Schlagzeilen zur Deglobalisierung dominieren: Mal gilt sie als Megatrend, der von Anlegenden beachtet werden muss, weil regionale Lieferketten Vorteile für Firmen und die Umwelt haben. Mal ist es ein Treiber einer langfristig erhöhten Inflationsentwicklung. Und gelegentlich melden Unternehmen, dass sie ihre Produkte wieder in der Schweiz oder in den Nachbarländern herstellen lassen.
Sichtbarkeit erhöhen
«Eigentlich handelt es sich jetzt um eine Reglobalisierung», sagt Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher. So waren in den vergangenen Jahren oft einseitig aufgebaute Lieferketten Standard. Die Risiken, wenn wichtige Produkte aus dem gleichen Land und dort auch noch aus derselben Region kommen, sind nachvollziehbar. «Auch wenn das Narrativ die Deglobalisierung betont – wir sehen bei unseren Firmen eine entgegengesetzte Entwicklung. Viele setzen nun auf unterschiedliche Zulieferer aus verschiedenen Ländern, um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren.» Solche Wechsel sind jedoch nicht ganz einfach.
«Natürlich müssen jeweils die Qualität und der Preis stimmen, aber es gibt in vielen Bereichen Zertifizierungen von Herstellern und Zulieferern, und dann wird ein Wechsel anspruchsvoller.» Umgekehrt sieht man bei Swissmem, dass ausländische Unternehmen schweizerische KMU anfragen. «Die Entwicklung der Produktion in der Nähe ist neu, sie hat mit Covid-19 angefangen», führt Brupbacher seine Erklärungen fort. «Insgesamt sind die Firmen bezüglich Alternativen oder Ergänzungen zu ihren bisherigen Lieferanten sehr gut aufgestellt.» Bei grösseren Firmen sehen die Verantwortlichen zudem auch die Nutzung von KI-Tools als positive Alternative.
Transparenz ist entscheidend
Deshalb rät Brupbacher den KMU, alle wichtigen Daten zu Lieferzeiten und Verfügbarkeiten und weitere Details auf die Webseiten zu bringen. So sind diese Daten durch KI-Tools oder Suchmaschinen auffindbar. Dennoch meint er auch: Bei kleineren Unternehmen dominieren die persönlichen Beziehungen, um solche Herausforderungen anzugehen. Diese Beziehungen ergeben sich auch dadurch, dass Swissmem die Auftritte von Firmen aus 25 Industriesektoren an Messen unterstützt und koordiniert, wodurch auch immer wieder neue Kontakte unter Lieferanten und Abnehmern entstehen.
«Die Grundvoraussetzungen für freien Welthandel sind zunehmend nicht mehr gegeben», konstatiert Stefan Legge, Makroökonom und Spezialist für internationalen Handel an der Universität St. Gallen (HSG). «Es mangelt an Vertrauen und effektiven Institutionen, insbesondere für den Handel zwischen geopolitischen Blöcken.» Die Folge sei keine Deglobalisierung, also grundsätzlich weniger Handel. «Vielmehr beobachten wir ein Reshuffling: Handelsströme passen sich den neuen Realitäten an», so Legge.
Leistung zählt weiterhin
Viele Unternehmen hätten inzwischen die Bedeutung von Geo-, Handels- und Industriepolitik erkannt. «Gegenüber Grossunternehmen haben KMU zum Teil den Nachteil, dass sie schlicht weniger Personal haben, um sich damit detailliert zu beschäftigen», so Legge weiter. «Andererseits haben Mittelständler den Vorteil, schneller und agiler auf neue Chancen zu reagieren.» National und international gelte es für KMU, die bestmöglichen Lösungen unter den neuen Rahmenbedingungen zu finden.
Zunehmend spielt auch das Thema Nachhaltigkeit eine Rolle. «Unternehmen sehen sich in der Verantwortung, nicht nur gute Produkte und Dienstleistungen anzubieten», stellt Legge fest. Vielmehr wird erwartet, dass sie soziale und gesellschaftliche Probleme lösen. «Hierbei gilt es vor allem, die Kernaufgabe von Unternehmen nicht zu vernachlässigen: Kunden sind auf qualitativ hochwertige Leistungen angewiesen», so Legge.
Ob künstliche Intelligenz oder weitere Technologien die KMU-Wirtschaft tatsächlich grundlegend verändern werden, bleibt laut Legge abzuwarten. «Grundsätzlich lässt sich aus der Geschichte lernen, dass technologische Veränderungen das Wirtschaftsumfeld nachhaltig beeinflussen können. Für das Management heisst das: Auf der Höhe der Zeit bleiben und stetig neue Chancen erkennen, die Kundenbedürfnisse besser befriedigen zu können.»