Bossard ist Sponsor des EV Zugs. Interessieren Sie sich für Eishockey?
Daniel Bossard: Unsere Familie ist stark involviert. Ich persönlich bin einer der wenigen Exoten, die nur ein- oder zweimal pro Saison einen Match besuchen.
Das Stadion muss also um seinen Sponsor und Namensgeber bangen?
Überhaupt nicht. Das Namenssponsoring der Arena ist für uns ein Zeichen der Verbundenheit mit dem Standort Zug und dem EVZ. Die Arena unterstützt die Namensstärkung in der Schweiz, aber auch darüber hinaus.
Sie sind ein Vertreter der siebten Generation. Nach fast zwei Jahrzehnten mit einem Externen an der Spitze ist mit Ihnen jetzt wieder ein Familienmitglied Leiter des Konzerns. War die Wahl ein Selbstläufer?
Das Ganze dauerte weit über ein Jahr. Es waren interne sowie externe Kandidaten im Rennen. Wir alle durchliefen verschiedene Assessments, bis der Entscheid durch den Verwaltungsrat getroffen wurde. Die Familien-Holding, die Kolin Holding, war nicht in diesen Entscheid involviert.
Obschon die Kolin Holding die Mehrheit der Stimmrechte an Bossard kontrolliert?
Das ist richtig. Aber in der Kolin Holding diskutieren wir Familienthemen wie Anlagestrategien und dergleichen. Familienund Geschäftsthemen werden nicht vermischt. Das ist seit dem Börsengang 1987 klar festgelegt in unserem Leitbild.
Fast zwanzig Personen diskutieren in der Familien-Holding mit. Ist es schwierig, einen Konsens zu finden?
Wir sind natürlich nicht immer gleicher Meinung. Aber auch wenn es unterschiedliche Meinungen gibt, haben wir bisher immer eine Lösung gefunden und respektieren einander. Das schätze ich sehr.
Und was passiert, wenn es mal keine Lösung gibt?
Wir haben einen Aktionärsbindungsvertrag für den Fall, dass ein Familienmitglied aussteigen möchte. Dort ist klar festgelegt, wie die Bewertung der Aktien funktioniert. Es gilt – grob gesagt – ein Mehrjahresdurchschnitt mit 20 Prozent Abschlag, der jene entschädigt, die bleiben und die ein gewisses unternehmerisches Risiko tragen. So hat niemand einen Anreiz, opportunistisch auszusteigen.
In der jüngeren Zeit gab es offenbar erst eine Person, die sich verabschiedet hat. Verraten Sie Details dazu?
Das war ein Cousin, der sich anders orientierte und ein eigenes Geschäft gründete. Seine Aktien übertrug er an seine Geschwister. Das ging alles sanft über die Bühne, ohne Turbulenzen.
Er wird weiterhin an die Familienfeste eingeladen?
Er gehört natürlich immer noch zur Familie. Sein Vorgehen war völlig legitim.
2005 gab es Diskussionen um die Anteile der Familie. Konkurrenten waren offenbar an einem Kauf interessiert. Entschieden die Bossards einstimmig, das Geschäft fortzuführen?
Das war 2004, nachdem mein Vater bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen war. Da erhielten wir eine Offerte aus dem deutschen Raum. Ein Verkauf stand für uns aber nie zur Diskussion und wir entschieden uns klar dagegen.
Das war allgemein eine extreme Zeit. Ihr Vater, der Konzernchef war, kam ums Leben. Ihr Onkel, der damals Präsident von Bossard war, wurde kurz vorher beim Attentat in Zug erschossen. Das geht an niemandem spurlos vorbei. Was hat das für die Gruppe bedeutet?
Wenn innert kurzer Zeit der Präsident und der Konzernchef ersetzt werden müssen, ist das natürlich eine grosse Herausforderung. Für mich kam die Übernahme des CEO-Postens nicht infrage. Ich war damals Geschäftsführer von Bossard Skandinavien und noch nicht bereit für das Amt des Konzernchefs. David Dean, damals Finanzchef, war bereits als CEO-Nachfolger vorgesehen, da mein Vater ein Jahr später in den Verwaltungsrat gewechselt hätte. Der Wechsel war quasi schon aufgegleist, David Dean konnte die Funktion rasch übernehmen. Im Rückblick stellte sich das als eine sehr glückliche Lösung heraus. Er war ein Vermittler. Ohne ihn wären vielleicht Machtansprüche aufgekommen.
Ist Dean mittlerweile fast schon ein Mitglied der Familie?
Sozusagen. Er ist ein grosses Vorbild, weil er das Unternehmen, mit der Grösse und der Internationalität, durch eine turbulente Zeit geführt hat. Dafür habe ich grossen Respekt.
Dean hat Bossard auch zu einem bekannten Zulieferer von Tesla gemacht, was zum Spitznamen «Bosla» geführt hat.
Dieses Bild müssen wir zurechtrücken. Wir machen heute 7 Prozent unseres Umsatzes mit Tesla. Das Unternehmen ist ein grosser, wichtiger Kunde. Aber wir arbeiten mit 18 weiteren Elektrofahrzeugherstellen zusammen und haben noch viele andere namhafte Kunden. Stadler Rail etwa ist ein sehr wichtiger Kunde für uns. Wir bedienen neu das Werk in Salt Lake City in den USA. Die meisten Zugbauer arbeiten mit uns zusammen. Das Bahngeschäft ist, gerade weil es im nachhaltigen Bereich angesiedelt ist, für uns sehr wichtig.
Diese 18 anderen E-Fahrzeug-Kunden: Können Sie da konkreter werden?
Das sind Hersteller für Motorräder, Lastwagen, Busse oder Autos. Diese Zahl bezieht sich auf Nordamerika. In Asien haben wir weitere Kunden im Bereich Elektrofahrzeuge. Einer davon arbeitet am neuen Londoner Taxi TX5. Für diesen Kunden konnten wir Lösungen am Fahrzeug mitentwickeln. Wenn das Geschäft wie angekündigt vorangeht, wird uns das ungefähr 9 Millionen Franken Umsatz bringen. In Taiwan haben wir eine Batteriefirma als Kunden. Sie produziert elektrische Scooter mit austauschbaren Batterien.
Am Umsatz gemessen ist Asien aber nach wie vor nicht so wichtig wie Europa und Nordamerika. Obschon gerade diese Region wirtschaftlich besonders stark zulegt.
Das liegt an unserer Geschichte. Wir kommen aus Europa. Dass dieser Markt für uns zentral ist, ist naheliegend. Natürlich wollen wir aber auch in Asien wachsen. Profitabel wachsen.
Asien bleibt am Umsatz gemessen auf Platz drei?
Wir haben in China noch viel Luft nach oben, aber auch in Europa sehen wir gute Chancen. In vielen europäischen Ländern sehen wir noch grosses Potenzial, speziell in Osteuropa, beispielsweise in Polen.
Von Warschau aus möchten Sie Osteuropa aufrollen?
Wir sind in Radom, das ist anderthalb Stunden südlich von Warschau. Von dort aus bedienen wir das ganze Land. Alstom ist unser grösster Kunde. Wir liefern rund 2000 Teile für den Zugbau und profitieren davon, dass vieles von Frankreich nach Polen ausgelagert wurde. Polen ist aber deutlich mehr als nur ein günstiger Produktionsort. Das Land hat sich mittlerweile zum Forschungsstandort für Industrieunternehmen entwickelt. ABB etwa hat ein riesiges Forschungszentrum gebaut. Dies ist für uns spannend, weil wir dort auch unsere technische Beratungskompetenz einbringen können.
Wie sieht es im Rest von Osteuropa aus, etwa in Rumänien und Bulgarien?
Wir bedienen diese Länder über unsere Exportabteilung in der Schweiz und über lokale Händler. Potenzial ist vorhanden, teilweise macht uns aber die Korruption zu schaffen.
Bossard: Unternehmen mit langer Historie
Der 1760 geborene Franz Kaspar Bossard gilt als Begründer der Familiendynastie. Als Söldner nahm er am Sturm auf die Bastille teil. 1831 legte er das Fundament für die heutige Firma, die nach dem Zweiten Weltkrieg zum globalen Konzern wuchs. Seit 1987 ist das Unternehmen an der Börse. Mit 28 Prozent des Kapitals kontrolliert die Bossard-Familie via Kolin-Holding 56 Prozent der Stimmen.
Über 4000 Lieferanten zählt Bossard. Das Unternehmen produziert kaum etwas selbst. In China steht eine Drehmaschine, in Indien sind es vier, und in England gibt es ebenfalls noch einen kleinen Produktionsarm. Sonst ist Bossard ein reines Handelsunternehmen. In der Schweiz arbeiten rund 400 Personen für den Traditionsbetrieb. Weltweit sind es über 2500.
Für den Grosskunden Tesla arbeiten rund dreissig Personen an der US-Westküste. John Deere ist ein ähnlich wichtiger Kunde aus den USA. Total sind über eine Million Produkte im Sortiment. Spezialanfertigungen machen die Hälfte des Umsatzes aus. Bis Ende 2020 will Bossard total 1 Milliarde Franken Umsatz machen. 2005 waren es noch knapp 500 Millionen Franken.
Sie sind einerseits sehr international, anderseits sehr stark in der Region verankert als Familienunternehmen. Ein schwieriger Spagat?
Nein, die Familie steht vollends hinter der globalen Entwicklung. Ein Schlüssel dazu ist sicherlich, dass zurzeit vier Familienmitglieder aktiv bei Bossard mitwirken.
Und für Sie persönlich?
Für mich persönlich nicht. Ich bin immer gern im Ausland gewesen. Ich habe ein Austauschjahr in Japan gemacht und bin später mit dem Rucksack durch Asien gereist. Ich bin gerne in andere Kulturen eingetaucht. Mit der Familie habe ich während dreier Jahre in Skandinavien gelebt. Und das ist alles sehr bereichernd. Die Dänen waren immer sehr pragmatisch und direkt, auch in Geschäftsverhandlungen. Die Japaner sind dagegen sehr zurückhaltend.
Wie verankert sind Sie in der Region?
Zug ist meine Heimat und mein Lebensmittelpunkt und ich komme immer wieder gerne zurück, verbringe gerne Zeit mit Freunden und Bekannten. In lokalen Clubs bin ich nicht engagiert.
Politische Interessen?
Keine Zeit.
Die FDP Zug hat nie angeklopft?
Ich bin Parteimitglied, aber habe mich nie aktiv eingebracht. Ich bin wohl etwas zu ungeduldig für die Politik.
Ungeduldig? Gilt das auch fürs Geschäftliche? Zünden Sie jetzt den Umsatzturbo?
Für dieses Jahr wollen wir bei rund 900 Millionen Franken landen. Leider herrscht seit Anfang Jahr wirtschaftlich mehr Gegenwind – nicht zuletzt dank Unsicherheiten rund um den Brexit und den Handelsstreit zwischen den USA und China sowie den Bremsspuren in der globalen Automobilindustrie, welche sich auf Zulieferbetriebe auswirken.
Inwiefern leiden Sie unter dem Handelsstreit?
Direkte Auswirkungen spüren wir in Form von höheren Importpreisen in den USA – jedoch ist dies nur ein sehr kleiner Teil unseres Einkaufsvolumens. In China merken wir es indirekt in Form von Kunden, welche ihre Produktion aus China nach Vietnam oder Mexiko verlagern. Im Idealfall fangen wir dies auf, indem wir dieselben Kunden über unsere bestehenden Niederlassungen in den neuen Ländern bedienen.
Das ist nicht Ihre erste Krise. Sie sind seit zwanzig Jahren im Unternehmen.
Und seit 2009 Teil der Konzernleitung als Leiter für Skandinavien und Osteuropa. Ich startete mit einem Umsatzminus von 30 Prozent und einem Verlust. Davon haben wir uns relativ rasch erholt.
So schlimm wird es jetzt sicherlich nicht. Sie bauen ja sogar den Schweizer Hauptsitz um – trotz Gewitterwolken am Konjunkturhimmel, trotz steigenden Kosten. Offenbar gibt es keinen Grund, um an der Sparschraube zu drehen.
Das wollen wir auch gar nicht. Insbesondere im Bereich Engineering wollen wir uns weiterentwickeln. Hier in Zug bauen wir eine neue Schulungsanlage für Beratungsdienstleistungen mit Experimentiertischen und grossen Räumen. Wir glauben an diese strategische Stossrichtung und wollen jetzt nicht einfach nur noch sparen. Ich glaube, wir haben genug Wasser unterm Kiel, damit wir uns das leisten können. Die Eigenkapitalquote ist sehr hoch und wir sind gut finanziert.
Haben Sie auch noch Geld für Zukäufe?
Wir werden sicher noch einige Akquisitionen tätigen, aber das wird uns nicht in neue Dimensionen bringen.
Die letzte Akquisition drehte sich ganz um 3D-Druck-Technologie.
Das ist für uns ein Erkundungsfeld. Wir wissen noch nicht genau, in welcher Form und wann 3D-Druck abhebt. Heute bewegt sich vieles im Prototypstadium. Aber weil wir stark im Bereich Engineering und Beratung unterwegs sind, ist es für uns wichtig, diesen Geschäftszweig besser kennenzulernen.
3D gilt in der Industrie als Zauberwort.
Heute gibt es vor allem in der Medizinaltechnik interessante Geschäftsmodelle. Sonst muss ich sagen: Was derzeit so alles geschrieben wird, ist etwas zu euphorisch. Die Technologie ist noch viel zu teuer. Wir haben zwei 3D-Druck-Farmen gekauft – eine im Metall- und eine im Kunststoffbereich. Wir wollen selbst produzieren, uns selbst die Füsse etwas nass machen und so sehen, was da wirklich auf uns zukommt. Aber ob wir uns zum Schluss auf den Verkauf von Druckern spezialisieren, Druckmaterialien vertreiben, selbst drucken oder einfach nur Engineering-Beratung machen, werden wir noch sehen. Diese Gehversuche geben uns eine realistische Einschätzung der Zukunft.
Eine Branche, über die wir bislang noch nicht gesprochen haben, ist die Luft- und Raumfahrtindustrie. Da solls in Sachen Verbindungstechnik durch die Decke gehen, meinen Beobachter.
Das ist natürlich ein spannendes Gebiet. Vor allem weil es schwierig ist, sich in diesem Bereich zu etablieren. Aber wenn man mal einen Fuss in der Türe hat, ist man wirklich mit dabei. Und die Projekte, die dort laufen, ziehen sich über Jahrzehnte hin. In der Schweiz besitzen wir die Firma Interfast, welche den schweizerischen Luftfahrtmarkt bedient. Und wir schauen uns Akquisitionsobjekte in diesem Bereich an.
Was wird sich sonst noch mit Ihnen als Chef ändern?
Vorerst nichts. Wir sind sehr erfolgreich unterwegs und haben eine solide Strategie, einen Fünfjahres-plan, der bis Ende 2020 läuft. Es gibt keinen Grund, diese Strategie zu ändern. Die Frage ist, wie wir das «Next Level» erreichen. Das wird sich nächstes Jahr im Rahmen der Erarbeitungsstrategie 2025 zeigen. Wir werden mit dem Management ausloten, ob und inwiefern wir einen Kurswechsel vollziehen werden.
In welche Richtung wird es gehen?
Sehen Sie, ich bin seit zehn Jahren Teil der Konzernleitung. Es wäre falsch, wenn ich jetzt alles auf den Kopf stellen würde. Ich habe den aktuellen Weg mitentwickelt, und diesen Kurs werden wir grundsätzlich weiterführen. Es tönt langweilig. Aber es gibt keinen Grund, die Strategie auf den Kopf zu stellen.
Wo bleibt die Agilität?
Den Begriff mag ich überhaupt nicht. Wir haben uns immer verändert. Und wir haben uns über die Jahrzehnte immer wieder ans Umfeld anpassen müssen. Wir sehen uns gerne als ein Startup mit 188 Jahren Erfahrung.