Die digitale Transformation hat das Geschäftsleben grundlegend verändert. Für Schweizer Klein- und Mittelunternehmen (KMU) bieten sich dadurch Chancen und neue Möglichkeiten. Dem gegenüber aber stehen wie immer auch Herausforderungen und Risiken. Wie häufig thematisiert, können durch die Digitalisierung unter anderem neue Einnahmequellen erschlossen, Prozesse optimiert und die Automatisierung vorangetrieben werden. Doch es braucht Einsatz und Mut, damit Entscheidungen im Sinne eines nachhaltigen Erfolgs getroffen werden. Oder um es mit den Worten von Reed Hastings, dem US-amerikanischen Unternehmer und Mitbegründer von Netflix, Inc. zu sagen: «Die meisten unternehmerischen Ideen werden verrückt, dumm und unwirtschaftlich klingen, sich dann aber als richtig herausstellen.»
Sita Mazumder, Unternehmerin sowie Professorin und Forscherin, Hochschule Luzern (HSLU)
Das digitale Geschäftsmodell
Einige der brennendsten Fragen, die sich viele KMU stellen, sind: Wie können wir diesen Wandel erfolgreich meistern? Welche digitalen Geschäftsmodelle eignen sich aus der Erfahrung besonders? Wie stehen Schweizer KMU im internationalen Vergleich da? Und wo anfangen? So banal es klingen mag, aber zuerst geht es darum, was eigentlich ein digitales Geschäftsmodell ist. Die vereinfachte Antwort lautet: Ein digitales Geschäftsmodell nutzt moderne Technologien, um Wert und Werte für Kunden zu schaffen und wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Da der Begriff nicht abschliessend definiert ist, variiert der Technologienutzungsgrad. Digitale Produkte, Dienstleistungen und Vertriebskanäle, aber auch Datenanalysen und Automatisierung spielen dabei eine zentrale Rolle. Klassische Beispiele sind Streamingdienste wie Spotify, Plattformen wie Airbnb oder durch künstliche Intelligenz (KI) gestützte Anwendungen, wie sie jüngst zahlreich entstehen. Durch den gezielten Einsatz von Technologien wie zum Beispiel KI oder Cloud-Computing optimieren Unternehmen Prozesse und schaffen innovative Angebote. Digitale Geschäftsmodelle ermöglichen es Firmen, sich an veränderte Kundenbedürfnisse anzupassen und neue Wertschöpfungspotenziale zu erschliessen.
Status quo der Digitalisierung bei Schweizer KMU
Die Digitalisierung schreitet wahrnehmbar in allen Belangen unseres Lebens voran. Das sind soweit keine News. Aber gerade die KMU stehen vor strukturellen Herausforderungen. Laut einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW, 2017) erkennen 85 Prozent der befragten KMU die Bedeutung der digitalen Transformation, jedoch sind nur drei von zehn Unternehmen (30 Prozent) mit ihren Fortschritten zufrieden. Die Hauptbarrieren sind fehlendes Fachwissen, Zeitmangel und begrenzte finanzielle Ressourcen. Diese Hürden führen dazu, dass viele KMU nur langsam digitale Lösungen implementieren – oder diese auf die lange Bank schieben. Oder aber Lösungen wählen, die weder durchdacht noch gesichert sind. Letzteres ist besonders riskant.
Bleiben wir kurz beim Thema riskant und machen den Abstecher zur Cybersecurity: Eine neuere Studie aus dem Jahr 2023 mit Blick auf Homeoffice und Cybersicherheit bestätigt die vorgenannte Erkenntnis. KMU sind angreifbar, geht es um ihre digitalen Kanäle. Jedes zehnte KMU (11 Prozent, um genau zu sein) wurde bereits erfolgreich von Cyberkriminellen angegriffen, und zwar so, dass ein erheblicher Aufwand nötig war, um die Schäden zu beheben. Über die Hälfte (55 Prozent) der Befragten, die schon einmal attackiert worden waren, beklagte einen finanziellen Schaden. Rund ein Achtel (13 Prozent ) gab an, Kundendatenverluste beziehungsweise Reputationsschäden erlitten zu haben. So die nackten Zahlen aus der Studie. Dass Digitalisierung nur mit Cybersecurity erfolgreich sein kann, ist fast schon ein Naturgesetz.
Innovative Cases
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass andere Länder bereits weiter sind – nicht alle, aber einige. Pionier der Digitalisierung ist dabei ein kleiner baltischer Staat mit gerade einmal rund 1,3 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen: Estland hat es geschafft, mit einer klaren Digitalisierungsstrategie andere und grössere Länder weit hinter sich zu lassen. Im Jahr 2007 jedoch legte ein Hackerangriff das halbe Land lahm. Betroffen waren Behörden, Ministerien, Banken, Schulen und Zeitungen. Das hatte Folgen: Heute gilt Estland als Aushängeschild für Datensicherheit, und es ist entsprechend wenig überraschend, dass hier das Cyber Security Centre der Nato zu Hause ist.
Auch in der Schweiz gibt es zahlreiche KMU, die mit ihren digitalen Erfolgsgeschichten Mut machen. Ein Beispiel, stellvertretend für so manche, ist die Engineered SA aus Yverdon-les-Bains. Sie ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Unternehmen digitale Möglichkeiten nutzen kann, um sich neu aufzustellen. Ursprünglich ein Zulieferer für die Elektronikindustrie, war die Engineered SA während der Covid-19-Pandemie mit massiven Auftragseinbrüchen konfrontiert. Als Reaktion darauf entwickelte das Unternehmen eigene High-Definition-Audio-Streaming-Geräte unter der Marke Wattson Audio und erschloss damit erfolgreich den B2C-Markt. Durch eine intelligente Nutzung von E-Commerce und mit Onlinemarketing konnte das Unternehmen neue Kundensegmente erschliessen und unabhängiger von B2B-Kunden werden.
Oder die Ergoswiss AG aus Widnau. Das Unternehmen ist spezialisiert auf hydraulische und spindelbasierte Hubsysteme. Um den Vertrieb effizienter zu gestalten, entwickelte man einen Onlinekonfigurator, der es den Kunden ermöglicht, ihre Produkte individuell zusammenzustellen und direkt zu ordern. Dies reduziert nicht nur den internen Aufwand, sondern verbessert auch die Kundenbindung, indem es den Bestellprozess vereinfacht. Durch den direkten digitalen Vertrieb hat Ergoswiss die eigene Marktreichweite erweitert und den Umsatz gesteigert.
Und als weiteres Beispiel die grösste Schweizer Onlineplattform Digitec Galaxus. Sie hat es geschafft, durch konsequente Digitalisierung eine Marktdominanz zu erreichen. Neben dem klassischen Onlinehandel setzt das Unternehmen auf datengetriebene Entscheidungen, Automatisierung und KI-basierte Empfehlungen.
Szenarien für Einnahmequellen
Selbstverständlich ist diese Aufzählung von Pionieren nicht abschliessend. Es gibt zahlreiche weitere spannende Beispiele aus dem Schweizer KMU-Markt, die allesamt nennenswert wären.
Grundsätzlich aber zeigen die erwähnten Firmen, welche Szenarien sich bei der Digitalisierung des eigenen Geschäftsmodells beziehungsweise bei einem neuen Geschäftsmodell bewährt haben. So bieten Subscription-Modelle (Abo-Modelle) wiederkehrende Einnahmen und erhöhen die Kundenbindung. Beispiele sind Software-as-a-Service-(SaaS-)Lösungen oder digitale Mitgliedschaften. Unternehmen wie Bexio bieten Buchhaltungssoftware als Abo-Modell an und sichern sich so kontinuierliche Einnahmen.
Daneben profitieren die KMU von der Plattformökonomie: Sie können Plattformen für den Handel oder die Vermittlung von Dienstleistungen nutzen. Ein Schweizer Beispiel dafür ist Farmy.ch, ein Onlinemarktplatz für regionale Lebensmittel. Bewährt haben sich ausserdem digitale Beratungs- oder Schulungsservices. So stellt etwa Starmin KI-basiertes Unternehmenswissen bereit und automatisiert Beratungsleistungen. Und schlussendlich gibt es E-Commerce und Direct-to-Consumer-(D2C-)Angebote. Mit eigenen Onlineshops umgehen Unternehmen traditionelle Zwischenhändler. Auf diese Weise haben einige Schweizer Marken, darunter On Running, ihre eigenen digitalen Vertriebskanäle ausgebaut.
Strategien zur erfolgreichen digitalen Transformation
Um digitale Geschäftsmodelle erfolgreich zu implementieren, sollten KMU systematisch vorgehen, beginnend mit einer Analyse der aktuellen Prozesse. Denn bevor digitale Lösungen eingeführt werden können, ist es essenziell, die bestehenden Prozesse im Unternehmen genau zu hinterfragen. Dabei sollten ineffiziente Abläufe identifiziert und Digitalisierungspotenziale aufgedeckt werden. Ein umfassendes Prozessmapping kann helfen, Optimierungsmöglichkeiten sichtbar zu machen. Darauf aufbauend sind klare Ziele und Prioritäten zu definieren. Welche Bereiche des Unternehmens sollen digital transformiert werden? Welche Technologien sind dafür am besten geeignet? Welche Abhängigkeiten und Priorisierungen gelten? Und so weiter. Die Erkenntnisse sind in eine Strategie zu packen, die weit über die digitalen Aspekte hinausgeht. Ein ganz besonderes Augenmerk gilt dem Humankapital, also dem Menschen.
Da der Umsetzungserfolg digitaler Geschäftsmodelle massgeblich vom digitalen Know-how der Mitarbeitenden abhängt, ist es zentral, die Belegschaft mit auf diese Reise zu nehmen, beispielsweise durch gezielte Schulungsprogramme, um die Belegschaft mit neuen Technologien und Arbeitsweisen vertraut zu machen. Dies fördert nicht nur die Akzeptanz digitaler Prozesse, sondern steigert auch die Effizienz und Innovationskraft des Unternehmens. Denn trotz der digitalen Transformation bleibt der erfolgreichste Ansatz die Symbiose von Mensch und Maschine. Technologie optimiert Prozesse, schafft neue Chancen – doch Kreativität, Intuition und strategische Weitsicht des Menschen sind nach wie vor ein Asset. Das Zusammenspiel beider Elemente führt zu nachhaltigem Erfolg. Oder wie Henry Ford einst sagte: «Zusammenkommen ist ein Beginn, zusammenbleiben ein Fortschritt, zusammenarbeiten ein Erfolg.»