Herr Thomsen, wie wird sich die Mobilität in den Städten künftig entwickeln?

Wir gehen davon aus, dass die grossen Städte die Mobilität der Zukunft mitprägen werden. Es geht nicht nur um den Platz für Autos, Fussgänger oder Fahrräder, sondern um Innovationen, welche die Lebensqualität und Nachhaltigkeit erhöhen. Unter den grossen Metropolen herrscht ein Wettbewerb um die Entwicklung intelligenter Mobilitätskonzepte. Städte denken neben autonomen Systemen auf unseren Strassen auch über neue Tunnelsysteme nach, um den Stau auf den Strassen deutlich zu senken. Die Nutzung der «dritten Dimension», in der Luft oder im Boden, ermöglicht es, individuelle und gewerbliche Mobilität neu zu denken.

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In der Luft?

Ja, mit elektrischen Flugtaxis, sogenannten E-VTOL. Emmanuel Macron hat angekündigt, zur Eröffnung der Olympiade im Juli mit einem Volocopter ins Stadion zu fliegen. Es ist möglich, damit vertikal zu starten und zu landen, zum Beispiel auf Landeplätzen auf Hochhäusern oder auf entsprechenden Plätzen in einer Gemeinde.

Ist das nicht nur ein teurer Gag?

Die Betriebskosten sind etwa 80 Prozent günstiger als bei einem Helikopter. Wenn diese Passagierdrohnen dann noch autonom werden, wird dies vor allem für den ländlichen Raum eine ganz neue Mobilitätsform werden. Es wird zwar noch ein paar Jahre dauern, bis sie genehmigt sind, aber dann wird es möglich sein, in 15 Minuten vom Urner Boden am Zürcher Flughafen zu sein, und zwar komplett CO₂-neutral. Das wird die Attraktivität von dünn besiedelten Gebieten erhöhen. Auch in der Schweiz arbeitet eine ganze Anzahl von Firmen an solchen Konzepten.

Eine Drohne für Menschen ist aber etwas ganz anderes als eine kleine Transportdrohne.

Es ist eine Frage der Skalierung. Natürlich braucht eine Drohne, die 300 Kilogramm transportieren kann, grössere Batterien und Rotoren. Und die Anforderungen an Sicherheitssysteme sind entsprechend höher, sodass stets eine sichere Landung auch beim Ausfall eines Systems gewährleistet ist. In Guangzhou in China gibt es bereits erste autonome Flugtaxis, die zahlende Passagiere fliegen. Mehr als hundert Firmen arbeiten an Passagierdrohnen, die als Alternativen zur Taxifahrt schon relativ bald zur Verfügung stehen könnten.

Welches waren die technologischen Durchbrüche der letzten Jahre?

Eines der wichtigsten Treiber für den Fortschritt ist künstliche Intelligenz: KI hat bei der autonomen Mobilität in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, die wir lange für unmöglich hielten. Vor allem sind hier die selbstlernenden Systeme zu nennen, die nun Durchbrüche bei autonomen Fahrzeugen möglich machen.

Mit welchen Folgen für die Mobilität?

KI ermöglicht es Maschinen, durch eigene Musterkennung zu lernen. Bei den bisherigen Versuchen, selbstfahrende Autos zu bauen, fehlte dieses Lernen bin anhin. Mit KI wird das plötzlich möglich, da dieses Lernen dem Lernen von Menschen sehr ähnlich ist – nur wesentlich schneller. Deshalb sind wir überzeugt, dass autonome Fahrzeuge viel schneller zur Realität auf unseren Strassen werden, als viele glauben.

Wie sieht die Mobilität in zehn Jahren aus?

In der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre wird der Elektroantrieb für Autos das Normalste der Welt sein, nichts Exotisches mehr, denn er ist wartungsärmer, günstiger und performanter als Verbrennungsmotoren.

Lars Thomsen
Quelle: ZVG
Zur Person

Lars Thomsen ist Gründer und Inhaber von Future Matters, einem Think-Tank für Corporate Foresight mit Sitz in Erlenbach ZH. Der Zukunftsforscher und sein Team beschäftigen sich seit mehr als zwanzig Jahren mit Fragen der Zukunft rund um die Themen Mobilität, Energie, Arbeit und künstliche Intelligenz.

Sind E-Autos wirklich günstiger?

In den letzten zehn Jahren waren E-Autos in der Anschaffung oft teurer als vergleichbare Wagen mit Verbrennungsmotoren. Im Betrieb sind sie aber viel günstiger, wenn man den Gesamtverbrauch, die Wartung und den Verschleiss miteinberechnet. Die Kosten für das teuerste Element, die Batterien, haben sich enorm reduziert. Das ist der Ablösepunkt, der die künftige Entwicklung beschleunigen wird. Schon jetzt sind wir beim Verhältnis Preis-Leistung an dem Punkt, dass ein E-Auto günstiger ist als ein entsprechendes Verbrennerfahrzeug.

Die Ladestrukturen sind noch ein Thema.

Es gibt entlang der Autobahnen genügend Lademöglichkeiten, um praktisch genauso schnell mit einem E-Auto auch Strecken von mehr als 1000 Kilometer pro Tag zu fahren. Das ist kein Problem mehr. Auch das Energiesystem hat genügend Kapazität, um Elektrizität für E-Autos zur Verfügung zu stellen. Wir würden etwa 10 Prozent mehr Strom benötigen, wenn alle Fahrzeuge in der Schweiz elektrifiziert würden. Und wenn die Batterien als intelligente Speicher genutzt werden, dann erhöht sich dabei unsere Speicherkapazität enorm. Ein Teil der Autos kann dann aufgeladen werden, wenn der Strom besonders günstig ist, und den Strom ins Netz zurückspeisen, wenn er teuer ist. Das machen unsere Pumpspeicherwerke in den Alpen schon heute sehr erfolgreich im europäischen Stromnetz. Noch immer wird häufig behauptet, E-Autos seien viel zu teuer oder Verbrennungsmotoren seien umweltfreundlicher. Aber das entspricht nicht den Tatsachen.

Tatsächlich?

Ja, jede alte Technologie wird irgendwann durch eine bessere abgelöst. Das war schon immer so. Solche Kipppunkte sind auch immer eine Chance für innovative neue Firmen und Regionen, die schneller Innovationen durchsetzen als die alten Platzhirsche. Zwischen China und Europa ist diesbezüglich ein Kampf im Gange: China setzt stark auf das E-Auto, hat enorme Fertigungskapazitäten für Batterien und ist heute in der Lage, auch kleinere und günstigere Elektroautos anzubieten als Hersteller in Europa.

Was können KMU tun, damit sie angesichts der neusten Entwicklungen in zehn Jahren noch dabei sind?

Ich bin oft schockiert darüber, wie wenig in den Geschäftsleitungen über die Technologien und deren Chancen bekannt ist. Die Veränderungen in der Arbeit, der Mobilität, der Energie und bei künstlicher Intelligenz sind wirklich dramatisch. Ich würde jedem raten, eine gewisse Zeit pro Woche aufzuwenden, um sich weiterzubilden, an Kongresse oder Informationsveranstaltungen zu gehen, Neues auszuprobieren, zu lernen, Neues zu erfahren, neugierig zu werden. Das Gefährliche ist, einen Trend zu verpassen. Es kann Unternehmen in enorme Schwierigkeiten bringen, wenn andere günstiger und schneller Innovationen umsetzen können.

Lagen Sie mit Ihren Prognosen auch schon mal falsch?

Vor 19 Jahren nahm ich an, Wasserstoff würde sich als Nachfolger des Benzin- und Dieselmotors durchsetzen. Da lag ich falsch. Wir unterschätzten damals die Entwicklungsdynamik und das Potenzial der modernen Batterietechnologie.

Weitere Entwicklungen zur Mobilität? Der öffentliche Verkehr ist heute schon an den Grenzen.

Die Flaschenhälse der SBB gibt es vor allem wegen der Spitzenzeiten und deshalb, weil es vor Corona immer mehr Pendler gab. Wenn man das Netz effizienter auslasten kann, dann lösen sich schon viele Probleme, wie wir nun mit dem höheren Anteil von Homeoffice bereits erkennen können. Angesichts der demografischen Entwicklung wird die Bevölkerung in Europa aber eher schrumpfen und überaltern. Auch darum wird die autonome Mobilität eine Rolle spielen.

Welche?

Bei der individuellen Mobilität wird es auch darum gehen, wie lange ältere Menschen noch mobil sein können. Da gehört das ganze neue Feld der Service-Robotik mit dazu. Roboter werden nicht nur in der Lage sein, staubzusaugen, sondern uns auch zu unterstützen, damit wir nicht ständig auf Betreuungspersonen angewiesen sind. Sei es, indem der Roboter viele Aufgaben im Haushalt und in der persönlichen Betreuung und Pflege übernimmt. Wir gehen davon aus, dass der Robotikmarkt ein grösseres Potenzial haben wird als der Automobilmarkt heute. Da fliessen schon jetzt Milliardeninvestitionen rein. In den USA herrscht derzeit eine neue Goldgräberstimmung und auch in der Schweiz wird an den Instituten und Startups sehr viel geforscht und investiert. Zu Recht!