Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges nahm das Diadem in der Typologie des Schmucks eine Sonderstellung ein als Machtsymbol einer Geburts- und Geldelite, die es als äusseres Kennzeichen ihrer privilegierten Stellung bei Zeremonien wie Krönungsbällen und Festen trug. In allen Facetten von erhaben bis theatralisch überragte die Diademträgerin ihre Umgebung, von weither erkennbar mit dem glitzernden Glorienschein.

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Das traditionelle Diadem war das Vorrecht einer Gesellschaft, die sich schliesslich in Paris, New York und London am Ende der 20er Jahre zum grossen Teil selbst überlebt hatte. Nach den wirtschaftlichen Konflikten jener Zeit verschwand das Diadem als erste Schmuckgattung aus dem Sortiment der Juweliere. In Paris war der Kopfschmuck, zu dem Paquin und Worth erlesene Roben schufen, eigentlich bereits um 1910 aus der Mode gekommen.

«Soirées des diadèmes»

Bekannt als «Soirées des diadèmes» waren die auffälligen Juwelen-Festzüge, die jeweils nach einem Besuch in der Pariser Oper zu «Durand» paradierten, dem damaligen Moderestaurant an der Place de la Madeleine. Von einem «wogenden Meer der Diademe» an den Empfängen der russischen Botschaft in Paris berichteten die Zeitgenossen, wo Orchideen eigens aus der fernen Krim herangeschafft wurden und die Grossfürstin mit ihren neuesten Kreationen von Cartier für Gesprächsstoff sorgte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg lösten die orientalisierende Aigrette (ein steil aufragender Kopfschmuck) und später das einfache Bandeau (ein bandförmiges Diadem) das klassische Diadem ab. In Paris waren 1914 die eingesessenen Adelsfamilien, die Herzogin von Gramont mit ihrem «Krinolinenball» und die Prinzessin Jacques de Broglie mit dem «Ball der Edelsteine», die letzten Organisatoren rauschender Aigretten-Feste. Die Zeiten, als Diademe und die passenden kostbaren Roben eigens für bedeutende Anlässe angefertigt wurden, neigten sich in Paris dem Ende zu.

Sanktioniertes Adelsattribut

In Amerika setzte der Erste Weltkrieg im gesellschaftlichen Leben nicht die gleiche Zäsur wie in Europa. In New York, in Philadelphia und Newport feierten die Astor, Gould, Stotesbury und Vanderbilt weiterhin Feste mit einem Prunk, der die europäischen Bälle daneben verblassen liess. Natürlich wollten die vermögenden Amerikanerinnen keinesfalls auf die gesellschaftlich sanktionierten Attribute verzichten, denn hier rivalisierte die amerikanische Geldelite mit dem historischen, traditionsreichen Adel Europas. Zu diesen Attributen gehörten nicht nur die komplett samt Ahnenbildern und Mobiliar eingeführten oder nachgebildeten Schlösser und Prunkpaläste, sondern auch die zunächst bei Cartier in Paris und später in New York in Auftrag gegebenen Diademe. Sie verkörperten die finanzielle Macht, dank welcher der Luxus überhaupt erst möglich war, und konnten deshalb nicht kostbar genug gestaltet sein. Hans Nadelhoffer hat in seinem Buch «Cartier Juwelier der Könige» die Anekdote von Eva Stotesbury festgehalten, deren Smaragddiadem von Cartier so schwer war, dass sie «nicht nur einen steifen Hals bekam, sondern auch den Ratschlag, einige Heliumballons daran zu befestigen oder es ohne Klagen zu ertragen».

Protokollarische Vorschrift am englischen Königshof

Während die Diademe in Paris und später auch in New York aus der Mode kamen, gaben sie in London weiterhin den Ton an. Noch 1923 wird von Lady Lucknow erzählt, die am Empfang im Londoner Bath House ein «riesiges Cartier-Diadem trug, das mit seinen funkelnden Diamanten den Eindruck eines Heiligenscheins erweckte», während im Speisesaal des «Savoy» Detektive die juwelengeschmückten Gäste zu bewachen pflegten. Bereits Eduard VII. legt bei Empfängen Wert darauf, dass geladene Gäste Diademe trugen, und am Hof von St. James gehörte dies gar zur protokollarischen Vorschrift.

Noch 1953 erhielt die Königinmutter von England ein Diadem von Cartier. Das starre Hofetikett blieb weiterhin unverändert, auch wenn viele Adlige das Diadem als nicht mehr zeitgemäss und lästig empfanden. Davon zeugt die Anekdote, die Andrew Barrow in seinem Buch «Gossip» festgehalten hat: «Sobald die Königin weggegangen war, legte die Herzogin von Kent ihr Diadem, über dessen Gewicht sie sich beklagte, ab und übergab es dem Dirigenten Tommy Kinsman. Kinsman stellt das Diadem aufs Klavier, während Ihre Königliche Hoheit mit ihrem alten Freund Chips Channon tanzte.»

Kleine Typologie der Stile

Das Diadem bei Cartier lässt sich in verschiedene Formen und Stile aufteilen. Zeitlich weit zurück reicht der russische «Kokoschnik», der zunächst einen dem Hahnenkamm nachgebildeten Kopfschmuck bezeichnete, wie er bei traditionellen russischen Volkstänzen aufgesetzt wurde. Ursprünglich in einfacher Schildform aus Stoff gefertigt, wurde er im 16./17. Jh. vom Hof aufgegriffen und in kostbaren Materialien nachgeahmt. Nach 1800 wurde der Kokoschnik auch in Westeuropa Mode, und um 1900 nahm Cartier dieses Motiv als «russisches Diadem» auf. Diese Diademform war in London länger populär als in Frankreich, wo nur wenige Damen der Pariser Gesellschaft Lust zu haben schienen, die mächtigen und schweren Diademe zu den eleganten Kreationen von Lanvin und Vionnet zu tragen.

Durch den Zweiten Weltkrieg kam das russische Diadem endgültig aus der Mode, während nun das Bandeau als zeitgemäss und tragbar empfunden wurde. Dieses bandförmige Diadem, dessen Mitte nicht betont ist, verkörpert wohl die zeitloseste Form des Kopfschmucks. Die Bandeaux, die Cartier kreierte, genügten trotz ihres einfachen Aussehens höfischen Ansprüchen. Der geometrische Stil des Art déco in den 20er Jahren entsprach perfekt der linearen Form des Bandeau und ergänzte auf ideale Weise die Frisur der «Garconne» den Bubikopf, der sich seit 1917 durchzusetzen begann. Das tief in der Stirn getragene Bandeau sorgte zusammen mit der langen Zigarettenspitze und dem hüfttiefen Perlensautoir für den Chic und die erotische Ausstrahlung des Vamps der «roaring twenties».

So unterschiedlich wie die Trägerinnen und die Anlässe waren auch die Formen der Diademe. Ab 1902 verwendete Cartier die Form des Mäanders für Diadem und Brustschmuck eine Hommage an das wohl berühmteste Mäanderdiadem des 19. Jhs., welches die Kaiserin Eugénie 1867 bei Bapst bestellt und mit dem «Régent»-Diamanten daran getragen hatte.

Mäander, Sonnen und Flügel

Sonnendiademe sind seit dem frühen 19. Jh. belegt. Die ersten Modelle von Cartier wurden 1904 gefertigt und an J. Pierpont Morgan nach New York und an die Gräfin von Suffolk nach London geliefert. Bis in die 20er Jahre wurden bei Cartier Sonnendiademe entworfen, die mitunter mit einem grossen Saphir- oder Smaragdcabochon im Zentrum gefasst waren.

Das Flügelmotiv, das in der griechischen Mythologie für den Götterboten Hermes verwendet wurde, war bis ins 19. Jh. populär, zunächst im Theater und auf Kostümbällen. Bei Cartier war es einmal mehr der amerikanische Bankier J. P. Morgan, der die Mode auslöste. Das letzte Flügeldiadem entstand bei Cartier 1935 in London für die Herzogin von Roxburghe.

Ähnlich wie das antike Stirnband gilt auch der Kranz des Altertums als Vorläufer des Diadems. Kurz nach 1900 begann Cartier, Pflanzen- und Blumendiademe zu produzieren. Lorbeerdiademe waren in Amerika sehr beliebt, es fanden aber auch Farnkraut, Eichenblätter und Ähren Verwendung.

Daneben gab es Diademe mit Aufsatzmotiven aus Tropfendiamanten oder -perlen sowie mit hängenden Tropfensteinen. Aigretten schliesslich wurden als steil aufragender Kopfschmuck im ausgehenden 19. Jh. zur beliebtesten Diademform überhaupt und bekrönten so manchen Sultansturban. Die Glanzzeit der Aigrette bei Cartier fiel in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die an orientalischen Anregungen reich war. Sie ergänzte orientalische und historische Kostüme und wurde, besteckt mit exotischen Federn, zum beliebten Requisit an Maskenbällen.

Das Diadem: Symbol des Feldherrn

Das Wort Diadem leitet sich vom griechischen «diadeo» ab, was so viel wie «ich binde zusammen» bedeutet. In seiner geschichtlichen Herleitung verkörperte es ursprünglich ein dem Feldherrn vorbehaltenes Erkennungszeichen, das sich später zum weltlichen und sakralen Hoheitszeichen abwandelte. Die Maler der Renaissance verewigten es schliesslich in seiner endgültigen Bestimmung. In Tizians Gemälde «Mädchen mit der Fruchtschale» etwa taucht das Diadem als rein schmückendes Attribut einer festlichen Garderobe auf.

In diese geschichtliche Spätphase des Funktionswandels lässt sich auch das Diadem bei Cartier einordnen, das schliesslich zum Kennzeichen von Adligen und Millionären zur Betonung ihrer privilegierten Stellung wurde.