Hirslanden spannt jetzt mit der Migros-Tochter Medbase zusammen. Hier die noble Privatklinik-Gruppe, da der populäre Grossverteiler: Wie geht das zusammen?
Daniel Liedtke: Migros ist eine typische Schweizer Institution. Hirslanden wurde ebenfalls in der Schweiz gegründet und ist seit Jahrzehnten eine Schweizer Marke. Und wir haben denselben Auftrag wie Medbase: eine hervorragende Medizin für die Bevölkerung zu machen.
Was ist die Logik hinter Kooperation?
Wir bündeln Kompetenzen. Hirslanden steht für Akutmedizin, für qualifizierte, spezialärztliche Diagnostik und Behandlung; Medbase bietet fast in der ganzen Schweiz ambulante Erstversorgung, Nachversorgung und Prävention. Die Schnittstelle zwischen Allgemeinmedizin und Spezialmedizin auf der einen Seite und zwischen ambulant und stationär auf der anderen Seite hat Potential – wirtschaftlich und qualitativ. Dieses Potential wollen wir erschliessen. Das Schweizer System ist im internationalen Vergleich gut, aber es hat ein paar Nachteile und dazu gehören die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Medizin sowie zwischen Allgemeinmediziner und Facharzt. Diese wollen wir schliessen.
Daniel Liedtke, geboren 1970, ist seit 2019 CEO von Hirslanden, der grössten Privatklinikgruppe im Land. Ursprünglich Autoelektroniker, liess er sich zum Physiotherapeuten und Osteopathen ausbilden, dann studierte er Business Administration in Australien. Seine Karriere bei Hirslanden begann er in der Klinik St. Anna in Luzern, wo er zuletzt als stellvertretender Direktor amtierte. Zwischen 2008 und 2015 war er Direktor der Klinik Hirslanden in Zürich, 2015 wurde er COO des Konzerns, bis er 2019 Ole Wiesinger als CEO ablöste.
Was ändert sich für die Patienten – ganz konkret?
Wenn Sie heute gesundheitliche Beschwerden haben, gehen Sie zum Hausarzt, und der weist sie an den Spezialisten weiter, wenn es nötig ist. Bei uns braucht es keine Überweisung, denn unsere Spezialisten sind vor Ort – in der Medbase-Praxis. Als Patient bekommen Sie alles aus einer Hand und darüber hinaus entfallen Doppeluntersuchungen. Zudem bauen wir gemeinsam eine ambulante Radiologie auf. So werden die Patienten vor Ort untersucht und zentral von unseren Hirslanden-Partnerärzten – früher haben wir sie Belegärzte genannt – radiologisch befundet.
Und wenn ein Patient am Ende stationär behandelt werden muss, kommt er in eine Hirslanden-Klinik?
Das hoffen wir.
Das heisst, die Kooperation kommt so den Kliniken zu Gute. Ihr Problem ist ja, dass die Patientenzahlen im – lukrativen – stationären Bereich abnehmen, während die im – meist defizitären – ambulanten Bereich zunehmen.
Zugespitzt kann man das so sagen. Die Medbase-Zentren gewinnen, weil sie die Kompetenzen unserer Fachärzte bekommen. Wir profitieren, wenn es zu einer stationären Behandlung kommt. Gemeinsam betreiben wir die radiologische Diagnostik für die Patientinnen und Patienten, die wiederum von einer durchgängig abgestimmten Behandlungskette profitieren.
Bis vor kurzem setzte Hirslanden auf eigene Ambulatorien. Ist das schon wieder passé?
Wir richten uns neu aus, das stimmt. Für wohnortsnahe Praxiszentren mit Grundversorgung suchen wir Partner, ambulante Operationszentren betreiben wir kliniknah selber. Das ist unsere Zukunft. Deshalb verkaufen wir unsere Praxiszentren in Schaffhausen, Bern und Düdingen ja auch an Medbase.
Wird in der Schweiz noch immer zu viel operiert?
Eine schwierige Frage. Laut Statistik haben wir ungleiche Verteilungen nach Regionen. Die Frage ist: Haben die Gegenden, die tiefere Werte haben, eine Unterversorgung? Oder sind die anderen Gegenden überversorgt?
Was ist Ihre Antwort?
Wir glauben, dass die Versorgung über unabhängige Teams gesteuert werden muss, sogenannte Indikationsboards, in denen auch nicht betroffene Spezialisten sitzen und mitentscheiden, ob man nun einen bestimmten Wirbelsäulenpatienten operieren muss oder ob er mit einer Physiotherapie behandelt werden kann. Also genau das, was wir mit Medbase jetzt machen werden.
«Es ist in der Tat so: Wer konservativ behandelt, neigt dazu, eher konservativ zu behandeln, und wer invasiv behandelt, neigt eher zur Operation.»
Sie sind ausgebildeter Physiotherapeut: Sie wissen, wovon Sie sprechen.
Ja, ich habe auch in dem Beruf gearbeitet. Es ist in der Tat so: Derjenige, der konservativ behandelt, neigt dazu, eher konservativ zu behandeln, und wer invasiv behandelt, neigt dazu, eher zu operieren. Diesen Teufelskreis muss man durch interprofessionelle Teams durchbrechen.
Bis vor kurzem kauften sich Hirslanden und die zweitgrösste Privatspitalkette Swiss Medical Network SMN gegenseitig Kliniken vor der Nase weg. Täuscht der Eindruck oder ist das vorbei?
Wir haben uns neu ausgerichtet in den vergangenen zwölf Monaten. Ich bin überzeugt, dass wir uns in ambulant-stationären Versorgungsregionen organisieren müssen. Es macht für uns nur Sinn, eine Klinik zu kaufen oder weiter zu betreiben, wenn sie in diesem ambulant-stationären Versorgungsgefüge eine Rolle spielen kann. Wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir schliessen eine Klinik, oder wir verkaufen – wie wir das bei der Klinik Belair in Schaffhausen gemacht haben. Die gleiche Logik gilt auch, wenn es darum geht, den Kauf einer Klinik zu prüfen. Früher mag es Sinn gemacht haben, sich gegenseitig die Kliniken abzujagen. Mit unserer Neuausrichtung ist das nicht mehr sinnvoll.
Was war der Treiber dieser Strategieänderung? Die vom Bundesrat verordneten Preissenkungen im ambulanten Bereich?
Nein. Treiber ist die Medizin, die klar in Richtung ambulante Versorgung geht.
Das bislang kantonale Hôpital du Jura gehört nun zu 30 Prozent der SMN. Ist das ein Spezialfall in einer Randregion – oder der Anfang einer Privatisierungswelle?
Wir haben das Thema Hôpital du Jura auch geprüft, und kamen zum Schluss, dass diese Beteiligung nicht in unsere Strategie passen würde. Klar ist: Wir haben mehrere Kooperationen, unter anderem mit dem Genfer Unispital HUG und dem Kantonsspital Baselland. Ob es dann einmal zu einer Übernahme eines öffentlichen Hauses kommt, ist für uns eine sekundäre Frage. Entscheidend ist: Passt eine Beteiligung in unsere regionale Versorgungsstrategie?
Ihr Vorgänger Ole Wiesinger war immer gut für eine Provokation. Er wandte sich an Politiker und sagte: Übertragt uns das Management der öffentlichen Spitäler, wir können das besser. Wie würde Daniel Liedtke reagieren, wenn jetzt der Stadtrat von Zürich sagen würde: Okay, übernehmt für uns das Triemli-Spital?
Wir würden uns das anschauen – aber nicht, weil das Triemlispital schlecht verwaltet wäre. Ich kenne die Direktoren der öffentlichen Spitäler, wir sind Kollegen, das sind gute Leute.
Sondern?
Weil das Triemli in der Hirslanden-Versorgungsregion Zürich liegt und weil wir überzeugt sind, dass wir Mehrwert schaffen könnten. Aber Aussagen wie: «Wir können das besser» – das überlasse ich anderen im Markt.
Es gibt die These, dass in den nächsten zehn Jahren 25 Prozent der Spitalbetten verschwinden. Ist das realistisch?
Klar ist: Die Ambulantisierung ist eine gute Sache, und als Gesundheitskonzern ist es unsere Pflicht, diese voranzutreiben. Das wird zum Abbau von Betten und zu Spitalschliessungen führen – wieviele es tatsächlich sind, werden wir dann sehen. Ich bin überzeugt, dass diejenigen Häuser überleben, welche die Verzahnung mit dem ambulanten Sektor hinkriegen.
Hirslanden ist die grösste Privatklinikgruppe der Schweiz: Sie umfasst 17 Kliniken, ferner diverse Praxis- und Operationszentren sowie Radiologieinstitute. Mit gut 12'000 Mitarbeitenden ist Hirslanden zudem einer der grössten Arbeitgeber im Schweizer Gesundheitswesen. Hirslanden-Kliniken betreuten im letzten Geschäftsjahr 2018/2019 gut 107'000 stationäre Patientinnen und Patienten, der Umsatz erreichte knapp 1,8 Milliarden Franken.
Hirslanden gehört zum Mediclinic International; der Konzern hat seinen Sitz in Südafrika hat und an der Londoner Börse kotiert ist. Die Spitalgruppe zeichnete sich lange durch wunderbare Ebitda-Margen über 20 Prozent aus, doch die Rentabilität kam in den letzten drei Jahren unter Druck und näherte sich 17 Prozent an. Gründe: der Trend zur ambulanten Medizin, tiefere Tarife, strengere Mindestfallzahlen.
Wieviele Spitäler verschwinden, entscheiden letztlich Herr und Frau Schweizer, und die wollen ihr öffentliches Spital behalten – möglichst vor der Haustür. Jeder Politiker, der bei einem Spital Hand anlegt, riskiert die Abwahl.
Das glaube ich nicht. Herr und Frau Schweizer, und zu denen zähle ich mich auch, wollen eine wohnortsnahe Versorgung – und das ist auch richtig so: Je älter und kränker die Menschen werden, desto wichtiger wird die Nähe zu qualitativ hochstehender, medizinischer Versorgung. Es macht keinen Sinn, über die Frage zu diskutieren, wie viele Spitäler verschwinden werden. Entscheidend ist: Wie sieht eine sinnvolle wohnortsnahe Versorgung aus? Kann ein Politiker diese Frage überzeugend beantworten, riskiert er nicht die Abwahl. Davon bin ich überzeugt.
Welche Therapiefelder haben am meisten Wachstumspotential?
In der Grundversorgung sind das die grossen Fachgebiete: Chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf und Diabetes, Bewegungsapparat und Krebsmedizin.
Was ist mit Schönheitschirurgie oder Burnout-Therapien?
Das sind Nischen. Unser Konzept ist ein anderes. Wir machen qualitativ hochstehende, möglichst wohnortsnahe Versorgung für alle Versicherungsklassen.
«Wir studieren die politische Situation sehr sorgfältig, aber ich mache keine Politik. Ich führe einen Konzern.»
Es gibt ein Hauptthema im Gesundheitswesen: die Kosten. Die stetig steigenden Krankenkassenprämien. Was würden Sie tun, wenn Sie an der Stelle von Bundesrat Alain Berset stünden?
Grundsätzlich wollen wir das gleiche: eine gute und effiziente Versorgung. Aber ich äussere mich nicht dazu, was Alain Berset tun oder lassen soll.
Da war ihr Vorgänger anders.
Wir studieren die politische Situation sehr sorgfältig, aber ich mache keine Politik. Ich führe einen Konzern.
Auch Swiss-Medical-Network-Chef Antoine Hubert haut gerne mal auf die politische Pauke. Wie ist ihr Verhältnis zu ihm?
Wir sind Kollegen, wir tauschen uns aus. Das tue ich aber auch mit andern Spitalchefs.
Wie sehr sitzt Ihnen eigentlich Mediclinic im Nacken, die Besitzerin von Hirslanden? Immerhin ist der Konzern börsenkotiert.
Das ist auch so ein Vorurteil – dass der Hirslanden-Chef Vorgaben aus Südafrika bekommt.
Haben Sie keinerlei Druck?
Was heisst Druck? Ich bin Teil der Geschäftsleitung von Mediclinic. Ich formuliere also die Vorgaben mit, an die ich mich anschliessend halten muss. Und ich würde keine Vorgaben mittragen, die ich nicht für realistisch halte.
Im vergangenen Geschäftsjahr sank die Ebitda-Marge der Hirslanden-Gruppe von 18,3 auf 16 Prozent. Was tun Sie, um den Rückgang bei der Marge zu stoppen?
Wir werden versuchen, neue Umsatzkanäle auch für Gesunde zu erschliessen und optimieren den laufenden Betrieb kontinuierlich. In den letzten neun Monaten sind wir bereits ein gutes Stück vorwärtsgekommen.
Wie wollen Sie das machen?
Unser Konzept ist die medizinische Begleitung entlang des Lebensweges eines Menschen. Das impliziert neben der medizinischen Behandlung und der Nachsorge auch die Prävention für gesunden Menschen. Wir sind überzeugt, dass sich hier neue Geschäftsfelder auftun werden.
Zum Beispiel?
Wir werden zukünftig immer mehr über die genetische Disposition wissen. Damit wird die genetische Beratung gesunder und kranker Menschen ein Thema werden. Wir wollen hier eine Rolle spielen.
Das heisst, Hirslanden wird in ein paar Jahren deutlich anders aussehen.
So ist es. Wir wollen von der Prävention bis zur Alterspflege für die Menschen da sein und erschliessen damit neue Ertragsquellen. Gleichzeitig optimieren wir unser bestehendes Geschäft. Ins gleiche Kapitel fällt die Gründung von Ambulatorien. Wir werden an unseren grösseren Standorten mit Notfallversorgung ambulante Operationszentren eröffnen. Das ist viel effizienter als in den Kliniken.
«Die Zusammenarbeit mit Partnern stellt viel höhere Anforderungen an die Informatikinfrastruktur. Wenn Daten das Haus verlassen, dann muss das sicher geschehen.»
Ihre Kollegen vom Zürcher Unispital und vom Berner Inselspital haben ein regelrechtes Cockpit, damit sie die wichtigsten Kennzahlen jederzeit im Blick haben können. Welche Zahlen schauen Sie sich jeden Tag an?
Ich habe kein Cockpit. Ich habe nur wenige Kennzahlen im Auge. Ich schaue auf die Patienteneintritte, auf den Personal- und Materialeinsatz und zunehmend auf die Informatikkosten.
Warum Infomatikkosten? Zunehmende Anforderungen an die Sicherheit? Big Data?
Es ist ein bisschen von allem. Die Sicherheit ist ein Punkt. Die Zusammenarbeit mit Partnern stellt viel höhere Anforderungen an die Informatikinfrastruktur. Wenn Daten das Haus verlassen, dann muss das sicher geschehen. Zudem setzen wir zunehmend auf Automatisierung, beispielsweise in der Rechnungsstellung. Das spart zwar Ressourcen beim Personal, erfordert aber mehr Mittel bei der Informatik. Dazu kommt, dass wir es beim Datenmanagement und bei Künstlicher Intelligenz mit Software zu tun haben, die man nicht so einfach kaufen kann.
Was kann man da noch nicht kaufen?
Das beginnt mit so trivialen Sachen wie: Wie kann man ein Abrechnungssystem, das von Kanton zu Kanton und auch noch nach Spezialisierungsgrad der behandelnden Ärzte unterschiedlich ist, so weit bringen, dass es die Rechnungsstellung selbstständig bewältigt? Dann wird es darum gehen, die Behandlung und die Diagnostik mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu verbessern. Die Weiterentwicklung der datengetriebenen Diagnostik machen wir auf Konzernebene. Das ist einer der Synergie-Effekte, die sich in einem internationalen Konzern ergeben.
Big Data ist ein Topthema in der medizinischen Forschung. Geht es bei der Kooperation mit Medbase auch darum, die Datenbasis für interne oder externe Forschungsprojekte zu verbreitern, um Hirslanden für die Forschung attraktiver zu machen?
Nein, das steht nicht im Vordergrund.
Sondern?
Die Verbreiterung des Angebotes und der Datenbasis macht uns zu einem interessanten Partner für die Versicherungen.
Inwiefern?
Es geht darum, gemeinsam Versicherungsprodukte zu entwickeln, welche die ambulante als auch die stationäre Behandlungskette abdecken. Zum Beispiel, wenn ein Privatversicherter heute ambulant operiert wird, dann profitiert er nicht von dem Mehrwert seiner stationären Privatversicherung, sondern er wird wie ein Allgemeinversicherter behandelt. Das heisst, alle Vorteile, die er als Privatversicherter sonst hat wie freie Arztwahl oder die individuelle Betreuung, fallen im ambulanten Bereich weg. Das verstehen die Patienten nicht. Wir wollen das ändern.
Inwiefern hilft Ihnen die Kooperation mit Medbase da weiter?
Indem die Kolleginnen und Kollegen von Medbase und wir die Köpfe zusammenstecken, um gemeinsam mit den Versicherungen kreative und sinnvolle Produkte für alle Versicherungsklassen zu entwickeln.
Gibt es solche Versicherungsprodukte heute noch gar nicht?
Doch, aber erst in bescheidenem Umfang. Doch das Interesse der Versicherer, mit uns zusammenzuarbeiten, ist vorhanden. Das ist wichtig: Denn die Leistungserbringer und Versicherer haben sich in den vergangenen Jahren auseinandergelebt. Die Spitäler und Ärzte leben in ihrer Welt und die Versicherer in einer anderen. Wir aber sind der Meinung, dass das falsch ist. Versicherer und Leistungserbringer müssen sich wieder als Partner und nicht mehr als Gegner verstehen. Die Versicherer verkaufen immerhin unserer Leistungen für den Ernstfall. Und früher hat man die Produkte ja auch zusammen entwickelt.
Wenn man Sie hört, dann hat man den Eindruck: Da spricht eher der Physiotherapeut, der weiss, was es heisst, am Patienten zu arbeiten, als der Spitalmanager, der Sie danach geworden sind.
Es ist doch schon eine Weile her, dass ich in dem Beruf gearbeitet habe. Aber es ist schon so: Ich denke aus der Sicht des Patienten. Und ich bin fest davon überzeugt, dass sich das Gesundheitswesen am Patienten ausrichten muss.
Wenn man Ihre Kollegen in anderen Spitälern nach ihrer grössten Sorge fragt, dann sagen sie: Personal, Personal, Personal. Was tun Sie, um die Leute zu halten?
Wir glauben, dass wir wegkommen müssen von den reinen Führungskarrieren – gerade in der Pflege, wo der Mangel ja am grössten ist. Jahrelange hatte man in der Pflege nur eine Möglichkeit, wenn man sich weiter entwickeln wollte: In der Hierarchie aufzusteigen oder allenfalls noch sich fachlich zu spezialisieren.
Welche Möglichkeit sehen Sie noch?
Pflegekräfte übernehmen bei uns zunehmend ärztliche Aufgaben wie Aufklärungsarbeiten oder organisatorische Aufgaben an den Schnittstellen zwischen Arzt, Pflege und Patienten. Man nennt das «Advanced nursing». Das stärkt die Attraktivität des Pflegeberufs. Denn: Nicht alle sind für Führungsaufgaben gemacht und nicht jeder sucht die Spezialisierung. Aber es gibt Pflegende - und auch Therapeuten -, die noch stärker in die medizinische Verantwortung eingebunden werden wollen. Darüber hinaus glaube ich, dass man Pflegekräften die Möglichkeit geben soll, ausserhalb der Pflegehierarchie aufzusteigen. Wir tun das – und zwar erfolgreich. Zwei unserer Klinikdirektorinnen kommen aus der Pflege.
«Bei den Banken bestimmt Angebot und Nachfrage den Lohndeckel, bei uns ist es die Regulierung.»
Andere Spitaldirektoren sprechen von Kinderkrippen und Work-Life-Balance, wenn es um Personal geht.
Das ist selbstverständlich. Darüber müssen wir nicht mehr sprechen.
Zahlt Hirslanden besser als öffentliche Spitäler?
Das würde ich nicht sagen. Wir zahlen durchschnittlich.
Warum kommt eigentlich die Lohnspirale nicht mehr in Gang, wenn das Personal doch so knapp ist?
Gute Frage. Ich denke, das ergibt sich aus der Tatsache, dass das System am Schluss an den Kosten sowie den Prämien gemessen und auch gesteuert wird. Die Mittel sind begrenzt.
Welche Rolle spielt der Staat?
Der Staat reguliert unsere Tätigkeit zu Lasten der Krankenversicherung mittels Spitallisten, er betreibt selber Spitäler und er definiert die Tarife. Wir müssen schauen, dass wir mit diesen Tarifen mit Gewinn arbeiten können.
Aber es ist schon verblüffend: Die Banken zahlen Millionenhonorare, obwohl der Personalmangel hier längst nicht so akut ist.
Bei den Banken bestimmt Angebot und Nachfrage den Deckel, bei uns ist es die Regulierung.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Steuern wir auf eine Pflegekatastrophe zu?
Das glaube ich nicht. Die Schweiz ist immer noch attraktiv für Pflegende. Sie haben hierzulande mehr Kompetenzen als zum Beispiel im europäischen Ausland. Zudem arbeiten die meisten in der Pflege, weil sie zutiefst intrinsisch motiviert sind – und nicht, weil sie das grosse Geld lockt.
Ist unser Gesundheitssystem gesund?
Unbedingt. Ich arbeite im internationalen Sciana-Netzwerk der Careum-Stiftung mit, die das Ziel hat, die Gesundheitssysteme weltweit zu vergleichen und voreinander zu lernen. Und diese Arbeit zeigt mir: Gesundheitssysteme sind immer ein Abbild der Politik und der Gesellschaft. In der Schweiz gibt es zwar Verbesserungspotential, etwa in der Verzahnung der ambulanten und der stationären Medizin – es braucht aber keinen Systemwechsel. Unser Gesundheitswesen muss den internationalen Vergleich überhaupt nicht scheuen.
Was tun Sie, um gesund zu bleiben?
Ich treibe regelmässig Sport und ich esse vernünftig.
Wirklich keine Laster?
Doch – viel Kaffee!