Swatch-Chef Nick Hayek betritt den Kinosaal. In der Hand hält er eine Tüte Popcorn. «Eigentlich war das hier immer mein Albtraum», sagt er. «Einen Film vorzuführen in so einem kleinen Kino und dann ist es nur halb besetzt.»

Hayek war einst Filmemacher. Doch seit 12 Jahren lenkt er den weltweit grössten Uhrenbauer. Jetzt steht er vor einem Dutzend Journalisten in diesem Zürcher Kino und bringt eine Weltpremiere mit: den Dokumentarfilm «The Swatch Car Project». Er handelt von Nicks Vater und Swatch-Gründer Nicolas Hayek und dessen Traum von einem Swatch-Mobil, dem Vorgänger des heutigen Smarts. Es ist die Geschichte über Vision, Innovation – und das Scheitern.

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Swatch-Mobil: Klein, umweltfreundlich, günstig

Der Film zeigt Hayek Senior als unermüdlichen Pioniergeist und als Weltverbesserer. Neben seinen Plastik-Uhren träumte Hayek vom Bau eines pfiffigen, zweisitzigen Stadtflitzers. Das kleine Auto sollte sein wie eine Swatch-Uhr: Kostengünstig, bunt und aus wenigen Bauteilen gefertigt. Und es sollte umweltfreundlich sein. Ein Elektro- oder Hybridantrieb war in den Überlegungen daher ein Muss.

Die Geschichte beginnt in den 1970er Jahren, der schweren Krisenzeit der Schweizer Uhrenindustrie. Billig- Zeitmesser aus Asien überschwemmten den Markt. Eine Uhrenfirma nach der anderen machte dicht, Zehntausende Mitarbeiter verloren ihre Stelle – bis Nicolas Hayek Mitte der 80er-Jahre eine günstige Plastikuhr lancierte und den den Wiederaufschwung der Schweizer Uhrenindustrie einläutete.

Kooperation mit Volkswagen

Nebenbei wollte Hayek noch den Automarkt revolutionieren. Dafür nutzte er seinen Namen. Er hausierte um die ganze Welt, warb bei Autobauern, hochrangigen Politikern und vor der Uno in New York für sein umweltfreundliches Gefährt. Seine Reise brachte Hayek mit dem deutschen Autoriesen Volkswagen (VW) zusammen. Gemeinsam erarbeiteten die sehr unterschiedlichen Konzerne Pläne für den Kleinwagen und tüftelten an Prototypen.

Die Zusammenarbeit endete jäh, als es 1993 im VW-Vorstand zum Wechsel kam: Ferdinand Piëch wurde Vorsitzender. Genau dieser Piëch, der im Führungsstreit mit VW-Chef Martin Winterkorn erst vor wenigen Tagen seinen Hut nehmen musste.

Piëch lässt Hayek fallen

Piëch sägte sogleich das Projekt mit Hayek ab. VW brauche Swatch beim Bau eines Autos nicht, war der Patriarch überzeugt. Also machte sich Hayek erneut auf die Suche nach einem Partner und landete bei Daimler. Das gemeinsame Projekt verlief allerdings nicht nach dem Gusto des Swatch-Gründers. Daimler setzte vor allem auf hochwertige Qualität, die Kosten stiegen und stiegen.

1997 präsentierte Daimler den serienmässig produzierten Smart Fortwo. Doch der Flitzer hatte weder einen Elektro- noch einen Hybridantrieb. Hinzu kamen diverse technische Mängel. Hayek hatte genug. Der Smart hatte kaum noch etwas mit seiner ursprünglichen Idee zu. Der Uhrenpatriarch stieg aus dem Projekt aus und verkaufte seine Anteile am Joint Venture an Daimler.

Denkmalpflege an Hayek

Für den Film über das «industrielle Abenteuer» stand Sohnemann Nick Hayek teilweise selber hinter der Kamera. Damals arbeitete er für seine eigene Pariser Filmproduktionsfirma Sésame Films. Vater Nicolas erlaubte seinem Sohn, mit der Kamera bei Konzernsitzungen, Desingstudien und Testfahrten dabei zu sein.

Herausgekommen ist ein eindrückliches Zeitdokument, das tiefe Einblicke in die Mechanismen der knallharten Wirtschaftswelt gewährt und Hayek als unermüdlichen Kämpfer und Verfechter seiner Träume porträtiert. Letzlich setzt der Uhrenkonzern Swatch damit natürlich auch sich selbst und seinem Gründer Hayek ein Denkmal. Kritik am Uhrenpatriarch gibt es nicht.

Die Autoindustrie hingegen kommt weniger gut weg. Der Film vermittelt den Eindruck, als seien VW und Daimler noch nicht bereit gewesen für Hayeks Ideen – zuweilen wirkt das etwas gar vermessen. Vielleicht aber war Hayek tatsächlich vor seiner Zeit. Denn über 10 Jahre nach seinem Ausstieg bei Daimler, präsentierte der Autokonzern mit dem ersten elektrobetriebenen Smart einen Kleinwagen, der Hayeks Vision nahe kam.

Swatch tüftelt am Super-Akku

Der heutige Swatch-Chef Nick Hayek will derweil die Pionier-Rolle seines Vaters übernehmen. Ein eigenes Elektroauto bauen steht jedoch nicht auf dem Plan. «No way», sagt er im Zürcher Kino vor den Medien. Offenbar genügen ihm die ernüchternden Erfahrungen seines Vaters. Dafür will Hayek Junior Bauteile für ein umweltfreundliches Auto liefern.

So baut Hayek mit seinen Swatch-Töchtern Belenos Clean Power und Renata derzeit einen Super-Akku. Deren Speicherkapazität für elektrische Energie soll bis zu doppelt so hoch sein wie alle heute auf dem Markt verfügbaren Produkte. «So eine Batterie gab es bisher nicht», sagt Hayek.

Millionen-Investitionen

Im Sommer 2016 soll der erste Akku für Elektroautos fertig sein. «Wir öffnen erst unsere Türen, wenn wir serienmässig produzieren können», so Hayek. So will er sich der neugierigen Blicke der Konkurrenz erwehren. Produziert wird die Batterie im basellandschaftlichen Itingen. Swatch investiert aktuell Millionen in das Projekt.

Ein Swatch-Mobil wird es wohl auch in Zukunft nicht geben. Doch mit der geplanten Super-Akku trägt Hayek einen Teil der visionären Auto-Ideen seines Vaters ein Stück weit weiter.

Der Schweizer Privatsender Star TV strahlte gestern Montag den ersten Teil von «The Swatch Car Project» um 20.15 Uhr aus. Der zweite Teil folgt zur selben Zeit in einer Woche.