Vergangene Woche hat sich Roche-Präsident Christoph Franz in der «Handelszeitung» für ein Covid-19-Impfobligatorium ausgesprochen. Damit hat er sich erwartungsgemäss eine Menge Kritik eingehandelt. Fair enough. Wer sich exponiert, der muss damit rechnen, dass es Widerspruch gibt. Weniger gut war, dass in Medien in Frage gestellt wurde, ob es ihm überhaupt zustehe, sich zu diesem heiklen Thema zu äussern. Halten wir deshalb fest: Das Recht, seine Meinung zu sagen, gilt für alle, auch für den Verwaltungsratspräsidenten von Roche, einem der erfolgreichsten Unternehmen der Schweiz, dem die Region Basel einen substanziellen Teil ihres Wohlstands verdankt. Und welches mitverantwortlich dafür ist, dass lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs, Multiple Sklerose oder Hämophilie einen Teil ihres Schreckens verloren haben.

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Der Dialog zwischen Wirtschaft und Gesellschaft leidet

Christoph Franz darf sich nicht nur äussern, er soll es. Der Dialog zwischen Wirtschaft und Gesellschaft leidet in der Schweiz auch daran, dass sich die Chefs der grossen Unternehmen scheuen, auch einmal direkt und ungemütlich zu werden. Doch das belebt die Debatte. Und eine lebendige Debatte macht es schwieriger, einen irreführenden Gegensatz zwischen den «bösen» grossen Konzernen und den «guten» KMU zu konstruieren, wie das aktuell im Abstimmungskampf um die Unternehmensverantwortungsinitiative der Fall ist. Als ob nicht Tausende KMU auch von den Aufträgen der Grosskonzerne leben würden – und als ob es den hippen Coiffeur im Basler St. Johann-Quartier nicht vor allem deshalb gäbe, weil bei ihm die kaufkräftigen Pharmaforscherinnen und -forscher ein- und ausgehen.

Christoph Franz im Interview: «Ich bin für Impfpflichten»

Jede Impfung nutze auch der Bevölkerung, sagt Roche-Präsident Christoph Franz. Ein Corona-Vakzin komme aber nicht so schnell wie jetzt erhofft. Hier gehts zum Interview.

Christoph Franz hat eine «umstrittene Position» eingenommen, wie er selbst anmerkte. Gut so. Das gibt uns die Möglichkeit, etwas grundsätzlicher über individuelle und kollektive Verantwortung in Zeiten der Pandemie nachzudenken. Als im Frühling wegen des Lockdowns Zehntausende Restaurantbesitzerinnen, Event-Manager, Physiotherapeuten und Unternehmerinnen vor dem Aus standen, war der Staat schnell und unbürokratisch zur Stelle. Milliarden wurden freigegeben, ohne gross Gedanken daran zu verschwenden, wer die Schulden, die damit angehäuft werden, dereinst bezahlen wird. Es werden die jüngeren Generationen sein, denen wir damit nebst einem überhitzten Planeten, vermüllten Ozeanen, lädierten Ökosystemen und einer unterfinanzierten Altersvorsorge auch noch einen gewaltigen Schuldenberg hinterlassen.

Das Kollektiv hat geliefert – nun ist der Einzelne in der Verantwortung

Das Kollektiv hat geliefert, und das nicht zu knapp. Bei der Impfung wird es darum gehen, was das Individuum dazu beitragen kann, damit die Pandemie nicht noch mehr Schaden und Leid anrichtet. Ein generelles Impfobligatorium wird es nicht geben, das wissen alle. Aber die Frage, ob Angestellte von Altersheimen weiter zur Arbeit gehen sollen, wenn sie sich nicht impfen lassen, wird sich stellen. In Deutschland müssen Eltern, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen, mit einer saftigen Busse rechnen. Der Staat macht sich damit zum Anwalt der Schwächeren, derjenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Was, bitte, ist denn daran so schlimm?

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