Welche globalen Herausforderungen haben derzeit den grössten Einfluss auf Fairtrade-zertifizierte Lieferketten?

Die zunehmende Regulierung der Nachhaltigkeit in Lieferketten, insbesondere durch die Europäische Union. Dies birgt enorme Chancen, aber auch Risiken. Die entscheidende Frage ist, wie wir die Regulierungen so umsetzen können, dass auch Kleinbäuerinnen davon profitieren.

Das heisst?

Die Umsetzung findet – wie zum Beispiel bei der Entwaldungsverordnung der EU – im Wesentlichen vor Ort in Ländern des globalen Südens statt. Oft fehlen den Kleinbauern aber die Mittel oder das Know-how, um die neuen Anforderungen und die damit verbundene Administration umsetzen zu können. Dadurch laufen sie Gefahr, den Zugang zum europäischen Markt zu verlieren.

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Wie lässt sich das verhindern?

Damit dies nicht passiert, braucht es Unterstützung und Investitionen vonseiten der Abnehmerinnen, aber auch ganz generell fairere Preise und langfristige Handelsbeziehungen.

Ein zentrales Risiko vieler Lieferketten sind Menschenrechtsverletzungen, etwa schlechte Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und unfaire Löhne. Was unternimmt Fairtrade Max Havelaar, um diese Risiken zu mindern?

Armut ist die Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen. Deshalb setzt Fairtrade Max Havelaar seit der Gründung mit fixen Mindestpreisen und zusätzlichen Prämien hier an. Die Prävention von Menschenrechtsverletzungen ist konkret in den Standards verankert und Gegenstand der Fairtrade-Zertifizierung. Die Standards werden laufend auf ihre Wirksamkeit überprüft und regelmässig angepasst. So wurden beispielsweise kürzlich verschiedene Standards um Kriterien zur menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflicht ergänzt.

Welche Mittel stehen Ihnen neben Standards und Zertifizierungen zur Verfügung, um soziale Gerechtigkeit innerhalb der Lieferketten gewährleisten zu können?

Wir arbeiten auch in konkreten Projekten. Oft erfolgt dies in Zusammenarbeit mit unseren Marktpartnern, zum Beispiel in Projekten zur Minimierung der Risiken von Kinderarbeit in Ghana (Kakao) oder Guatemala (Kaffee). Mit der 2023 eingeführten Fairtrade Risk Map unterstützen wir unsere Partner zudem dabei, ihre Risiken zu identifizieren und geeignete Strategien und konkrete Projekte zur Risikominimierung zu entwickeln.

Welche Massnahmen ergreifen Regierungen, um den Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten zu gewährleisten?

In westlichen Ländern beobachten wir eine zunehmende Regulierung des Risikomanagements und die Einführung von Sorgfaltspflichten. In den Produktionsländern gibt es verschiedene Bestrebungen, insbesondere in Bezug auf Mindestlöhne und die Stärkung des Arbeitsrechts.

Reichen diese Bemühungen Ihrer Meinung nach aus?

All diese Ansätze sind richtig und wichtig, denn sie setzen den Rahmen, in dem sich private Akteure bewegen. Aus unserer Sicht braucht es aber noch zusätzliche Begleitmassnahmen sowie ein engeres Zusammenspiel von staatlichen Akteuren und Unternehmen, zum Beispiel im Bereich technische Unterstützung, Investitionen in Infrastruktur oder Zugang zu erschwinglichen Finanzierungen. 

Welche Rolle spielen Konsumentinnen und Konsumenten dabei, die Einhaltung der Menschenrechte in den Lieferketten zu fördern?

Sie spielen eine wichtige Rolle. Einerseits, indem sie beim Einkauf auf anerkannte Nachhaltigkeitslabels wie Fairtrade setzen. Anderseits wird durch ihr Verhalten als Arbeitnehmende, Entscheidungsträgerinnen in Unternehmen, Aktionäre oder Bürgerinnen an der Urne eine generelle Botschaft an die Akteure in der Lieferkette gesendet, dass Nachhaltigkeit kein «Nice to have» ist, sondern dass die Einhaltung der Menschenrechte als ein zentraler Teil des Lieferkettenmanagements erwartet wird.

Welche Erfolge hat Fairtrade Max Havelaar bereits erzielt, um Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen?

Es ist uns gelungen, den fairen Handel aus der Nische herauszuführen und in einem breiten Marktsegment zu verankern. Derzeit sind in der Schweiz 3600 Fairtrade-Produkte erhältlich. Damit geht die Bereitschaft von Firmen und Konsumenten einher, für Nachhaltigkeitsleistungen zu bezahlen – in unserem Fall primär über Fairtrade-Mindestpreise und zusätzliche Prämien. Über die Fairtrade-Zertifizierung haben wir dadurch eine positive Wirkung auf die Einnahmen von Kleinproduzentinnen und die Löhne der Arbeiter entfaltet. Zudem haben wir über die Arbeit mit organisierten Bäuerinnen und Arbeitern lokale Strukturen wie Kooperativen oder Arbeitergremien gestärkt. 

Welche Herausforderungen stehen noch bevor?

Über gemeinsame Projekte mit unseren Handelspartnern haben wir konkrete Verbesserungen in einzelnen Lieferketten erreicht, wie zum Beispiel den Aufbau von Agroforst-Systemen oder die Förderung von Ernteausfallversicherungen. Armut wird aber auch in Zukunft die grosse Herausforderung bleiben, zumal die Lebensgrundlage vieler Kleinbauernfamilien durch den Klimawandel zusätzlich bedroht ist und die Bäuerinnen gezwungen sind, ihre Produktionsweise an die veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen. Deshalb sind engagierte Unternehmen, die in Fairtrade-Projekte investieren, heute mehr denn je gefragt.