung hat, hat den Markt, so wie bei Apple, Google oder Microsoft. Übrigens, Tesla gewinnt erheblich durch die Kaufprämien in China. In Deutschland hat die Koalition vor allem grosse Töne gespuckt, 15 Millionen E-Autos wollte sie bis 2030 auf die Strasse bringen. Aber das kann nicht gelingen, weil all diese Pläne auf Sand gebaut waren.

Die Politik wird für viele Probleme verantwortlich gemacht. Dabei haben doch die deutschen und europäischen Autobauer die E-Mobilität verschlafen.

Die Europäer haben vor allem gegenüber Tesla und den Chinesen Aufholbedarf. Allerdings sind Toyota, Honda, Ford oder Stellantis zum Teil deutlicher zurück als etwa der VW-Konzern oder BMW und Mercedes. Was besonders schadet: der politische Aktionismus in Deutschland und der EU. Man gibt das Elektroauto auf und vernichtet volkswirtschaftliches Vermögen, weil hohe Investments von der Branche gemacht wurden. Die kann man jetzt abschreiben. Der Zickzackkurs in Deutschland ist eine Katastrophe. Gewinner sind alle, die stark in China sind, denn dort ist die neue Heimat des Elektroautos.

Was bedeutet das für Europa?

Wir stehen vor einer Renaissance des Verbrenners. Der erste Autobauer, der beginnt, den Benziner wieder zu bewerben, wird mehr davon verkaufen und seine Marktanteile rasch ausbauen. Dann werden die anderen ganz schnell nachziehen. Das gilt auch für die USA: Gewinnt Trump, können sie die Elektroautos in den USA einmotten.

Besonders Volkswagen will Tesla und den Chinesen in der Elektromobilität Paroli bieten. Wir beurteilen Sie die Anstrengungen?

Volkswagen hat unter dem ehemaligen CEO Herbert Diess die Elektromobilität sehr gepusht und insbesondere in Zwickau eine moderne Produktion für Elektrofahrzeuge aufgestellt. Zudem sind sie mit den neuen Batteriewerken eigentlich sehr gut unterwegs. Sie haben nur zwei Probleme.

Nämlich?

Das Design der E-Autos ist bei den Kundinnen und Kunden leider nicht sehr gut angekommen. Daher verkaufen sich die Modelle ID3, ID4 und ID7 nur schleppend. Jetzt erfolgt die Rolle rückwärts. Der Golf wird in der Zukunft als E-Auto gebaut und sehr ähnlich aussehen wie heute.

Das zweite Problem?

Man hat sich in Deutschland und auch im übrigen Europa mehr von der Elektromobilität erhofft, als tatsächlich eingetroffen ist. In China ist man hingegen von den chinesischen Autobauern überrannt worden. Das gilt auch für BMW und Mercedes.

VW ist sehr abhängig vom chinesischen Markt. Ein Klumpenrisiko?

Die Frage ist, ob das wirklich so negativ ist. Der Automarkt in China wird ja weiter wachsen. Volkswagen ist trotz der Probleme in China besser positioniert als andere westliche Autobauer, das ist eigentlich eine gute Ausgangssituation. VW investiert kräftig in China. Das macht Hoffnung, um gegenüber den immer stärker werdenden Chinesen und Tesla eine Gegenkraft zu bilden.

Ein düsteres Bild für die Elektromobilität.

Man hat eine Chance, wenn man wie in China das Elektroauto staatlich fördert. Wir gehen davon aus, dass 2025 mehr als 7 Millionen Elektroautos, darunter PHEV und BEV, in China verkauft werden. Das heisst auch, dass die Chinesen ihre Kosten- und Skalenvorteile enorm ausbauen können. Heute werden insgesamt rund 25 Millionen Autos in China verkauft, in zehn Jahren wird der Markt so gross sein wie die USA und Europa zusammen.

Den Geschmack der Autokäufer in Europa scheinen die chinesischen Autos bisher nicht zu treffen.

Der gesamte E-Auto-Markt geht gerade runter, das ist ein Problem. Und dann werden die Chinesen vielleicht auch ein wenig Opfer ihrer ungeheuren Dynamik. Man bringt dort nicht ein Modell raus, sondern gleich zehn. Aber man darf die Chinesen auf gar keinen Fall unterschätzen. Sie gehen systematisch vor und haben Kosten- und Technologievorteile. Sie werden grosse Marktanteile gewinnen durch ihr Know-how im Batterie- und Softwarebereich.

Die USA und Europa könnten sich durch Strafzölle wehren.

Die chinesischen Automarken werden Stück für Stück nach Europa kommen, ob mit oder ohne Strafzölle. Die nächsten drei Jahre sind für die chinesischen Hersteller in Europa Übergangsjahre, doch in Zukunft werden die chinesischen Elektroautos in Europa eine starke Position einnehmen

Kann nur Tesla noch mit den Chinesen mithalten?

Tesla hat im letzten Jahr in der Tat ein Wunder vollbracht.

Das wäre?

Tesla hat 2023 1,8 Millionen Autos verkauft, besitzt aber eine Produktionskapazität von rund 2,6 Millionen Fahrzeugen: Das heisst, sie hatten eine Auslastung ihrer Produktion von nur knapp 70 Prozent. Normalerweise kann kein Autobauer damit überleben, die Abschreibungen auf die unter 70 Prozent genutzten Produktionsanlagen samt Zinsen wären zu hoch. Tesla aber erzielte immer noch eine Ebitmarge von 9,2 Prozent. Das ist das Wunder.

Und wie ist es zu erklären?

Die Auflösung liegt im Produktionsprozess, genauer gesagt im Mega-Casting: Grosse Aluminiumdruckgussmaschinen erlauben eine radikale Kostensenkung. Damit ist der Produktionsprozess bei Tesla um Quantensprünge kostengünstiger als beim Rest der Branche.

Wie funktioniert das genau?

Anstatt wie herkömmlich viele einzelne Karosserieteile zusammenzubauen, werden immer grössere Teile, beispielsweise der vordere oder hintere Teil der Autos, in einem Stück in den riesigen Druckgussmaschinen produziert, indem flüssiges Aluminium unter hohem Druck gepresst wird. Sie sparen so etwa vierzig bis fünfzig Arbeitsstationen, an denen sonst Roboter die vielen Teile zusammenschweissen.

Das können andere Hersteller kopieren.

Ja, und einige tun das bereits, sie könnten sich wie Tesla beim italienischen Hersteller Idra mit Druckgussmaschinen eindecken oder auch beim Schweizer Hersteller Bühler. Die Carat 840 des Familienunternehmens Bühler druckt mit 8400 Tonnen, die Maschine gilt als hervorragend. Sie haben gerade vier Maschinen nach China verkauft und zwei zu Volvo nach Göteborg. Es gibt aber einen Haken bei den Maschinen.

Welchen?

Diese Druckgussmaschinen werden erst dann wirtschaftlich, wenn sie im Jahr rund 1,5 Millionen Mal drucken. Und genau das macht Elon Musk. Die Modelle 3 und Y sind von der Rohkarosse her gleich. Von den 1,8 Millionen produzierten Tesla-Fahrzeugen waren 1,74 Millionen die Modelle 3 und Y. Die Branche geht damit in eine Standardisierung, die hoch spannend ist. Darum gehen wir davon aus, dass man zukünftig Autofabriken baut mit Stückzahlen von mindestens 1,5 Millionen pro Jahr.

Aber auch Tesla hat zuletzt Absatzschwierigkeiten, die zu Preissenkungen geführt haben.

Ja, sie haben sich damit ein wenig selbst ins Knie geschossen. Aufgrund der effektiven Produktion und hohen Margen kann sich Tesla Preissenkungen leisten, aber bei zu grossen Preissenkungen ziehen sich Leasinggesellschaften, Vermieter und Firmenwagenkäufer aufgrund sinkender Restwerte beim Elektroauto zurück. Hinzu kommen hohe Reparaturkosten bei Unfällen bei Tesla Fahrzeugen, wie sie jetzt von den Versicherern gemeldet werden. Autovermieter, grosse Firmen und Leasinggesellschaften gefällt das gar nicht. Sie brauchen stabile Preise für ihr Geschäftsmodell.

Was bedeutet die Veränderung in der Produktion für Premiumhersteller wie Mercedes und BMW?

Die Dauerrivalen BMW und Mercedes fahren aktuell mit unterschiedlichen Strategien. BMW will mehr in die Breite gehen, Mercedes hingegeben konzentriert sich auf die Oberklasse. Aus meiner Sicht hat Mercedes das grössere Risiko mit der Strategie. Mercedes will sich eher als das Hermès der Automobilindustrie positionieren. Wenn sie aber in Nischen gehen, können sie kaum von der Skalierung profitieren. Daher glaube ich, dass BMW Vorteile hat, weil in der Breite eine Skalierung mit hohen Stückzahlen einfacher ist.

Welche weiteren Auswirkungen sehen Sie?

Die Vielfalt der Modellformen wird abnehmen. Wir sind dann wieder bei Henry Ford, nach dem Motto: Jeder Kunde kann sein Auto in einer beliebigen Farbe lackiert bekommen, solange die Farbe, die er will, schwarz ist. Es gibt Berichte, dass Hersteller in China die ganze Rohkarosse in einer Form pressen wollen, wie bei Matchboxautos. Die Individualisierung des Fahrzeugs erfolgt in der Zukunft nicht mehr über die Modellform, sondern über die Software, was zu ganz neuen Konstellationen führt.

Inwiefern?

Während das iCar von Apple ja wie das Ungeheuer von Loch Ness endgültig abtaucht, machen es chinesische Handyhersteller vor: Huawei und Xiaomi lassen sich die Fahrzeuge von Autoherstellern fertigen und legen dann ihre digitales Ökosystem über das Auto. Die Autobauer werden zu Lieferanten, während die digitalen Unternehmen die Kundenbeziehung haben. Diese Handyfirmen bauen gerade ihre Telefonläden um, damit da jetzt Autos reinpassen.

Zum Schluss: In welche Autohersteller würden Sie jetzt investieren?

Ich würde in Nutzfahrzeughersteller investieren. Die braucht man jetzt in hohen Stückzahlen für die Kriegs- und Krisengebiete. Dort wird zukünftig das grosse Geld verdient.

 Ferdinand Dudenhöffer

Professor Ferdinand Dudenhöffer

Quelle: ZGV

Professor Ferdinand Dudenhöffer, 72, leitet das Bochumer CAR-Center Automotive Research. Der Volkswirt zählt zu den renommiertesten Marktkennern der Automobilindustrie. Bis zu seiner Pensionierung lehrte er an der Universität Duisburg-Essen