Donna Carpenter, ich bin in meiner Burton-Jacke zu diesem Interview erschienen, muss aber gestehen: Ich fahre Ski, nicht Snowboard. Bin ich ein schlechter Kunde?
Nein, ganz und gar nicht. Wir sind längst nicht mehr nur ein Snowboard-Hersteller. Kleider und weitere Produkte machen bereits die Hälfte unseres Umsatzes aus – und der Anteil dürfte weiter steigen.

Ist Snowboard überhaupt noch angesagt? In der Saison 1999/2000 wurden in der Schweiz noch 110 000 Snowboards verkauft. Im letzten Winter waren es nicht mal mehr 18 000.
Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Kernmärkten wie den USA sind die Absatzzahlen nach den Boomjahren bis zur Jahrtausendwende stark gesunken. Doch derzeit mehren sich die Anzeichen, dass der Trend wieder dreht.

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Inwiefern?
Wir stellen fest, dass sich der Kundentypus wandelt und breiter wird. Bisher war das Snowboard das Utensil des jungen, wilden Mannes. Jetzt zeigt sich, dass Snowboarden vermehrt auch als Familiensport angesehen wird – alle finden es cool. Es ist einfach ein Sport, der Spass macht. Wir setzen stark auf diesen Trend und haben unser Marketing ausgeweitet. Wir wenden uns vermehrt gezielt an die «Moms», die Mütter.

«Auch wenn es die Männer vielleicht nicht gerne hören: Frauen sind für die meisten wichtigen Konsumentscheide im Haushalt massgebend.»

Das funktioniert?
Auch wenn es die Männer vielleicht nicht gerne hören: Frauen sind für die meisten wichtigen Konsumentscheide im Haushalt massgebend. Und auch sonst: Ob man nach Disneyworld oder nach Laax in die Ferien fährt – die Frau gibt den Weg vor.

Passt dieses neue Konzept zum coolen Image des Sports?
Wie kommen Sie auf die Idee, dass sich Muttersein und Coolness ausschliessen? An unserer grundsätzlichen Ausrichtung hat sich ja nichts geändert – Burton steht für eine Art urbanen Tribe, wir sind rebellisch, wir sind wild, wir haben nicht gerne Autoritäten, wir unterstützen junge Künstler und lassen sie unser Design mitgestalten und so weiter.

Wie steht es mit der Frauenförderung in Ihrem eigenen Unternehmen?
Wir haben grosse Fortschritte gemacht: Heute sind 45 Prozent unseres globalen Leadership-Teams weiblich. Vor allem sind Frauen auch in Schlüsselpositionen tätig. So ist beispielsweise unser Head of Operations eine Frau. Dafür ist unser Human-Resources-Chef ein Mann – das ist ja sonst meist die einzige obere Führungsposition, die eine Frau bekleidet (lacht).

Sie sind zusammen mit Ihrem Mann, Firmengründer Jake Burton Carpenter, nach Zürich gezogen. Wo wohnen Sie?
Ganz im Zentrum, nahe der Oper, an der Dufourstrasse.

Im In-Quartier Seefeld also – bewusst gewählt?
Es ist einfach eine wunderschöne Wohnlage. Auch Jake gefällt es. Zuerst musste ich ihn überzeugen mitzukommen. Jetzt sind wir gut zwei Wochen hier, und er sagte: «Ich glaube, ich will hier nie mehr weg.»

Was gefällt Ihnen an der Schweiz?
Es sind nicht in erster Linie die Klischees, von denen man oft hört, wie Sauberkeit oder Sicherheit. Mir gefällt vielmehr, dass ich die Schweizer als genussfreudige Menschen kennengelernt habe, als Menschen, die das Leben auskosten, gerne essen, trinken, ausgehen.

NEW YORK, NY - NOVEMBER 01:  Chairman of Burton Snowboards, Jake Carpenter attends 2018 Olympic U.S. Snowboard Team Uniform Unveil on November 1, 2017 in New York City.  (Photo by John Lamparski/Getty Images)

Begeisteter Snowboarder: Donna Carpenters Mann Jake Burton Carpenter hat Burton 1977 in Vermont gegründet. Nach einer schweren Krankheit ist er wieder fit.

Quelle: 2017 Getty Images

Der Hauptsitz Ihrer Firma ist in Vermont. Was hat Sie bewogen, Ihren Wohnsitz nach Zürich zu verlegen?
Da sind zunächst geschäftliche Gründe: Wir glauben an das Marktpotenzial in Europa und wollen diese Region gezielt stärker bearbeiten. Unsere Europazentrale ist zwar in Innsbruck, aber ich werde viel reisen müssen. Zürich mit seinem Flughafen und seinen guten Verbindungen erleichtert dies. Es gab aber auch persönliche Gründe, aus den USA wegzugehen.

«Was Trump mit den USA macht, ist einfach unsäglich.»

Welche?
Wir wollten Trump entfliehen. Was er mit den USA macht, ist einfach unsäglich.

Dass Trump nicht zur Weltanschauung von Burton passt, liegt auf der Hand. Aber ist das wirtschaftlich auch so? Schliesslich hat er verkündet: «America First!» Das müsste euch als US-Unternehmen doch zugutekommen.
Tut es aber nicht. Nehmen Sie seine Handelspolitik, den Zollstreit, den Zwist mit China. Für uns bedeutet dies, dass unsere Produktionskosten steigen. Wir importieren nach wie vor viel aus China – jetzt zu höheren Kosten.

Sie könnten auf amerikanische Zulieferer umstellen.
Das ist doch unrealistisch. Nehmen Sie unser wachsendes Kleidersegment – es ist heute schlicht nicht möglich, in den USA Textilien zu konkurrenzfähigen Preisen zu produzieren. Die Globalisierung ist doch längst da. Wichtig wäre heute vielmehr, dass diese globalisierte Wirtschaft nach gewissen Regeln funktionieren würde, dass man etwa den Umweltschutz ernst nähme oder für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse sorgen würde.

Sie haben auch Produktionswerke in China. Ist dort ein nachhaltiges Wirtschaften überhaupt möglich?
Ja, wenn man bewusst darauf achtet. Wir haben alle unsere Produktionsstätten gezwungen, die Missstände aufzuheben. Heute sind unsere Fabriken Bluesign-zertifiziert, ein Siegel, das man nur bekommt, wenn man in Sachen Schadstoffe strikte Regeln einhält. Das Ganze hat uns Geld gekostet, langfristig aber geholfen. Als die chinesische Regierung viele unsaubere Produktionsstätten schloss, durfte unsere weiterarbeiten – und konnte noch zulegen.

Wo sonst ist Burton präsent?
Von unseren weltweit rund 1000 Mitarbeitern sind 450 an unserem Hauptsitz in Burlington, Vermont, tätig. Wir haben aber auch wichtige Auslandniederlassungen, nebst Innsbruck etwa Tokio. In der Schweiz gibt es unseren Flagshipstore in Zürich und zwei Partner-Stores in Laax. Im kommenden November kommt ein weiterer in Verbier hinzu.

Eine Ihrer neuen Produktlinien umfasst Campinggüter. Ist das nicht etwas gar weit weg vom Ursprungsprodukt Snowboard?
Gerade angesichts der erwähnten rückläufigen Absatzzahlen für Snowboard-Equipment in den letzten Jahren mussten wir uns die Frage stellen, in welche Bereiche wir diversifizieren wollen. Auch vor dem Hintergrund, dass die Winter immer kürzer werden und Global Warming langfristig die Schneesicherheit in den Bergen gefährdet. Burton steht ja vor allem für ein Lebensgefühl, für Freiheit, für die Freude, draussen zu sein. Wir stellten uns die Frage: Wie kann man dieses Lebensgefühl über den Winter hinaus ausdehnen, um das ganze Jahr über präsent zu sein? Camping passt gut zu diesem Lebensgefühl, was sich auch daran zeigt, dass es bei jungen Leuten heute wieder sehr angesagt ist.

Burton-Flagshipstore in Zürich

Burton im Bianchi: Der Burton-Flagshipstore in Zürich befindet sich beim Limmatquai im ehemals legendären Fischladen Bianchi.

Quelle: ZVG

Vermischt diese Ausbreitung aber anderseits nicht euer Image? Gerade in der Schweiz gibt es eigene Produzenten wie Nidecker oder den kleinen Zürcher Hersteller Radical. Warum sollte ein Schweizer Snowboarder angesichts dieses Angebots ausgerechnet ein Brett eines US-Grossunternehmens wählen?
Konkurrenz tut gut, und ich habe grossen Respekt vor den erwähnten Produzenten. Doch ich glaube, wir können mit Fug und Recht behaupten, in Sachen Forschung und Entwicklung die Nase vorn zu haben. Unsere Grösse erlaubt es uns, auch eine umfangreiche Entwicklungsabteilung zu unterhalten. Allein an unserem Hauptsitz in Burlington gibt es eine rund dreissigköpfige Truppe von Experten, die sich mit nichts anderem beschäftigen. Das erlaubt uns auch, technologische Neuentwicklungen schneller zu nutzen. Wir können etwa eine Bindung aus dem 3-D-Drucker am Morgen herstellen und bereits am Nachmittag testen.

Was sind aus technischer Sicht die wichtigsten neuen Entwicklungen?
Einen Riesenschritt voraus ist sicher die sogenannte «Step-on»-Bindung, die wir 2017 präsentiert haben, die keinen Riemen mehr hat. Mit diesem neuen Mechanismus können Sie Ihren Schuh mit einer Bewegung in die Bindung ein- oder ausklinken, wie bei Ski. Viele Leute nennen ja den mühsamen Einstieg in die Snowboard-Bindung vor dem Losfahren als einen der Hauptgründe, warum sie das Skifahren bevorzugen.

Wenn man die armen Snowboarder auf dem kalten Schnee sitzen sieht, wie sie mühsam den Schuh in die Bindung zwängen …
Genau. Jetzt geht das mit einer Bewegung. Es gibt nun also definitiv keine Ausrede und keinen Grund mehr, Ski zu bevorzugen.

«Snowboarding wurde erst alltagstauglich, als wir Elemente aus dem Skisport eingebaut haben.»

Gibt es dieses strikte Konkurrenzdenken wirklich immer noch – hier der Snowboarder, dort der Skifahrer, den es zu bekämpfen gilt?
Burton wurde 1977 gegründet. Wir sind gross geworden, indem wir in jahrelangen Weiterentwicklungen und mit immer besseren Produkten dem Skisektor nach und nach Marktanteile abgerungen haben. Daher ist dieses Konkurrenzdenken wohl in der Tat tief verankert. Wobei sich die beiden Bereiche aber stets auch befruchtet haben.

Inwiefern?
Snowboarding wurde im Grunde erst wirklich alltagstauglich, als wir entscheidende Elemente aus dem Skisport eingebaut hatten, etwa Metallkanten, die den Halt verbesserten. Heute scheint es mir allerdings, als ob die Skientwickler vermehrt von den technologischen Erkenntnissen der Snowboarder profitieren – die Ski werden immer breiter, es sieht ja bald so aus, als ob man zwei Snowboards an den Füssen hat (lacht).

Vor rund drei Jahren wurde Ihr Mann Jake schwer krank. Was bedeutete das für Sie?
Es war für die ganze Familie ein enormer Schock. Er litt am Miller-Fisher-Syndrom, einer Autoimmunkrankheit. Sie kam quasi aus dem Nichts, doch innerhalb weniger Tage wurde er fast vollständig gelähmt. Seine Nerven wurden immer mehr angegriffen: Er konnte nicht mehr schlucken, dann sogar nicht einmal mehr die Augenlider heben. Nur die rechte Hand konnte er noch einigermassen bewegen, mein Mann konnte kommunizieren, indem er auf kleine Zettel schrieb. Er musste künstlich am Leben gehalten werden, sonst wäre er gestorben.

Er gilt heute wieder als vollständig gesund.
Ja, die Ärzte sagten uns schon damals, dass dies mit grosser Wahrscheinlichkeit geschehen und die Lähmung vorbeigehen werde. Das ist glücklicherweise in der Tat geschehen. Inzwischen schafft er es sogar, sein ehernes Ziel, pro Jahr mindestens 100 Tage auf dem Snowboard zu stehen, einzuhalten. Das ist sogar mehr als bei mir – ich bringe es vielleicht auf 70 Tage.

Dieser Text erschien in der Februar-Ausgabe 02/2019 der BILANZ.