In Ihrem Büro ist es heiss. Eine Klimaanlage brauchen Sie nicht?
Antoine de Saint-Affrique: Ich kann gut ohne leben. Und es hat einen positiven Nebeneffekt: Unsere Leute sind dann eher draussen bei den Kunden (lacht).

Ihr Geheimtrick?
Nein, es ist ein zertifiziertes «grünes» Gebäude und hat keine Klimaanlage. Aber wir brauchen keine glamouröse Zentrale. Bei uns steht nicht der Hauptsitz im Zentrum, sondern der Kunde. Das Leben meiner Mitarbeitenden findet draussen statt.

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Sind Sie oft draussen?
Die Hälfte bis zwei Drittel meiner Zeit bin ich unterwegs. Letzte Woche war ich in Belgien und in der Türkei, davor in Singapur, den USA und Kamerun.

Auf den Kakaoplantagen oder bei den Kunden?
Beides, aber auch der Kontakt zu den Mitarbeitenden vor Ort ist wichtig. Nur so bleibe ich dran, werde mit dem Innern des Unternehmens noch vertrauter.

Sie haben soeben den Grundstein für eine grosse Fabrik in Indien gelegt. Wie gut läuft das Geschäft auf dem Subkontinent?
Schokolade hat eine lange Tradition in Indien, auch dank dem britischen Hersteller Cadbury, es gibt auch viele hervorragende lokale Produzenten. In Mumbai gibt es viele Patissiers und semiprofessionelle Bäcker, die köstliche Dinge herstellen. Wir liefern ihnen die Schokolade.

Der Schweizer isst 8 Kilogramm Schokolade pro Jahr, der Inder kaum zwei Tafeln.
Stimmt, aber der Markt entwickelt sich rasant.

Was zeigen Ihre Zahlen?
Wir geben keine Zahlen für einzelne Länder bekannt. Aber Indien ist ein wichtiger Wachstumsmarkt für uns. Vor zwölf Jahren haben wir angefangen, in Indien zu investieren. Vor fünf Jahren bauten wir dort eine erste Schokoladenfabrik. Ruby haben wir in Indien lanciert.

In den ersten drei Quartalen hat Barry Callebaut in Europa gut 730 000 Tonnen Schokolade verkauft, in Asien waren es knapp 90 000 Tonnen. Die Musik spielt nicht in Asien.
Asien hat Potenzial, es gibt viele Menschen, einen tiefen Pro-Kopf-Konsum und eine wachsende Mittelschicht. Und auch das Potenzial für Outsourcing ist riesig, die Märkte sind sehr fragmentiert, und viele Süsswarenhersteller – oft sind es Familienunternehmen – produzieren ihre Schokolade noch selbst.

Was unterscheidet den asiatischen Schokoladengeschmack vom europäischen?
Zunächst: Den asiatischen Geschmack gibt es nicht. Das Premiumsegment entwickelt sich sehr gut in Asien – hier dominieren die globalen Trends. In den Städten boomen französische Patisserien. Einige internationale Brands wie Magnum verkaufen sich in der ganzen Region sehr gut und setzen Qualitätsstandards.

Mit Ihrer Schokolade.
Genau. Daneben gibt es viele lokale Vorlieben – wie im Rest der Welt. Die Japaner mögen dunkle Schokolade. Die Schweizer lieben Milchschokolade, seit es Henri Nestlé gelang, Milch und Kakao zu verbinden. Den Franzosen kann die Schokolade nicht dunkel genug sein und bei den Amerikanern muss Schokolade süss schmecken. In Peru gibt es sogar ein Fleischgericht mit Schokolade.

Und welcher Schokoladentyp sind Sie? Der französische?
Ich liebe in der Tat dunkle Schokolade. Aber ich bin neugierig und probiere auch gern neue Kreationen.

Antoine Saint-Affrique, CEO Barry Callebaut,fotografiert in Zürich am 23.07.2019

«Bin ich zufrieden mit unsere Fähigkeit zur Innovation? Nie. Sind wir vorne mit dabei? Ja.»

Quelle: Salvatore Vinci salvatorevinci.c

Andreas Jacobs, Ex-Präsident von Barry Callebaut, sagte einmal, er esse eine Tafel Schokolade pro Tag. Wie viel ist es bei Ihnen?
Mehrere Tafeln pro Woche sind es sicher. Bei uns im Büro dreht sich alles um Schokolade. Wir degustieren Schokolade, essen sie während der Sitzungen. Aber Schokolade gehörte schon immer zu meinem Leben. Meine Mutter ist in den frühen dreissiger Jahren mit Schokolade von Cacao Barry aufgewachsen. Ich habe übrigens eine Angewohnheit, die meinen Kindern sehr unangenehm ist.

Nämlich?
Wenn wir in einem Restaurant essen, schaue ich mir nach dem Essen die Dessertkarte an – in der Regel ist darunter auch ein Dessert mit Schokolade. Dann frage ich den Kellner, von wem sie die Schokolade beziehen. Wenn er das nicht weiss – was meistens der Fall ist –, bitte ich ihn, mir entweder die Packung oder den Küchenchef zu bringen.

Das ist der Moment, in dem Ihre Kinder am liebsten unter den Tisch kriechen?
Genau (lacht). Arbeitet der Chef bereits mit unseren Produkten, bedanke ich mich und stelle sicher, dass er Proben unserer neuesten Produkte erhält.

Und wenn er Ihre Produkte nicht kennt?
Dann erhält er am nächsten Tag einen Anruf von unserem Produktmanager. Denn: Es gibt keine kleinen Kunden. Es gibt nur Kunden.

Offizier und Geschäftsmann

Name: Antoine de Saint-Affrique

Funktion: CEO Barry Callebaut

Alter: 54

Familie: verheiratet, vier Kinder

Ausbildung: Business-Abschluss an der ESSEC (École Supérieure des Sciences Économiques et Commerciales), Führungsausbildung an der Harvard Business School

Karriere: 2011 bis 2015: Chef der Food-Sparte von Unilever und Mitglied der Geschäftsleitung 2009 bis 2011: Chef der Skin-Sparte von Unilever (Dove, Lux u. a.) 2005 bis 2009: Chef Zentral- und Osteuropa bei Unilever (21 Länder) vor 2000: Vizepräsident und Partner bei Amora Maille, einem Lebensmittelunternehmen, das von Danone übernommen wurde 1987 bis 1988: Offizier in der französischen Marine

Sonstiges: Nicht-exekutiver Verwaltungsrat des Linsenherstellers Essilor seit 2004: Conseiller du Commerce Extérieur der französischen Regierung

Barry Callebaut ist vor allem im Industriegeschäft tätig. Sind Sie innovativ genug?
Darauf gibt es zwei Antworten. Wenn mich mein Team fragt: Sind wir innovativ genug? Dann antworte ich: Nein, nie. Ein Unternehmen darf sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, sondern muss die Grenzen ständig verschieben. Ich nenne dies «konstruktive Unzufriedenheit». Das bringt uns weiter.

Und die zweite Antwort?
Natürlich sind wir innovativ, wir sind Vorreiter. Der neue Schokoladentyp Ruby ist unser Baby und nach Meinung vieler Experten die grösste Innovation, seit Nestlé vor achtzig Jahren die weisse Schokolade erfand. Wir liefern die Schokolade für das vegane Magnum, das Unilever letztes Jahr auf den Markt brachte – eine ihrer erfolgreichsten Lancierungen. Wir pflegen bei uns eine Kultur der Innovation. Wir haben 200 Küchenchefs als Markenbotschafter, die den Finger am Puls des Markts haben oder selbst Trends setzen. Dazu kommt unser profundes Wissen über Kakao sowie die biologischen und technischen Prozesse, die zur Produktion von Schokolade nötig sind.

Vegan ist in den USA seit zehn Jahren ein Trend. Sie sind spät dran.
Den Trend gibt es in der Tat schon länger. Vegan war lange nur ein Nischenthema, nun hebt es ab. In den letzten zwölf Monaten hat es sich stark beschleunigt. Milchfreie Schokolade herzustellen, ist übrigens nicht schwer. Schwierig wird es, wenn sie genau so gut schmecken soll wie Milchschokolade. Und das ist uns gelungen. Wir sind weltweit der grösste Hersteller von veganer Schokolade.

Antoine Saint-Affrique, CEO Barry Callebaut,fotografiert in Zürich am 23.07.2019

Antoine de Saint-Affriques mit den Redaktoren Seraina Gross und Stefan Barmettler (rechts).

Quelle: Salvatore Vinci salvatorevinci.c

Die erste Schokolade ohne Zucker kam nicht von Barry Callebaut, sondern von Nestlé.
Ich will die Erfolge von Nestlé hier nicht kommentieren. Nochmals: Bin ich zufrieden mit unserer Innovationsfähigkeit? Niemals. Sind wir ganz vorne mit dabei? Ja, davon bin ich überzeugt.

Ernst Tanner von Lindt & Sprüngli sagte über Ruby: Geschmacklich nicht überzeugend, aber gutes Marketing. Wie gut läuft Ruby?
Ruby ist bereits in mehr als fünfzig Ländern erhältlich und die Volumen sind recht gut.

Zeigt Ruby eben nicht gerade das Gegenteil? Dass die Industrie nicht genügend innovativ ist? Ruby ist nicht Rocket Science.
Das sehe ich anders. Wir betreiben ja auch Grundlagenforschung. Dabei stiessen wir auf Kakaobohnen, die Schokolade mit beerig- fruchtigem Geschmack und rosa Farbe ermöglichen, wohlgemerkt ohne jede Zugabe von Farbstoffen oder Zusätzen. Dann ging es darum, diese Bohnen zu identifizieren und Verfahren zu entwickeln, welche die einzigartigen Merkmale der Bohne erschliessen. Hinter Ruby stecken jahrelange Forschung und Entwicklung.

Sie machen nur 12 Prozent des Umsatzes im Gourmet- und Spezialitätenbereich. Ist das nicht zu wenig? Immerhin dürften die Margen hier höher liegen als bei den Industriekunden.
Die Sparte ist in den vergangenen Jahren schneller gewachsen als der Rest des Geschäfts. Der Zuliefermarkt für Chocolatiers, Patissiers und Restaurants ist sehr dynamisch.

Wo wollen Sie hin mit der Sparte?
Wir geben keinen Ausblick nach Sparten und auch keine Jahresziele. Das Outsourcing ist Teil unserer Wachstumsstrategie. Aber solche Transaktionen ergeben sich nicht alle Tage. Unser mittelfristiges Ziel lautet: ein durchschnittliches Volumenwachstum von 4 bis 6 Prozent und ein Betriebsergebnis über dem Volumenwachstum in Lokalwährungen. Wir wollen langfristig Werte für unsere Stakeholder schaffen.

Dreijahresziele sind bequemer für Sie.
Glauben Sie mir: In unserem Geschäft kann man sich nie zurücklehnen. Aber für uns sind langfristige Ausrichtung und Wettbewerbsfähigkeit kein Widerspruch. Wir müssen gleichzeitig langfristig denken und wettbewerbsfähig bleiben.

Nochmals die Frage: 66 Prozent des Umsatzes kommen aus der Industrie. Soll es eine Bewegung weg vom Industriegeschäft hin zu den Spezialitäten geben?
Das Geschäft mit Industriekunden bleibt unser Kerngeschäft. Es ist ein attraktives Geschäft mit viel Potenzial. Noch immer produziert fast die Hälfte der Süsswarenhersteller ihre Schokolade selbst. Wir helfen unseren Kunden zu wachsen, also wachsen wir auch.

Also keine Verschiebung beim Produktemix – von der Industrie zur Spezialität?
Das sind ganz unterschiedliche Geschäftsfelder: andere Kanäle, andere Kunden, andere Zyklen. Aber es gibt Synergien: Unser Industriegeschäft profitiert vom Savoir-faire, das wir im Gourmetgeschäft erwerben. Wir stellen nicht einfach «nur» Schokolade her.

Ihr Aktionariat ist zum grössten Teil schweizerisch. Glücklich?
Ja, wir haben ein tolles Aktionariat. Wir sind sehr glücklich in der Schweiz. Barry Callebaut ist aus der Fusion eines französischen und eines belgischen Unternehmens entstanden. Es gibt keinen besseren Ort als die Schweiz, um so eine Fusion zum Erfolg zu führen (lacht)! Wir haben hier starke Wurzeln und sind gleichzeitig ein wirklich internationales Unternehmen. Hier in diesem Gebäude arbeiten mehr als 300 Leute aus 40 Nationen.

«Die Kakaobauern müssen vom Anbau leben können, sonst investieren sie nicht in die Kulturen.»

Sie kamen von Unilever, wo sie mehr Umsatz verantworteten als bei Barry Callebaut.
Grösse ist nicht alles. Es geht um den Gestaltungsspielraum, die Qualität des Geschäfts und die Leidenschaft der Mitarbeitenden. Ganz abgesehen davon, dass 7 Milliarden Umsatz eine gute Grösse ist: gross genug, um im Markt Gewicht zu haben, und klein genug, um sich noch um Details kümmern zu können. Wir haben die Vorteile einer grossen Organisation, sind aber noch genügend agil, um schnell zu reagieren.

Wie führen Sie? Französisch?
Ich würde meinen Führungsstil eher als europäisch bezeichnen. Es ist das Resultat aus verschiedenen Einflüssen und Kulturen, die mich geprägt haben. Ich bin zwar Franzose von Geburt, habe Frankreich aber 1994 verlassen.

Schoggi-Champion

Barry Callebaut ist seit der Übernahme des Kakaogeschäfts von Petra Foods 2013 der grösste Schokoladenhersteller der Welt. Kerngeschäft des Unternehmens ist die Belieferung industrieller Kunden mit Halbfabrikaten und Schokolade. Auf der Kundenliste steht das Who is Who der Lebensmittelindustrie: Nestlé, Hershey, Unilever.

Barry Callebaut wird zu 50,1 Prozent von der Jacobs Holding kontrolliert. Nach dem Ausscheiden von Andreas Jacobs (Verwaltungsratspräsident von Barry Callebaut bis 2016) wird die Holding von Nicolas und Philippe Jacobs gemeinsam geführt, den beiden Söhnen von Renata Jacobs, Witwe des 2008 verstorbenen Patrons Klaus J. Jacobs.

Ruby: Schokolade in Pink.

Ruby: Schokolade in Pink.

Quelle: ZVG

Sie dienten in der französischen Marine als Offizier. Hat das Spuren in Ihrem Führungsstil hinterlassen?
Ja. Wenn Sie als junger Mann ein Schiff führen und Leute im Team haben, die doppelt so alt sind und vierzigmal so viel Erfahrung haben, lernen Sie, wie wichtig es ist, Vertrauen in die Fähigkeiten Ihrer Leute zu haben.

Geht es im Militär nicht um Befehl und Gehorsam?
Die Marine hat flache Hierarchien. Es ist eine informelle und egalitäre Welt. Ein Sturm auf hoher See trifft alle gleich. Ich habe mit meiner Mannschaft einmal 13 Monate auf See verbracht. Da leben Sie miteinander. Aber natürlich ist es auch da wichtig, Ziele vorzugeben und Grenzen zu setzen.

«Lateinamerika holt mächtig auf. Auch Brasilien kommt wieder, ebenso Kolumbien.»

Und jetzt sind Sie Kapitän auf der Barry Callebaut?
Ja, aber der Sinn für Gemeinschaft ist mir geblieben. Ich gehe zu den Leuten – und nicht umgekehrt –, spreche mit ihnen, höre zu. Und ich lege keinen Wert auf Formalitäten. Meine Tür ist offen.

Bis 2025 sollen Ihre Produkte zu 100 Prozent aus nachhaltigem Kakaoanbau stammen. Die ersten Nachhaltigkeitsvereinbarungen in der Schokoladenindustrie sind 15 Jahre alt. Was ist diesmal anders?
Wir haben Nachhaltigkeit zu einem Bestandteil unseres Geschäftsmodells gemacht. Wenn Sie nur aufs nächste Quartalsergebnis fokussieren, mag Nachhaltigkeit keine hohe Priorität haben. Aber wenn man wie wir auf lange Sicht ein Geschäft aufbauen und betreiben will, ist Nachhaltigkeit existenziell.

Wie gehen Sie vor?
Sehr fokussiert. Die Bauern müssen vom Kakaoanbau anständig leben können. Sonst investieren sie nicht mehr in ihre Kulturen. Zudem haben wir uns verpflichtet, dafür zu sorgen, dass es keine Kinderarbeit mehr gibt in unserer Lieferkette. Bis 2025 wollen wir überdies eine positive Bilanz bei CO2-Emissionen und Entwaldung erreichen.

Konkret: Ist es Ihnen gelungen, die Einkommen der Bauern anzuheben?
Unbedingt. 2018 verdienten 170 000 der Bauern, die uns beliefern, 1,90 Dollar oder mehr am Tag und lagen damit über der von der Weltbank definierten Armutsgrenze. Bis 2025 sollen es eine halbe Million Bauern sein. Ein afrikanischer Farmer erntet heute nur 300 bis 400 Kilogramm Kakao pro Hektar, weil die Bäume überaltert sind und er überholte Anbaumethoden nutzt. Eine gut geführte Farm ermöglicht 1 Tonne pro Hektare, mit industrieller Produktion lassen sich sogar Erträge von 2,5 Tonnen pro Hektare erzielen.

Die Kleinbauern haben eine Zukunft?
Ja, die Rolle der Bauern ist sogar entscheidend. Sie sind auf dem Land der Anker für soziale Stabilität. Aber die Farmen werden in Zukunft wohl grösser sein. In Europa verlief die Entwicklung ähnlich. Vor vierzig Jahren war ein Bauernhof in Frankreich 20 Hektaren gross. Heute sind es 100 Hektaren. Das weiss ich aus eigener Anschauung, weil ich als Schüler oft in den Ferien auf einem Bauernhof gearbeitet habe.

70 Prozent des Kakaos kommen aus der Elfenbeinküste, Ghana und Kamerun. Gibt es neue Anbauländer?
Lateinamerika holt mächtig auf. In Ecuador setzt man auf industrielle Produktion. Aber auch Brasilien kommt wieder, ebenso Kolumbien. Und auch in Indonesien wird Kakao angebaut. Allerdings wird er dort bedrängt von Palmöl und Mais.