Aussichtsplattform Messner Museum

Die Welt von oben

Von Susanne Wagner, Pirmin Schilliger und Barbara Bachmann
am 21.02.2019 - 09:09 Uhr

Die Aussichtsplattform des Messner Mountain Museums.

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Südtirol bietet Besuchern überraschende Kulturlerlebnisse, Luxusurlaub auf hohem Niveau und innovatives Design.

Ein Raum im Unternehmen Stahlbau Pichler, im Süden der Landeshauptstadt Bozen. In einer industriellen Gegend versteckt sich ein buntes Universum: Es ist der Ort, an dem die Taschen des Labels Zilla entworfen werden. Taschen, bei denen die Materialen im Vordergrund stehen. «Sie sind immer wichtiger als die Form», sagt ihre Erschafferin Sylvia Pichler. Ausprobiert hat sie viele. Schaumstoff, Schwämme, Silikon. Latex, Filter, PVC. Pichler ist fasziniert davon, den ursprünglichen Sinn von Materialien zu verändern und in einen anderen Kontext zu stellen.

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«Wir sind darauf fixiert, dass A A sein soll. Sobald etwas entfremdet wird, erkennen wir es nicht mehr.» Das Interesse für die Materialien kommt nicht von ungefähr. «Mein Grossvater war Schmied, mein Vater Architekt.» Mit seinem Bruder führt er das Unternehmen Stahlbau Pichler. In der Abteilung Fassadenbau hat die Designerin schon oft Materialien gefunden, die sie inspirieren. Sylvia Pichler, 1975 geboren und in Bozen aufgewachsen, hat Architektur in Innsbruck, Wien und London studiert. Damals, während des Studiums, machte sie aus einem Schwammstoff — dem Material von Briefmarkenbefeuchtern — eine Tasche für sich, dann noch eine für eine Freundin. Zuerst aus Spass, aus der reinen Liebe am Experimentieren.

 
Pichler

Designerin Sylvia Pichler mit ihren Taschen.

 
 
 
Quelle: Anne Gabriel-Jürgens

Später bekommt sie die Chance, auf der Mailänder Möbelmesse Salone del mobile auszustellen. Dafür gründet sie 2005 die Firma Zilla, angelehnt an den alten, heute etwas weniger verwendeten Südtiroler Namen Cäcilia. «Ich kannte eine Cäcilia, die in der Handarbeit sehr geschickt war»», erzählt die Gründerin. «My bag is my castle» ist der Leitspruch ihrer Anfangsjahre, weil Frau ihre Tasche erst brauche, sobald sie das Haus verlasse. Die Tasche als bewegte Struktur, als ständiger Begleiter.

Nur wenige hundert Meter von Sylvia Pichler entfernt, in einem kleinen Büro mit vielen Zetteln auf dem Schreibtisch, arbeitet Hannes Parth, heller Bart, Jahrgang 1971. Seine Visitenkarte ist vom selben Material wie die Schuhe, die neben den Küchenrollen in den Regalen stehen: hergestellt aus Apfelabfall. Durch besondere Recyclingtechniken verarbeitet Parth Apfelreste — von der Schale bis zum Kern. Er gewinnt daraus Papier für Schreibwaren sowie Verpackungen. Und die sogenannte Apple Skin: ein pflanzliches Similileder für Möbel, Kleidung und Accessoires. Eine Art Apfelleder, dem echten Leder verblüffend ähnlich in Konsistenz und Kraft, «aber da es kein richtiges Leder ist, darf es nicht so bezeichnet werden». Dennoch, ein revolutionäres Produkt. Dabei ist Hannes Parth eigentlich Juwelier. Bis er 2008 das Startup Frumat (was Frucht und Material in mehreren Sprachen bedeutet) gründet. Ein 75 Jahre alter Ingenieur aus Südtirol bringt ihn damals auf die Idee, Apfelreste wiederzuverwerten. Parth ist fasziniert von der Vorstellung, einen Absatzmarkt für Tonnen von biologischen Industrieabfällen gefunden zu haben, die von der Fruchtsaft- und Kompottindustrie ausgestossen werden.

 
Hannes Parth FRUMATVia Thomas Alva Edison, 1539100 Bolzano

Hannes Parth im Atelier

 
 
 
Quelle: Anne Gabriel-Jürgens

Dafür ist er in Südtirol, dem grössten zusammenhängenden Apfelanbaugebiet Europas, an richtiger Stelle. Jeder zweite in Italien geerntete Apfel kommt von hier – jedes Jahr werden 950 000 Tonnen Äpfel von den Bäumen geholt. Das entspricht 50 Prozent der italienischen und 10 Prozent der europäischen Apfelernte.

An Rohstoffen mangelt es Frumat also nicht. Mehr als die Hälfte der Apfelreste bezieht Parth von einem Südtiroler Unternehmen. «Diese würden die getrockneten Apfelreste verbrennen.» Er rettet sie davor und schenkt ihnen einen neuen Sinn. «Ich wehre mich, in die Wiederverwertungsecke gestellt zu werden», sagt hingegen Sylvia Pichler. Weil mit dem Wort Recycling viel Unfug betrieben werde und sie ausschliesslich neue Materialien für ihre Produkte und Modelle verwende. Von den klassischen Baumaterialien hat sie sich mit den Jahren etwas wegbewegt. Die Nachfrage dafür war nicht ausreichend und eine Designerin muss auch wirtschaftlich denken. «Es war ausserdem schwierig, die Materialien in besonderen Farben zu finden.»

Jahre des Tüftelns

Mittlerweile hat sie an Leder Gefallen gefunden und an Aluminium, das sie mit Kunststoff verstärkt. «Ich bin über die Coladosen darauf gekommen. Aluminium ist form- und faltbar», sagt sie. Auch das Innenfutter mancher Taschen ist aus dem Material. Und das Material hat seine Funktion: «Da es das Licht reflektiert, findet man beim Öffnen schnell, was man sucht.»

Sylvia Pichler inspiriert sich durch Architektur, besondere Gebäude und Kunst. Und sie orientiert sich an Verpackungen. Eine ihrer Taschen erinnert an ein Brotsäckchen, im glänzenden Silber. Eine andere ist durch die Verpackung der Loacker-Waffeln inspiriert, eine dritte durch die Form eines Gefrierbeutels. «Sehe ich irgendwo ein Packaging, denke ich es weiter.» Den klassischen Jagdrucksack aus Canvas-Baumwolle hat sie neu interpretiert — transformiert durch einen Reissverschluss, wodurch er auch als Tasche verwendet werden kann. Er ist fester Bestandteil im Sortiment.

 
«Wir suchten ein umweltfreundliches Verfahren, um die Apfelreste in Rohmaterial umzuwandeln.»

 

Hannes Parth

 

Für die Frühling/Sommer-Kollektion 2019 lässt sie verschiedene Leder und Satin mit Aluminium beschichten, in kräftigen Farben wie Pink, Rosa, Orange, Fuchsia oder Tabacco. Die Materialien kommen meist aus Italien, einige auch aus der Schweiz. Pro Saison entstehen circa 30 Modelle, pro Jahr rund 3000 Taschen, die im norditalienischen Padua produziert werden. So wie Zilla produziert auch Frumat seine Appleskin ausschliesslich in Italien. 2015 beginnt das Jungunternehmen mit dem Buchbinderbereich, 2016 folgt das Leder für Polstermöbel. Und zwei Jahre darauf die Appleskin für Mode, Schuhe und andere Lederwaren. Die Endprodukte fertigen die Kunden an, Frumat stellt die Appleskin in verschiedenen Farben mit verschiedenen Prints her. Bisher 20 000 bis 30 000 Meter pro Jahr. Der Meterpreis für das ungewöhnliche Produkt liegt zwischen 6 und 20 Euro.

Einige Jahre des Tüftelns, lange und mühevolle Phasen der wissenschaftlichen Forschung, auf der immer noch ein Schwerpunkt des Unternehmens liegt, liegen hinter ihm. «Das erste Problem, vor dem wir standen, war: Wie finden wir ein umweltfreundliches Verfahren, um die Apfelreste in ein Rohmaterial umzuwandeln, und wie finden wir eine funktionierende Technik, die nach der Umwandlung keinen neuen Abfall produziert?»

 
Tasche

Die bewegte Struktur der Tasche von Sylvia Pichler.

 
 
 
Quelle: Anne Gabriel-Jürgens

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