Wer soll Amazon bremsen? Innert weniger Jahre mutierte die Bücherplattform zum grössten Onlinehändler, stieg gerade zum wertvollsten Konzern der Welt auf. Mit zuletzt 174 Milliarden Franken setzte der Internetgigant 2017 dreimal so viel um wie Coop und Migros zusammen. Das Unternehmen aus Seattle dominiert den E-Commerce in den USA, Grossbritannien und Deutschland, wo es mit 8,8 Milliarden Euro siebenmal mehr Umsatz erzielt als Zalando.
In der Schweiz jedoch kommt Amazon kaum auf Touren. Im Dezember verkündete das Unternehmen sogar einen kleinen Rückzug: Wegen einer neuen Mehrwertsteuer-Regelung liefert die US-Seite von Amazon nicht mehr in die Schweiz. Auch der vermutete grosse Markteintritt lässt auf sich warten. Denn für Amazon bleibt die Schweiz ein schwieriges Terrain. Warum das so ist, skizzieren Ökonomen der Credit Suisse in der Studie «Retail Outlook 2019».
Drei Gründe, weshalb Amazon hierzulande kaum eine ähnliche Dominanz erlangen wird:
1. Schleichender Markteintritt
Erstens kam im Gegensatz zu den meisten Ländern der Markteintritt nicht auf einen Schlag, sondern schleichend. Bereits seit Amazon in Ländern wie Deutschland (1998), Frankreich (2000) oder Italien (2010) startete, können sich Schweizer gewisse Produkte liefern lassen.
Zwar ist Amazon hierzulande mit einem geschätzten Umsatz von 575 Millionen Franken unterdessen der drittgrösste Player im E-Commerce. Der schleichende Markteintritt ist jedoch für hiesige Händler kein Paradigmenwechsel. Sie konnten sich in den letzten Jahren auf den US-Giganten einstellen. Von einer unangefochtenen Marktführerschaft ist Amazon weit entfernt. Dieser Platz gehört Digitec Galaxus mit einem Umsatz von 834 Millionen Franken im Jahr 2017.
2. Amazon hat Pionierrolle verspielt
Zweitens: Amazon hat hierzulande die Pionierrolle verspielt. Laut den CS-Ökonomen konnte sich Amazon in den 90er-Jahren diesen Vorteil in den USA, Grossbritannien und Deutschland leicht verschaffen, weil es noch keine namhafte Konkurrenz gab. In der Schweiz sind die Felder inzwischen besetzt. Besonders der Verkauf von Heimelektronik ist in festen Schweizer Händen: Die Platzhirsche sind hier Digitec und Microspot, die zu Migros und Coop gehören, sowie Brack.ch. Laut Studie vereinen diese drei zusammen «deutlich mehr als die Hälfte aller Onlineumsätze» in diesem Segment. Zudem sind Elektronik-Geräte in der Schweiz teils sogar günstiger als im angrenzenden Ausland.
Kaum vielversprechender sieht es für Amazon mit dem Verkauf von Kleidern und Schuhen aus. Zalando hat sich in den letzten sieben Jahren in der Schweiz etabliert und kommt auf einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent in diesem Bereich. Laut Studie hat der deutsche Online-Händler 2018 rund 800 Millionen Franken umgesetzt.
Schwierig dürfte auch der Online-Foodmarkt sein, in dem Migros und Coop mit Abstand dominieren. Im Vergleich zu Elektronik und Bekleidung lässt sich online mit Lebensmitteln hierzulande wenig Geld machen: Migros LeShop kam 2017 gerade mal auf einen Umsatz von 180 Millionen Franken, Coop@home erzielte 142 Millionen. Ein Grund für die tieferen Umsätze ist die hohe Filialdichte im Lebensmittelhandel. Zudem bauen Migros und Coop die Anzahl an kleineren Filialen mit Frischprodukten laufend aus.
3. Für Drittanbieter lohnt sich die Schweiz kaum
Ein dritter Grund, weshalb Amazon wohl zögert, etwa mit einer CH-Domain voll und ganz in die Schweiz zu kommen, ist der zollgeschützte Markt. «Für ausländische Anbieter ist es dadurch tendenziell weniger attraktiv, in der Schweiz Fuss zu fassen als in grossen Ländern, die vollständig in den europäischen Binnenmarkt integriert sind», schreiben die Studienautoren. So beschränkt sich Amazons Angebot für die Schweiz primär auf Produkte, die aus den eigenen Lagern angeliefert werden – die Zoll-Abwicklung übernimmt seit wenigen Wochen die Schweizerische Post.
Anders ist es für Produkte von Drittanbietern. Sie müssen Zollabwicklung und das Retourenmanagement selbst organisieren. Amazons starkes wachstum, etwa in Deutschland, ist zuletzt jedoch vor allem dank den Kooperationen mit anderen Händlern zustande gekommen (Siehe Grafik). Zum Vergleich: Mit eigenen Produkten stieg zwischen 2010 und 2017 der Umsatz durchschnittlich um 15 Prozent, jene über den Amazon-Marktplatz um 40 Prozent. Seit 2016 werden in Deutschland wertmässig mehr Produkte von unabhängigen Händlern verkauft.
Laut CS wären Schweizer Händler, die auf Amazon anbieten im Vorteil, da für sie keine Verzollung nötig wäre und die Lieferzeiten kürzer ausfielen. Der Eintritt von Amazon würde hinsichtlich der Drittanbieter somit keinen «Dammbruch» auslösen, heisst es in der Studie. Beschleunigt würde damit primär die Verlagerung vom stationären in den Onlinehandel.