Sie haben den Stromkonzern BKW umgebaut. Statt auf Kraftwerke setzen Sie zunehmend auf Ingenieur-Dienstleistungen. Dieses Geschäft hat allerdings tiefe Margen. Lohnt sich das wirklich?
Suzanne Thoma: Das Dienstleistungsgeschäft ist sehr wohl profitabel. Der blosse Blick auf die Umsatzrentabilität verfälscht den Vergleich mit den Kraftwerken. Produktion und Netze sind sehr kapitalintensiv. Wenn Sie die Kapitalrendite anschauen, dann ist das Dienstleistungsgeschäft um ein Drei- bis Vierfaches rentabler.
Konkurrentin Alpiq hat die Dienstleistungssparte Intec verkauft. Da hätten Sie eigentlich zuschlagen müssen.
Natürlich haben wir die Intec angeschaut. Für uns wäre sie aber zu gross gewesen. Wir machen keine Akquisition, welche aufgrund ihrer Grösse die erfolgreiche Strategieumsetzung infrage stellen könnte, wenn es nicht gut läuft.
Geht die Einkaufstour weiter?
Im Dienstleistungsbereich zählen wir rund 5000 Mitarbeitende. 2000 davon alleine im Bereich Engineering, die grosse Mehrheit davon in Deutschland. In eineinhalb Jahren sollen es 3000 sein. Wir wollen weiterwachsen. Es gibt einen grossen Unterhalts- und Ausbaubedarf im Infrastrukturbereich. Aber wir akquirieren sehr systematisch. Im Engineering geht es uns beispielsweise darum, dass wir Generalplanung anbieten können.
Alpiq wollte erst einen Teil der Wasserkraftwerke verkaufen. Wäre das für Sie interessanter gewesen?
Das kommt auf den Preis an. Alpiq hätte uns das schon sehr günstig geben müssen.
Bekam Alpiq-Chefin Staiblin einen roten Kopf, als sie Ihr Angebot sah?
Wir haben gar nie ein Gebot eingereicht. Wir wussten in etwa, was die Erwartungen von Alpiq waren, und wir wussten auch, dass das für uns nicht infrage kam.
Die BKW gehört zu 52 Prozent dem Kanton Bern. Dass Sie als Staatskonzern in den Dienstleistungssektor vorstossen, hat Ihnen im Gewerbe viel Ärger eingebracht.
Wir haben den Kanton Bern als Investor – so, wie viele andere Unternehmen inländische oder ausländische staatliche Institutionen als Anleger kennen. Wir sind ein börsenkotiertes Unternehmen mit fast 40 Prozent Free Float. Das ist nicht einfach nur eine kosmetische Kotierung.
Der Kanton Bern ist ein Aktionär wie jeder andere? Gab es auch keinen politischen Druck, als Sie 2013 entschieden, das AKW Mühleberg vorzeitig abzuschalten?
Auch dort spürte die BKW keinen politischen Einfluss. Das war ein rein unternehmerischer Entscheid.
War der strategische Schwenk zu den Dienstleistungen und der Ausstieg aus der Atomkraft ein Auftrag von oben oder war das Ihre eigene Handschrift?
Bei Mühleberg gelangte die Geschäftsführung mit einem Vorschlag an den Verwaltungsrat. Es ging darum, ob wir trotz absehbarer Stromkrise noch einen dreistelligen Millionenbetrag in ein älteres Kernkraftwerk investieren wollen oder ob wir es stilllegen. Der Mühleberg-Ausstieg bedeutete, dass die BKW einen Teil ihrer Identität aufgeben würde, denn das Kraftwert hat uns einst zu einem grossen Stromkonzern gemacht. Und just da kommt eine neue CEO und stellt dieses sinnstiftende Element infrage.
Das verursachte intern Widerstand. Wie konnten Sie diesen überwinden?
Nicht mit Macht und Kraft, sondern mit viel Überzeugungsarbeit. Der Entscheid zum Ausstieg aus Mühleberg dauerte deshalb auch mehrere Monate.
Sie haben vor kurzem die Verfügung für den Ausstieg erhalten. Wann wächst in Mühleberg wieder Gras?
Gemäss unserem Fahrplan ist der Rückbau im Jahr 2034 zu Ende.
Wurden Sie in der Wasserkraft durch Ihre Gegner von einer Dummheit abgehalten? Anders als Alpiq und Axpo baute die BKW ihr Wasserkraftwerk am Grimsel nicht aus, weil das Projekt politisch verhindert wurde.
Wir wurden von einer Fehlinvestition abgehalten. Das ist so und dazu stehen wir. Auch wenn unsere Investition nie so gross gewesen wäre wie bei anderen Kraftwerksprojekten. Formell ist das Bewilligungsverfahren noch nicht abgeschlossen, der Fall hängt noch vor dem Verwaltungsgericht. Faktisch ist das Projekt aber eingemottet. Wir sind heute nicht unglücklich darüber, dass wir das nicht umsetzen konnten.
Bezahlen Sie den Umweltschützern eine Dividende?
Wenn sie BKW-Aktien halten, klar! Nein, auch wir haben in der Vergangenheit Fehlinvestitionen gemacht. Zwischen 2006 und 2013 investierten wir mehr als 2 Milliarden Franken, vor allem in die Produktion. Wir hatten das in damaliger Optik berechtigte Ziel, diese zu verdoppeln.
Welche Investitionen bereuen Sie?
Das ist fast schon egal. Keine neue Anlage, egal ob in der Schweiz oder im Ausland, egal ob Kohle oder Wasser, ist mit Blick auf die vollen Investitionskosten rentabel. Man sagt immer, die BKW sei problemlos durch den Wandel gekommen, aber auch wir haben 1 Milliarde Franken auf unserem Kraftwerkspark abgeschrieben. Bei uns war einfach alles einen Tick kleiner.
Was bedeutet die Marktöffnung für Kleinkunden für die BKW? Heute verdienen Sie mit den gefangenen Monopolkunden im Stromgeschäft 20 Millionen Franken.
Wir sind grundsätzlich für Markt und für die vollständige Marktöffnung, denn unsere Analyse zeigt, dass wir von ihr profitieren. Natürlich gibt es einen Übergang, der auch Investitionen nötig macht. Aber unser Potenzial mit Kleinkunden würde verzehnfacht. Und die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt, dass dort durchaus eine Marge drin liegt.
Wann kommt die Marktöffnung?
Das ist ein Blick in die Glaskugel! Die Marktöffnung kommt wohl 2019 ins Parlament. Wird ein wahrscheinliches Referendum darauf abgelehnt, braucht es für viele Unternehmen eine Übergangsfrist. Dann sind wir – als frühestes Datum – wohl im Jahr 2023. Man kann eine Marktöffnung nicht von einem auf das andere Jahr einführen, denn sonst bricht das Chaos aus.
Die Marktöffnung wird zu einer Konsolidierung unter den 800 Netzbetreibern führen. Haben Sie es auf die Netze Ihrer bald zu kleinen Konkurrenten abgesehen?
Wir wollen nicht unbedingt deren Netze übernehmen, aber wir können ihnen als Dienstleister dabei helfen, ihre Netze zu betreiben.
Ohne neue Kraftwerke muss die Schweiz auf eine Importstrategie umschwenken. Ist das ein Problem?
Fragen Sie die CEO der BKW oder die Bürgerin Suzanne Thoma?
Wir fragen die Bürgerin.
Die Bürgerin Thoma sagt, dass eine Importstrategie gut ist, weil sie volkswirtschaftlich aufgehen könnte. Denn so muss die Schweiz die Investments nicht selber tragen. Allerdings müsste man wegen der Versorgungsrisiken, die mit dieser Strategie verbunden sind, in Reservekapazitäten investieren – aber frühestens in zehn Jahren. Als CEO der BKW stelle ich mir diese Frage eigentlich nicht. Mir geht es um die Transformation des Unternehmens, um die Neuausrichtung des Energiegeschäfts und um die Frage der Investitionssicherheit. Da schaue ich, wo wir Geld in Kraftwerke investieren können. Und in der Schweiz ist das derzeit nicht der Fall.
Sie sind seit acht Jahren bei der BKW, davon fast sechs Jahre als CEO. Sie haben den Konzern erfolgreich neu ausgerichtet. Man sagt, man solle gehen, wenn es am schönsten ist. Wann beginnt Ihr Phase-out bei der BKW?
Diese Frage stelle ich mir nicht. Das Unternehmen ist super unterwegs, aber es ist nicht so, dass es nichts mehr zu tun gäbe. Wir haben erfolgreich ein Dienstleistungsgeschäft aufgebaut und es wird weiterwachsen. Nun geht es in einer zweiten Strategiephase verstärkt darum, das Energiegeschäft neu aufzustellen. Erstens schauen wir, ob man das mit weniger Kapital machen kann. Und dann müssen wir stärker von den volatilen Strompreisen profitieren können.
Sie bauen den Handel aus?
Ja, aber nicht im Sinne eines simplen Kaufens und Verkaufens. Es geht vielmehr um optimale Steuerung der Kraftwerke, insbesondere der Windkraftwerke. Wir müssen das Energiegeschäft neu erfinden.
Welche Rolle spielt die Elektromobilität?
Für uns eine untergeordnete. Angenommen, wir hätten 2,5 Millionen Elektrofahrzeuge in der Schweiz, dann würde das eine zusätzliche Nachfrage von etwa vier Terawattstunden ausmachen. Das sind 8 Prozent des heutigen Marktes. Elektromobilität ist aus Sicht der BKW spürbar, aber kein Game-Changer.
Zurück zu Ihrer Karriere. Was von alldem wollen Sie noch selber umsetzen?
Ich habe meine Karriere noch nie geplant. Ich mache einfach, was ich mache, und versuche, das so gut wie möglich zu machen. Wollen Sie mir eigentlich einen Rücktritt nahelegen?
Überhaupt nicht. Wir denken nur ein wenig über die Frage des richtigen Zeitpunkts nach. Sie können gerne auch bleiben, bis in Mühleberg wieder Gras wächst.
Das vielleicht dann doch auch nicht.
Kehren wir die Frage um: Gab es einen Moment, in dem Sie bereuten, CEO von BKW geworden zu sein?
Nein, nie. Es hat von Anfang an geflutscht. Was eigentlich erstaunlich ist, wenn man die Monstrosität der Herausforderungen betrachtet, die wir 2013 hatten. Die BKW hatte eine zu hohe Verschuldung, um wieder voll zu investieren, weil sie viel Geld in die Produktion gesteckt hatte. Wir wussten nicht, wie es mit Mühleberg weitergehen sollte. Und wir wollten mit neuen Geschäftsmodellen wachsen, wussten aber nicht, wo. Das war enorm. Aber ich bereute nie, den Job angenommen zu haben.
Wussten Sie, was Sie erwartet?
Nicht in dieser Dimension. Ich wusste, dass die Situation schwierig war, aber wie gross die Herausforderung werden würde, war nicht klar. 2013 wusste man noch nicht, wie stark die Strompreise sinken würden. Damals ging man davon aus, dass sich die Preise relativ rasch erholen würden. Das Worst-Case-Szenario sprach von einem Strompreis von 5 Rappen pro Kilowattstunde. Da nähern wir uns jetzt langsam wieder an – allerdings von unten. 2016 waren wir bei 2,5 Rappen! Das hatte europaweit niemand vorhergesehen.
Rechnen Sie mit einer weiteren Erholung des Strompreises?
Nein, wir sehen keine fundamentale Veränderung, aber eine gewisse Erholung. Kurzfristig sehen wir einen Strompreis von zwischen 5 und 6 Rappen für Bandstrom.
Verdienen Sie damit Geld?
Wenn der Strompreis bei über 6 Rappen liegt, ist auch die Produktion der BKW profitabel – weil sie viele abgeschriebene Anlagen hat und damit zu relativ tiefen Kosten produzieren kann.
Vorausgesetzt, Sie tätigen keine neuen Investitionen.
Wir tätigen nie Investitionen, die nicht rentieren. Punkt (lacht).
«Wir tätigen nie Investitionen, die nicht rentieren»
Das wäre ein schöner Titel!
O nein, das wäre dann wieder so eine pointierte Aussage, die vielleicht nicht alle männlichen CEO-Kollegen in dieser Absolutheit machen würden.
Hatten Sie oft das Gefühl, dass Sie als Frau anders behandelt wurden? Es gibt in Ihrer Branche genau zwei Chefinnen – Sie und Alpiq-Chefin Staiblin. Ansonsten dominieren Männer die Strombranche.
Zu Beginn ab und zu. 2014, als ich die Strategie-Abteilung stark verkleinerte, spürte ich das. Ich hatte sieben Personen entlassen. Das war plötzlich nationale News. Ich weiss nicht, ob das gleich gewesen wäre, wenn ich ein Mann wäre. Zwei Jahre später trat ich zusammen mit anderen Strom-Managern an einer Tagung auf. Meine Vorredner wurden jeweils zu Sachfragen befragt. Bei mir jedoch ging es um Stilfragen und immer noch um diese Entlassungen. Dass wir in der Zwischenzeit Tausende Stellen geschaffen hatten, war interessanterweise kein Thema.
Ist es nicht auch bezeichnend, dass man die Frauen erst auf dem Höhepunkt der Krise ans Steuer liess, nachdem die alten Strommanager einsehen mussten, dass sie es verbockt hatten?
Ich habe mich gegen hundert Bewerber durchgesetzt. Zehn davon in der Endausmarchung und da war ich die einzige Frau. Vermutlich gab meine breite Führungserfahrung in hoch kompetitiven Industrien den Ausschlag. Zudem war ich seit eineinhalb Jahren bei der BKW, gehörte aber noch nicht zum Inventar der Firma.
Beim Chemiehersteller Ciba SC lernten Sie, was es heisst, wenn eine Firma in der Krise steckt.
Absolut. Und das treibt mich bis heute an. Ich glaube zu wissen, was die Ciba in die Krise brachte. Da waren zum Beispiel fehlgeleitete Grossakquisitionen. Das zeigte mir, dass man sehr vorsichtig sein muss, wenn man Akquisitionen tätigt, die das Potenzial haben, eine Unternehmung zu schwächen. Das andere ist, dass man der Realität in die Augen blicken muss. Bei der Ciba sprach man gerne über Innovation und Value added beim Kunden …
… dabei produzierte Ciba stinknormale Basis-Chemie.
Spezialitätenchemie, die mehrheitlich auf dem Weg zur Commodity war. Genau.
Da gibt es viele Parallelen zum Strommarkt.
Sehr viele. Auch wir in der Energiebranche haben ein Produkt, das eine Commodity ist. Wir haben hohe Fixkosten. Und sehr traditionsreiche Unternehmen. Es ist hart, wenn Unternehmen ihre Raison d’Être aufgeben müssen. In diesen Momenten ist es gut, wenn man mit der Industrie nicht zu sehr verbandelt ist und eine gewisse Outsider-Perspektive aufrechterhalten kann. Ich hatte nie eine emotionale Bindung zur Branche, immer nur eine zum Unternehmen. Das hat mir geholfen.