Es war die letzte Bilanz, die der scheidende CS-Chef Tidjane Thiam heute vorlegte. Dabei blickt er auf ein erfolgreiches Jahr zurück: Einen Gewinn von 3,4 Milliarden Franken machte die Credit Suisse 2019 – das sind 69 Prozent mehr als im Vorjahr. Anleger hatten trotzdem noch ein bisschen mehr erwartet.
Darauf ausruhen wird sich Thiams Nachfolger Thomas Gottstein aber ohnehin nicht können, wenn er am Freitag den Chefposten übernimmt. Zunächst einmal wird er versuchen müssen, den Reputationsschaden und den Vertrauensverlust wiedergutzumachen, welche durch die Bespitzelungsaffäre unter Thiam entstanden sind. Daneben gibt einige weitere Baustellen, die der neue CEO wird angehen müssen:
1. Asien
Zum guten Jahresergebnis beigetragen hat das Geschäft mit den Reichen. Die internationale Vermögensverwaltung, das eigentliche Kerngeschäft der Bank, steigerte den Gewinn vor Steuern auf 2,1 Milliarden Franken. Die einstige Wachstumshoffnung Asien-Pazifik blieb jedoch mit 902 Millionen Franken hinter den Erwartungen zurück. Seit Jahren gilt Asien als Wachstumsmarkt für Schweizer Vermögensverwalter: 60 Prozent der Weltbevölkerung und jeder vierte Millionär lebt in der Region.
Doch es ist ein hartes Geschäft, denn um die Gunst der zunehmenden Zahl an Ultra-Reichen buhlen diverse globale Grossbanken. Noch sind die Schweizer führend: Konkurrentin UBS ist die grösste Privatbank in Asien, gefolgt von der CS. Laut «Asian Private Banker» verwaltete letztere im vergangenen Jahr 205 Milliarden Dollar an Vermögen. Zuletzt waren die verwalteten Vermögen in der Region allerdings etwas geschrumpft: auf 357 Milliarden Dollar.
Kein einfacher Markt also und umso umkämpfter dürfte er in Zukunft werden – nicht nur um Kunden, sondern auch um die besten Privatbanker. So sieht der neue CEO Thomas Gottstein grosse Wachstumschancen in Asien und den Schwellenländern: «Dort wollen wir mindestens mit dem Markt oder schneller wachsen», sagte er kürzlich in einem Interview mit der «Sonntagszeitung». Ein ambitioniertes Ziel, das mit der langsamer wachsenden Wirtschaft in China und den noch nicht absehbaren Auswirkungen des Coronavirus wohl nicht so einfach zu erreichen sein dürfte.
2. Investment Banking
Das Investment Banking, mithin die verwöhnten Banker an der Wall Street, war ein harter Brocken für Tidjane Thiam. Er legte sich früh und lautstark mit ihnen an, weil er ihr Geschäft nach der Ära von Investmentbanker Brady Dougan an der CS-Spitze eindampfen musste. Das war die Vorgabe auch von VR-Präsident Urs Rohner.
Thiam griff durch, doch noch immer leidet der Bereich unter hoher Volatilität und Kapitalintensität. Vor dem gelernten Investmentbanker Gottstein steht eine Herkulesaufgabe: Er muss rasch eine Trendwende hinkriegen. Das Investment Banking schloss 2019 im Minus ab (Vorsteuerverlust 161 Millionen Dollar).
Das heisst, die Bank muss darauf hoffen, dass das Merger & Acquisition-Geschäft nach einem Taucher 2019 wieder in die Gänge kommt. Und sie muss im Beratungsgeschäft wieder Marktanteile zurückholen. Zudem muss der Geschäftsaufwand (Immobilienkosten, Abfindungen) noch radikaler gesenkt werden, sonst sind die Ertragsrückgänge nie und nimmer abzufedern.
3. Aktienkurs
Der Aktienkurs unter Thiam hat sich seit seinem Amtsantritt halbiert. Nach seiner Ernennung war die Stimmung unter den Anlegern noch positiv, aber schon bald drehte der Wind. Die Ankündigungen, in Asien gross aufzutrumpfen und profitables Wachstum hinzukriegen entpuppte sich als schwierig.
Wo Thiam lieferte, war beim rigorosen Kostenmanagement, bei der internationalen Vermögensverwaltung und beim Heimmarkt Schweiz. Ansonsten musste er seine Prognosen laufend nach unten korrigieren. Vertrauen seitens der Investoren baute dies nicht auf.
Was man aber auch sagen muss: Europäische Banken werden gegenüber den Amerikanern mit einem Malus bewertet. Das liegt am fehlenden Heimmarkt und vor allem an der nur harzig verlaufenden Restrukturierung in der Branche. Zudem hat die Negativzinspolitik der Nationalbank das Schweiz-Geschäft unter Druck gesetzt.
Mit anderen Worten: Der Kurssturz ist Thiam nur partiell anzulasten, auch die Umstände sind widrig. Daran kann auch Nachfolger Gottstein nicht viel ändern. Ein Kursfeuerwerk ist nicht zu erwarten, hingegen eine noch stärkere Fokussierung auf die globale Vermögensverwaltung und eine engere Verzahnung im Gesamtkonzern, um der vermögende Kundschaft rund um den Globus eine 360-Grad-Betreuung anbieten zu können.
4. Kultur
Das Leitbild der Grossbank, es werde eine «inclusive and open corporate culture» gepflegt, hat mit der Realität – zumindest in den Chefetagen am Paradeplatz in Zürich – nicht viel zu tun. Kaderleute wie Iqbal Khan und Peter Goerke wurden ausspioniert, Telefone und E-Mails flächendeckend kontrolliert. Der ausgebaute interne Sicherheitsdienst hatte unter Tidjane Thiam allerhand zu tun.
Mit Thomas Gottstein übernimmt ein Manager, der sich nichts mehr beweisen muss. Er gilt als zugänglich, bodenständig und hat klar gemacht, dass es unter ihm Beschattungsaktionen, wie sie in der Vergangenheit offenbar Usanz waren, nicht mehr geben wird. Als Schweiz-Chef hat er starke Persönlichkeiten um sich geschart und ihnen auch Freiräume geboten. Im Team war er beliebt.
Zweifellos wird er die Konzernleitung wieder stärker einbinden und sich an eine zeitgemässe Corporate Governance halten. Und mit dem britisch-amerikanischen James Walker als Chief Operating Officer hat der Verwaltungsrat eine Vertrauensperson in der Konzernleitung, die über eine Umsetzung der alten Prinzipien wachen wird.
5. Kommunikation
CS-Chef Gottstein ist nicht der Mann der grossen Worte und eleganten Gesten. Gleichwohl muss er in der Kommunikationsarbeit schnell einen radikalen Kurswechsel einläuten. Die Bedeutung des Heimmarktes Schweiz wird er wieder kommunikativ steigern. Vorgänger Thiam setzte primär auf die britische Wirtschaftspresse wie «Economist» und «Financial Times», die seine Adlaten mit News anfütterten und mit positiven Spinning belohnt wurden.
Als schliesslich auch die britische Presse immer kritischer über die Vorgänge bei der Grossbank berichteten, stand Thiam definitiv unter Druck. Mit dem Abgang des Thiam-Vertrauten Adam Gishen – er ist noch bis heute für Kommunkation und Investor Relations zuständig –, ist ein erster Schritt zur Neuausrichtung getan.
Gottstein muss die Kommandozentrale der Medienarbeit aus London wieder nach Zürich zurück verschieben. Denn es kann nicht funktionieren, dass eine Schweizer Grossbank mit starkem Heimmarkt und einem Drittel der Belegschaft in der Schweiz, von der Insel geführt wird.
Neben Gishen wird auch mit dem Abgang von James Quinn gerechnet, der seit einem halben Jahr Head of Group Corporate Communications & Content ist. Anzunehmen ist, dass Gottstein eine deutschsprechende Frau oder einen deutschsprechenden Mann zum Comm-Chef kürt.
Tidjane Thiam verlässt die Credit Suisse durch die Hintertür. Eindrücke vom letzten Auftritt als CS-CEO. Mehr hier.
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Als Thomas Gottstein 2016 Schweiz-Chef der Credit Suisse wurde, fragten Kritiker: Kann der das? Gottstein nutzte die Zeit und lieferte ab. Mehr hier.