Kredite und Kapitalerhöhungen sind teuer geworden. Daher rückt für die Liquiditätssicherung das Working Capital Management vermehrt ins Zentrum. Laut eigenen Untersuchungen bei 150 SPI-Unternehmen (Swiss Performance Index ohne Finanzindustrie) sind 2008 im Mittel 25% des Umsatzes im Working Capital gebunden, also in Forderungen plus Beständen minus Lieferantenverbindlich-keiten.

Der Einkauf kann durch Senkung der Rohmaterialbestände und durch Erhöhung der Lieferan-tenverbindlichkeiten das Working Capital reduzieren und Liquidität freisetzen. In den SPI-Unternehmen sind 2008 im Mittel 15% des Umsatzes in Beständen (Rohmaterial, Halbfertigware, Fertigware) gebunden. Rohmaterialien in den verarbeitenden Industrien belaufen sich gemäss Roland Berger Strategy Consultants auf 20 bis 40% des Gesamtbestandes und damit 3 bis 7% des Umsatzes.

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Gestaltungsmöglichkeiten

Die Lieferantenverbindlichkeiten betragen bei den SPI-Unternehmen 7 bis 8% des Umsatzes, sodass Rohmaterialbestände und Lieferantenverbindlichkeiten gemeinsam etwa 10 bis 15% des Umsatzes ausmachen - ein Liquiditätspotenzial, das Einkäufer gezielt gestalten müssen.

Die Frage vieler Einkaufsverantwortlicher lautet nun: Welchen Liquiditätshebel wie aktivieren? Die Gestaltungsmöglichkeiten beim Lagerbestandsmanagement werden vorwiegend durch die Abhängigkeiten zwischen Lagerbestand und Lieferfähigkeit bestimmt.

In «Sandwich»-Position

Bei den Lieferantenverbindlichkeiten hängt der Liquiditätshebel von den Zahlungszielen mit den Lieferanten und Kunden ab. Die Differenz zwischen Forderungen und Lieferantenverbindlichkeiten zeigt, wie stark sich ein Unternehmen aufgrund der Kunden- und Lieferantenmachtstellung in einer «Sandwich»-Position befindet.

In Abhängigkeit des Lagerbestandes lassen sich vier Typen von Unternehmen unterscheiden (siehe Abbildung):

1. Working Capital Trucks.

2. Working Capital SUVs.

3. Working Capital Teslas.

4. Working Capital Minis.

Working Capital Trucks: Es besteht ein ungünstiges Verhältnis von Forderungen zu Lieferantenverbindlichkeiten, weil deren Differenz mehr als 10% des Umsatzes ausmacht. Bei den untersuchten 150 SPI-Unternehmen liegt das Mittel der Differenz bei 10% des Umsatzes. Die Lagerbestände sind mit mehr als 15% des Umsatzes ebenfalls über dem Mittel der SPI der Unternehmen. Maschinen- und Anlagenbauer wie Meyer Burckhardt Compression und StarragHeckert befinden sich beispielsweise in dieser Situation.

Working Capital SUVs: Das Verhältnis von Forderungen zu Lieferantenverbindlichkeiten ist günstig, da weniger als 10% des Umsatzes zur Forderungsfinanzierung notwendig sind. Hohe Anforderungen an Lieferservice oder fixe Produktionsbedingungen erfordern einen Lagerbestand von mehr als 15% des Umsatzes. Beispiele im SPI kommen aus der Prozess- und Chemieindustrie wie Syngenta und Ciba.

Working Capital Teslas: Diese Situation ist typisch für Unternehmen, die sich in neuen Märkten bewegen. Das Verhältnis von Forderungen zu Lieferantenverbindlichkeiten ist ungünstig. Die Forderungen dominieren das Working Capital, das heisst, die Kunden zahlen für neue Produkte entsprechend spät, und gegenüber Lieferanten besteht noch keine gute Verhandlungsmacht. Die Lagerbestände fallen mit weniger als 15% des Umsatzes unter den SPI-Mittelwert, weil typischerweise die Sortimentsbreite noch gering ist. Biotechnologiefirmen wie Nobel Biocare und Actelion gehören beispielsweise zu dieser Gruppe.

Working Capital Minis: Die Differenz zwischen Forderungen zu Lieferantenverbindlichkeiten als auch Lagerbeständen liegen unter dem SPI-Mittelwert. Hierzu zählen Unternehmen der Dienstleistung und des Handels wie Kühne & Nagel und Also.

Liquiditätsgenerierung

Wie kann nun der Einkauf die Liquiditätshebel für diese vier Typen von Unternehmen aktivieren? Für Working Capital Trucks und -SUVs kann der Einkauf durch Senkung der Rohmaterialbestände einen Beitrag zur Liquiditätsgenerierung leisten. Kurzfristig kann dies durch eine Anpassung der Dispositionsstrategien und -parameter an die veränderte Nachfrage erfolgen. Hier besteht bei vielen Unternehmen noch Optimierungspotenzial.

Der Einfluss des Stammdatenmanagements auf die Lagerbestände wird häufig unterschätzt. Simulationen der Dispositionsparameter helfen, die Wechselwirkungen zwischen Lagerbestand, Bestelllosgrösse, Wiederbeschaffungszeit, Servicelevel oder Sicherheitsbestand zu optimieren.

Mittelfristige Massnahmen zur Reduktion der Rohmaterialbestände sind darüber hinaus: Gemeinsam definierte Geschäfts- und Planungsprozesse mit Lieferanten, Just-in-Time-Anlieferungen oder Konsignationslager. Givaudan und Lonza verweisen beispielsweise in ihren Halbjahresberichten 2009 auf den Lagerabbau entlang der gesamten Lieferkette.

Vor allem für die Working Capital Trucks und Smarts sollte der Einkauf bei den Lieferantenverbindlichkeiten ansetzen. Die Schweizer Unternehmen zahlen aktuell immer später. Dun & Bradstreet berichtet, dass Schweizer Unternehmen mit 20 Tagen Verzug im 1. Quartal 2009 so unpünktlich zahlten wie noch nie.

Eine Erhöhung der Lieferantenverbindlichkeiten generiert zwar Liquidität. Sie ist jedoch in der Regel der teuerste Weg der Unternehmensfinanzierung, da die Marge leidet. Eine Verlängerung des Zahlungsziels reduziert das Skonto, typischerweise 2 bis 3% - wenn dieses denn genutzt wird. Studien belegen, dass bei mehr als 50% der Rechnungen in Grossunternehmen das Skon-to aufgrund komplexer Rechnungsprozesse nicht einbehalten wird.

Nachhaltige Verbesserungen des Managements der Lieferantenverbindlichkeiten sind daher ergänzend zu implementieren. Beispiele für mittelfristige Massnahmen sind: Standardisierte Prozesse der Rechnungsfreigabe und -zahlung, systematische Verhandlung standardisierter Zahlungskonditionen, sofortiger Zahlungsstopp bei unzureichender Lieferqualität oder moderne Finanzierungsinstrumente wie Reverse Factoring. Bei Nestlé übernehmen spezialisierte Accounts Payable Analysts weltweit die Steuerung der Lieferantenverbindlichkeiten.

Bestandsreduktion wirkt positiv

Die Reduktion der Rohmaterialbestände wirkt nachhaltiger als die Erhöhung der Lieferantenverbindlichkeiten. Die Reduktion der Lagerreichweite setzt Liquidität frei und erhöht die Profitabilität. Eine Erhöhung der Lieferantenverbindlichkeiten generiert zwar Liquidität, vermindert jedoch die Bonität der Unternehmen. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage achtet der Finanzmarkt neben der Entwicklung der Profitabilität vermehrt auf die Entwicklung der Bonität. Liquiditätskennzahlen werden daher für den Einkauf zu prioritären Zielen.

 

 

chefsache



Aufschwung als Bumerang

Sichern von Liquidität und Ertrag: Das ist das Schlüsselthema, das derzeit die Agenda des Top-Managements dominiert. Als Speerspitze für die Sicherung gewinnen dabei Beschaffung und Einkauf immer mehr an Bedeutung. Stellt sich die Frage: Wie muss sich das Supply Management positionieren, um diese Stellung beim sich abzeichnenden Aufschwung zu behaupten?

Einkäufer können aktuell mit viel Aufmerksamkeit rechnen. Auf Unternehmens- und Konzernleitungsstufe werden beschaffungsrelevante Themen endlich (wieder) wahrgenommen. Die Freude über die grössere Bedeutung ist bei vielen Einkäufern allerdings getrübt: Auf ihnen lastet ein enormer Druck zum Kostensparen. Intensive Gespräche mit Lieferanten über Preisnachlässe sind oftmals der wichtigste Hebel.

Einige Konjunkturindikatoren lassen allmählich auf eine positive Wende hoffen. Jetzt gilt es, die eher konventionellen und kurzfristig wirksamen Kriseninterventionen im Einkauf durch nachhaltige Strategien zu ersetzen und die gesamte Bandbreite der Einkaufsmassnahmen zu prüfen. Dazu gehören Stichworte wie: Systematische Bedarfsbündelung, Global Sourcing, Total Cost of Ownership, Rohstoffkostenmanagement, Lieferantenpartnerschaften - aber auch der Wille und der Mut, eigene Prozesse zumindest in Frage zu stellen.

Solche konzeptionellen Ansätze erhöhen die Transparenz und tragen zu einer angemessenen Verankerung in den Führungsgremien bei. Und sie tragen häufig deutlich mehr zur Kostensenkung bei, als sich die Unternehmen dies zunächst vorstellen.

Gestaltung und Umsetzung solcher anspruchsvoller Aufgaben bedingen ein kompetentes und motiviertes Einkaufsteam. Der Bedarf an top-qualifizierten Fachleuten und Führungspersönlichkeiten im Beschaffungsbereich steigt deshalb weiter an. Gleichzeitig wachsen die Erwartungen von (grossen) Unternehmen: Neben einer fundierten Grundausbildung sind heute Praxiserfahrung, permanente Weiterbildung und gute Fremdsprachenkenntnisse für mehr als 60% der Arbeitgeber unabdingbare Qualifikationen eines Einkäufers.

Der SVME als führender branchenübergreifender Fachverband hat die Zeichen der Zeit erkannt und weitreichende Veränderungen initiiert. Diese stellen sicher, dass die professionellen Qualifikationen auch zukünftig den erhöhten Anforderungen gerecht werden.