Als Dave Cote 2002 seine neue Stelle antrat, regte sich sogleich Skepsis bei Investoren und Analystinnen. Der vormalige Spartenleiter von General Electric war in den ersten Monaten lediglich mit kleinen Portfolioanpassungen beschäftigt. Wo blieb der grosse Wurf?
Erst später zeigten sich seine Qualitäten. Bis 2017 legte Cote bei Honeywell einen der beeindruckendsten Turnarounds der modernen US-Firmengeschichte hin. Cote war für seine neue Stelle aufgrund von Qualitäten ausgesucht worden, die nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen waren: systematisches, analytisches Vorgehen, hervorragende Kommunikation mit den Stakeholdern. Der Erfolg von Cote war auch ein Erfolg der Executive-Search-Firmen, die ihn mit dem Honeywell-Board zusammengeführt hatten.
Viele Leute auf den Markt gekommen
«In der jüngsten Vergangenheit sind durch den Untergang der Credit Suisse viele Kandidatinnen und Kandidaten für Positionen im Bankwesen auf den Markt gekommen», beobachtet Malte Müller, Managing Partner von Schillingpartners. Gemeinsam mit dem Partner-Team leitet er das Unternehmen. «Kaum eine Positionsbeschreibung kommt ohne den Hinweis auf die Transformation durch Digitalisierung aus und leitet entsprechende Anforderungen an die zukünftigen Führungskräfte daraus ab.»
Jede Position auf C-Level müsse heutzutage etwas von Digitalisierung verstehen. «CEOs müssen in Zukunftstechnologien investieren oder den Anteil von SaaS (Software-as-a-Service) in ihrem Geschäftsmodell erhöhen», beschreibt Müller die Entwicklung. «CFOs müssen die Vernetzung von ERP-Systemen mit Managementinformations- und Produktionssystemen verstehen, Chief Marketing Officers müssen die systematische Nutzung des CRM-Systems beherrschen, und so zieht sich das durch jede Funktion.» Unternehmen wünschen sich laut Müller von ihren Führungskräften internationale Erfahrung in dem Masse, in dem sie selbst international tätig sind und globale Märkte bedienen. «Auch wenn viele Unternehmen ihre Lieferketten angesichts geopolitischer Veränderungen neu organisieren, werden sie dadurch nicht weniger international, sondern im Gegenteil oft noch stärker diversifiziert», beschreibt Müller diese Entwicklung. «Internationale Erfahrung ist also weiterhin stark gefragt.»
«Solange Menschen in Führungspositionen arbeiten, wird es auch Menschen im Executive Search brauchen, davon bin ich fest überzeugt», so Müller. «Wir setzen heute bereits KI zur Unterstützung ein, wo es sinnvoll ist, beispielsweise um weitere Zielfirmen zu finden oder für Übersetzungen. Wir setzen allerdings heute und auch in absehbarer Zukunft auf unsere menschlichen Researcher, denn diese haben die Empathie, sich in die Perspektive des Kunden und in jene der Kandidatinnen und Kandidaten einzudenken.»
Harter Wettbewerb, Firmen halten ihre Talente
«Der Wettbewerb um qualifizierte und passende Fachkräfte wird aufgrund der demografischen Entwicklung und dem daraus resultierenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften intensiver», beobachtet auch Urs Schleuniger, Managing Partner bei Level Consulting in Zürich. «Für Unternehmen ergeben sich daraus neue Herausforderungen und Chancen, ihre Recruiting- und Employer-Branding-Strategien entsprechend auszurichten.» Schlüsselfaktoren sind dabei Search Scope, technologisch fortgeschrittene Search- und Selektionsprozesse, das stellenbezogene Matching der Hard Skills und Soft Skills mit qualifizierten Benchmarkvergleichen und Analyseberichten sowie der Zugriff auf etablierte Netzwerkpools.
Besonders gefragt sind laut Schleuniger Experten- und Führungsprofile mit digitaler und technologischer Ausprägung in den Bereichen Digitalisierung, Information/Cybersicherheit, Datenstrategie und -architektur, ML/KI, solche mit einer wachstumsorientierten Ausprägung in den Bereichen Sales, Markt und Revenue sowie Change-/Transformationausprägung in der Bereichen Business- und Corporate-Development, Agilität, Change- und Transformationsmanagement. Weniger gefragt seien Profile mit klassischer Managementausprägung ohne technologischen, digitalen oder datenorientierten Bezug. «Positionen wie Chief Information Officer (CIO), Chief Technology Officer (CTO) sind entscheidend für die digitale Revolution», so Schleuniger weiter.
«Die Entwicklung der nächsten fünf Jahre geht eindeutig in die Nutzung von technologischen Entwicklungen», sagt Schleuniger. «Als Ergänzung zu unserer persönlichen Expertise nutzen wir schon seit Jahren die Vorteile der künstlichen Intelligenz.» Mithilfe von fortschrittlichen Algorithmen, einer umfassenden Datenbank und Datenanalysen identifiziert und selektioniert man hier die Kandidaten und erstellt aussagekräftige Analysen und Benchmarkvergleiche. «Ich bin überzeugt, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird», so Schleuniger. «Die KI-basierten Auswertungen bringen heute schon aussagekräftige Bewertungen. Wir sehen diese als substanzieller und ergänzender Teil der Beurteilung, sehen aber auch, dass eine persönliche Sicht und Beurteilung des Kandidaten ein weiterreichendes und differenzierendes Element darstellt.» Bei der Talent-Retention werde die kulturelle Entwicklung immer wichtiger. «Unsere Mission ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen ihr Potenzial entfalten und Unternehmen erfolgreich neue Wege gehen.»