Wer in ausserbörslich gehandelte Nebenwerte investieren möchte, braucht Spürsinn, sollte Bilanzen lesen können und vor allem viel Geduld haben. Im Gegensatz zu börsenkotierten Firmen, die sich nach den strengen Kotierungsrichtlinien der Schweizer Börse SIX richten müssen, gibt es für die ausserbörslich gehandelten Aktiengesellschaften fast keine Vorschriften. Nur einmal im Jahr ist die Gesellschaft verpflichtet, ihren Jahresabschluss nach den Vorgaben des Obligationenrechts (OR) zu publizieren. Und sie muss eine Generalversammlung durchführen. Weil die Rechnungslegung nach OR viel mehr Gestaltungsspielraum zulässt als der Schweizer Standard Swiss GAAP FER oder der internationale IFRS, verbergen sich in den Bilanzen einiger OTC-Werte wahre Schätze.

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Konkret: Beteiligungen, Liegenschaften, Maschinen und Anlagen können ebenso wie immaterielle Werte, also Markenrechte oder der als Goodwill bezeichnete Firmenwert bei Zukäufen, grosszügig abgeschrieben werden. Damit fällt der Gewinn durch hohe, nicht betriebsnotwendige Abschreibungen wesentlich geringer als notwendig aus. Das Anlagevermögen existiert zwar, ist aber in der Bilanz nicht mehr oder nur teilweise zu finden.

 

Unterbewertete Immobilien

Experten sprechen auch davon, dass hier «Gewinne versteckt» werden. Mit der Folge, dass die Gewinnausschüttungen in Form von Dividenden niedriger ausfallen und somit mehr Geld im Unternehmen verbleibt, das wieder investiert werden kann. Auch steuerlich können solche grosszügigen Abschreibungen bei den Firmen zu Vorteilen führen. Für die Analyse der Aktien eignen sich daher Kennzahlen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) nicht immer. Ein KGV fällt vielleicht aufgrund der versteckten Gewinne exorbitant hoch aus und macht einen Aktienkauf auf den ersten Blick unattraktiv. Es lohnt sich, einen zweiten Blick auf die Bilanz und die Erfolgsrechnung zu werfen und die getätigten Investitionen zu hinterfragen. Am besten gelingt dies bei einem Besuch vor Ort oder am Rande der Generalversammlung. So können Aktionäre wichtige Einblicke in die Struktur der Unternehmen und auch in deren Immobilienbesitz erhalten.

Gerade Letzterer ist es, der in den Bilanzen oftmals nicht mit Marktwerten bewertet ist, sondern über die Jahre abgeschrieben wurde. Insbesondere Firmen, zu deren Kerngeschäft nicht die Immobilienverwaltung gehört, korrigieren den Wert dieser «nicht betriebsnotwendigen Liegenschaften», soweit es die Rechnungslegung nach OR zulässt. Eine Bewertung der Objekte nach dem Marktwert ist für Aussenstehende schwierig, weil ihnen die Detailkenntnisse fehlen. Rückschlüsse lieferte früher der Brandversicherungswert für die Liegenschaften. Seit 2013 muss dieser allerdings nicht mehr in Anhang zur Jahresrechnung publiziert werden.

Spekulationen gehen nicht immer auf

Nicht immer gehen die Spekulationen mit den «stillen Reserven» auf. Denn dieses Tafelsilber wird nur vergoldet, wenn es zu Änderungen in der Buchhaltungspraxis kommt, die zu einem höheren Gewinnausweis und auch einer höheren Dividendenzahlung führen. Eine weitere Möglichkeit für Aktionäre, von der Substanz und den versteckten Reserven zu profitieren, sind Übernahmen, Fusionen oder Verkäufe von Immobilien oder Firmenteilen. Erst durch eine externe Unternehmensbewertung im Verkaufsprozess kommt dann der wirkliche Wert zum Vorschein.

Ob dann die Minderheitsaktionäre daran partizipieren können, ist nicht sicher. Jahrelang galt die FTB Holding in Brissago TI als Substanzperle mit hohen stillen Reserven. Die Hoffnung basierte auf einem Grundstück an exklusiver Lage direkt am Lago Maggiore, das sich perfekt für den Bau von teuren Luxuswohnungen eignete. Die Kurse für die einst ausserbörslich gehandelten Aktien schwankten über zehn Jahre zwischen 500 und 800 Franken, stets von der Hoffnung getragen, dass sich der Kurs bei einer Überbauung des Areals vervielfachen könnte. Doch die Kleinaktionäre hatten die Rechnung ohne den Hauptaktionär gemacht. Dieser unterbreitete 2018 ein Abfindungsangebot in der Höhe der letztbezahlten Kurse, gestützt durch ein Bewertungsgutachten, und baut in Brissago selber. Vom erhofften Geldsegen blieb für die Kleinaktionäre nicht viel übrig.

Viel besser lief es im Fall der Privatklinik Linde. Dank einem Bieterkampf zwischen dem Swiss Medical Network und der Hirslanden-Gruppe wurde für die Firma am Ende ein Preis gezahlt, der mit 3100 Franken weit über dem geschätzten Ertrags- und Substanzwert der Gesellschaft lag. Wer frühzeitig beim Bieler Spitalbetreiber eingestiegen war, konnte durch die Übernahmeschlacht binnen drei Jahren mindestens von einer Verdreifachung des Aktienkurses profitieren. Allerdings dümpelte auch hier der Kurs viele Jahre in einer Bandbreite von 700 bis 1000 Franken.