Das erste, was jeweils gestrichen wird, sind die Ferien.» So beschreibt Teamleiter Hans W. den Umgang mit Überlastung in seiner Firma, einem Elektrounternehmen mit rund 400 Mitarbeitern. Dass er nicht namentlich genannt werden möchte, passt zum Thema: Überlastet sind heute fast alle - öffentlich darüber reden möchte kaum jemand. Hans W. erledigt gegenwärtig mit vier Teamkollegen das, wofür ursprünglich acht Fachkräfte eingesetzt wurden. Seine Zielvorgaben wurden dagegen nicht geändert, im Gegenteil: Die Geschäftsleitung geht davon aus, dass das bisher erfolgreiche Team im nächsten Jahr noch bessere Resultate vorweisen wird. «Irgendwie gehts halt immer», sagt Hans W. lakonisch.

*Nicht nur die Ziele, auch die Mittel definieren*

Tut es das? Geht es wirklich immer? Zeitlich begrenzte Phasen von erhöhtem Druck gehören zum normalen Arbeitsleben und lassen sich auch nicht immer organisatorisch lösen, erklärt Susanne Honegger aus Murten, Mitglieder Berater-Gruppe für Unternehmensentwicklung BGU. Aber: «Wochenarbeitszeiten von 80 Stunden auf Dauer zerstören jede Kreativität, Leistungsbereitschaft und mit der Zeit auch den Erfolg.» Die Annahme, dass es immer irgendwie gehe, ist also

nur beschränkt gültig und der Preis auch für die Unternehmen (zu) hoch. Hohe Fluktuationsraten in überlasteten Teams, Absenzen und Fehlerquoten zeugen davon.

«Es ist erstaunlich - obwohl Firmen gerade in schwierigen Zeiten messbare Zielvorgaben setzen, sind die wenigsten Leute gewillt, darüber zu reden, was es tatsächlich braucht, um diese Ziele zu erreichen», erklärt Thomas DeLong, Lehrer für Organisationsentwicklung an der Harvard Business School. Die grösste Schwierigkeit für die meisten sei, diese Art von Gespräch überhaupt zu initiieren. Seine Beobachtung ist, dass viele Leute lieber 80 Stunden in der Woche arbeiten, als dass sie einmal grundsätzlich über ihre Arbeitsbelastung reden.

Auch Susanne Honegger kennt die Problematik aus ihrer Beratungspraxis als Coach. Die Angst, vor anderen als Versager dazustehen oder sogar explizit das Projekt verhindern zu wollen, sei bei vielen Arbeitnehmern gross. Ihrer Erfahrung nach würden Klagen von der Linienführung aber ernst genommen, sofern sie sachlich und begründet vorgetragen würden. «Erstens muss man frühzeitig das Gespräch suchen. Und dann ist es wichtig, dass man kommuniziert, dass man die Arbeit grundsätzlich erledigen kann und das auch gerne tut. Dass es in der Menge, die gegenwärtig ansteht, aber nicht möglich ist.»

*Die Unternehmensethik muss stimmen*

Diese Art der Kommunikation gibt den Vorgesetzten die Chance, mit ihren Teammitgliedern zusammen Prioritäten zu setzen oder allenfalls neue Lösungen zu suchen. Besonders positiv fällt auf, wer gleichzeitig zwei oder drei Lösungsvorschläge mitliefert, den Vorgesetzten aber gleichzeitig die Möglichkeit lässt, auf ihre Weise zu reagieren. «Wir müssen sofort drei Freelancer einstellen» klingt bedrohlich. Besser wirkt: «Um diesen Auftrag so gut

wie möglich zu erledigen, könnte ich mir folgende Lösungen vorstellen ?»

Alternativen zum Ist-Zustand gibt es immer. Sie könnten bedeuten, Freelancer oder Temporäre zu beauftragen, Teile des Auftrags Dritten zu vergeben oder Teams von Unterlieferanten beizuziehen. Wer Lösungen vorschlagen will, sollte unbedingt denken, wie die Geschäftsleitung denkt: Wer den ökonomischen Nutzen im Auge behält, spricht in der Regel eine Sprache, die Vorgesetzte verstehen. «Wer so argumentiert, wird von keinem Chef hören, er müsse halt 15 Stunden arbeiten», ist Honegger überzeugt.

Susanne Honegger macht auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der die Leute davor hindere, sich gegen chronische Überlastung zu wehren: Der Blick auf die Karriereleiter. «Jeder denkt: Wenn ich es nicht mache, mein Kollege es aber tut, bekommt er später die besseren Projekte.» Ängste dieser Art verhindern einen allgemeinen Austausch über die Arbeitslast und führen zur beschriebenen, resignativen Haltung: «Irgendwie gehts immer.» Honegger ist der Ansicht, dass dieses Problem nicht von den Arbeitnehmern selbst gelöst werden kann, sondern dass die Unternehmen aufgefordert sind, dafür zu sorgen, dass eine solche Kultur gar nicht erst entstehen kann. Statt Mitarbeiter zu loben, die 60 und mehr Wochenstunden abreissen, ist derjenige zu loben, der den Mut hat zu sagen, dass das Ziel mit den verfügbaren Mitteln nicht zu erreichen ist.

«Arbeit darf nicht unter Bedingungen geleistet werden, die der Gesundheit abträglich sind», betont Honegger. Das eigentliche Unternehmensziel sei doch, miteinander gute Resultate zu erreichen. «Dazu muss Leistung erbracht werden - also muss das Umfeld leistungsfördernd sein.» Überdruck als Normalzustand kann kaum zu den leistungsfördernden Bedingungen gezählt werden.

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