Die Bevölkerung in der Schweiz nimmt zu, das führt zu steigendem Wohnraumbedarf. Und diese Herausforderung kann nicht mehr einfach auf der grünen Wiese gemeistert werden, sondern muss unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit erfolgen und eine Optimierung der CO2-Bilanz mit sich bringen. Lange Zeit war «Neubau» der erste logische Reflex. Eine weiter anhaltende Zersiedelung ist aber nicht mehr wünschenswert. Doch wie ist die zwingend notwendige Quadratur des Kreises möglich? Wie lässt sich der zunehmende Anspruch auf Wohnraum nachhaltig erfüllen?
Der Autor
Atilla Färber, Mitgründer und CEO Raumpioniere AG, St. Gallen
Verdichtetes Bauen im Bestand
«Bauen ohne Land» ist eine Lösung. Statt weiter einzuzonen, wird das verdichtete Bauen – vor allem im Bestand – zur Maxime. Dabei verfügen städtische und ländliche Gebiete schweizweit über ein unterschiedlich grosses Potenzial für eine nachhaltige Verdichtung. In der Schweiz stehen rund 1,1 Millionen Einfamilienhäuser. Viele davon sind Ein- oder Zwei-Personen-Haushalte. An einem gut erschlossenen Ort könnten auf einer solchen Parzelle jedoch bis zu zwanzig Personen in sechs Wohnungen leben.
Angesichts zunehmend begrenzter Siedlungsflächen bei wachsender Bevölkerung wäre die Reduktion der Wohnfläche pro Person ein möglicher Hebel für nachhaltige Gebäude. Und eine langfristige Sicherstellung für den steigenden Bedarf an Wohnraum. Kleinere Wohnungen bringen zudem ökonomische Vorteile mit sich.
Potenzial aufdecken
Nachhaltig verdichtetes Bauen verlangt demnach, «versteckte Mehrfamilienhäuser» zu identifizieren und zu entwickeln. Hier braucht es Sensibilität seitens der Immobilienbesitzer. Der wichtigste und erste Schritt zur Schaffung nachhaltigen Wohnraums ist das parzellenscharfe Aufdecken des Verdichtungspotenzials. Der Vorteil: Das ungenutzte Potenzial einer bestehenden Immobilie in Prozent-, Kubik- und Quadratmeter-Angaben kann heute schnell erkannt und analysiert werden, indem sämtliche Parameter bei der Berechnung der Verdichtungsmöglichkeiten einfliessen. Dazu gehören alle relevanten Informationen zu den Bau- und Zonenordnungen der jeweiligen Gemeinde, allfällige öffentliche Eigentumsbeschränkungen wie Ortsbildschutz, Baulinien oder Sondernutzungspläne. Aber auch der effektive Sanierungsdruck aufgrund des Gebäudealters, letzter grösserer Renovationen, der Gebäudekategorie und der Bautätigkeit im Umfeld einer Liegenschaft sind wichtige Kennzahlen.
Verdichten heisst jedoch nicht, beliebig viele Wohnungen auf möglichst engen Raum zu packen. Vielmehr müssen Gebäude und Quartiere entstehen, in denen die Menschen sich zu Hause fühlen. Im Idealfall werden verschiedene Bedürfnisse befriedigt. Das heisst, Ältere und Jüngere, Familien oder unterschiedliche soziale Schichten sollen nicht nur angenehm wohnen, sondern auch einkaufen, arbeiten, die Schule besuchen und sich erholen können. Nachhaltige Verdichtung bedeutet, zukunftsweisende Wohn- und Lebenskonzepte zu entwickeln, mit Co-Working-Spaces, gemeinsam genutzten Freizeiträumen, Veloabstellplätzen oder auch einem Car-Sharing-Angebot innerhalb der Liegenschaft.
Verdichtung braucht Qualität
Weil die Identität eines Verdichtungsgebietes durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt wird, ist an jedem Ort neu zu prüfen, welche baukulturellen Qualitäten massgebend und welche Faktoren mit welchem Gewicht zu berücksichtigen sind. Im Vordergrund stehen immer und konsequent die Menschen. Klar ist, dass jedes Grundstück eine eigene Geschichte hat. Das verlangt, dass identitätsbildende Elemente immer erhalten bleiben. Wichtig ist auch, die optimale Dichte sorgfältig anhand ortsbaulicher Aspekte zu eruieren. Weil Verdichtungen immer Veränderungen mit sich bringen, müssen sie klar definiert und schrittweise realisiert werden. Der Wandel eines Quartiers braucht Zeit, und die betroffenen Menschen sollen in den Planungsprozess einbezogen werden. Die gestalterische Qualität ist überdies ein Schlüsselfaktor im Verdichtungsprozess und verlangt stets eine überzeugende Architektur.