Johannes Cramer ist als COO von Digitec Galaxus zuständig für die Expansion nach Deutschland. Die Testphase ist bald abgeschlossen. Für das Interview trifft ihn die «Handelszeitung» am Hauptsitz an der Zürcher Pfingstweidstrasse. Cramer wartet bereits im Sitzungszimmer namens Highflyer und haut auf die Tasten seines Notebooks.
Bei Ihnen herrscht der typische Startup-Groove mit Lounges, provisorisch anmutenden Räumen, wilder Deko, Graffiti. Ist die Arbeit hier eher Party oder ernst?
Johannes Cramer: Beides. Wir versuchen, kein steifer Konzern zu sein, obwohl wir nun eine gewisse Grösse haben und nicht mehr ganz so jung sind. Es ist aber gerade im Tech-Umfeld wichtig, die Startup-Kultur zu behalten. Wir müssen noch immer genauso schnell sein wie früher.
Die internen Abteilungen heissen Ninja Turtles, Deadpool oder Wolf of Wallstreet. Klingt nicht gerade nach harter Arbeit.
Die Teams können sich selber einen Namen geben. Es geht dabei um Selbstverantwortung und Authentizität. Jeder kann sein, wie er will, so lange er einen guten Job macht. Das ist unsere Grundphilosophie. Natürlich haben wir auch einen Hang zum Nerdtum, was die speziellen Namen erklärt.
Digitec Galaxus beschäftigt bereits 1260 Mitarbeiter. Stocken sie weiter auf?
Dieses Jahr werden wir deutlich über hundert neue Mitarbeiter in den verschiedenen Bereichen einstellen. Wir bauen im Aargauischen Wohlen gerade das grösste und automatisierteste E-Commerce-Lager der Schweiz. Mit diesem verdoppeln wir die Kapazität des jetzigen Lagers und brauchen entsprechend auch mehr Personal.
Braucht es dank der Automatisierung nicht weniger?
Das sehen wir momentan nicht. Aber das Mitarbeiter-Wachstum wird so abgeschwächt.
Sie sind ja Chief Operations Officer. Für was genau sind Sie zuständig?
Für die Bereiche Logistik, Kundendienst, Retail, den After-Sales-Bereich und ich betreue unsere Landesgesellschaften mit.
Sie sind 2015 aus Deutschland zu Digitec gekommen. Haben Sie also die Expansion ins Nachbarland angestossen?
Auch. Aber Deutschland war schon immer die strategisch logische Richtung. Es war immer klar: Wir müssen noch eine ganze Weile wachsen, um gegen internationale Player bestehen zu können.
«Amazons Monopol hält vor allem, weil Konsumenten in Deutschland keine sinnvolle Alternative haben.»
In Deutschland ist das Feld mit Amazon, Otto, Zalando, Notebooksbilliger und Co. besetzt. Manche Experten sprechen ihnen wenig Chancen zu?
Das ist richtig und falsch. Klar ist in Deutschland Amazon unheimlich dominant. Im Ranking der zehn grössten deutschen Online-Shops ist Amazon klarer Leader. Danach kommt Otto, der aber für die Landesgrösse schon nicht mehr so gross ist. Mit unserem Schweizer Umsatz wären wir in Deutschland viertgrösster Player. Dass in Deutschland nur drei Anbieter grösser sind, ist eigentlich verkehrt. Da findet eine extreme Monopolisierung auf Amazon statt.
Weil Amazon offenbar besser als die Konkurrenz ist.
Amazon macht vieles sehr gut. Aber sie haben auf der politischen Ebene und was die Mitarbeiter anbelangt einen schlechten Ruf. Amazon hat auch keine vernünftige Customer-Experience. Sie nehmen alle Händler und deren Waren rein, ohne gross zu prüfen, ob die Marken gefälscht oder die Produkte gar gefährlich sind. Das Monopol hält vor allem, weil Konsumenten in Deutschland keine sinnvolle Alternative haben – nicht weil sie Amazon so mögen.
Galaxus soll also die Alternative sein. Ziel ist ein Duopol?
Wir wollen Amazon nicht in der Grösse schlagen. Aber wir wollen ein relevanter Nischenplayer sein und damit in die Top Ten in Deutschland kommen. Und zwar mit einer aufgeräumten Webseite, kuratiertem Angebot und einem qualitativ hochwertigen Sortiment ohne Fälschungen.
Johannes Cramer studierte Wirtschaft an der Universität Mannheim und doktorierte im Bereich Marketing an der Universität Erlangen Nürnberg.
Zwischen 2013 und 2007 arbeitete er für McKinsey und wechselte danach als Managing Director zu Petobel, einem deutschen Online-Tierfutterhändler, der heute nicht mehr existiert.
2015 stiess Cramer zu Digitec Galaxus und verantwortet etwa die Bereiche Logistik, Kundendienst, Retail und die Landesgesellschaft Deutschland zusammen mit Frank Hasselmann, der in Deutschland Galaxus.de aufbaut.
Wie viel Umsatz ist nötig, damit das Deutschland-Geschäft rentiert?
Wir machen in der Schweiz knapp eine Milliarde Franken Umsatz. Halten wir unser Wachstumstempo, werden es fünf Jahren zwei Milliarden sein. Das heisst: Deutschland muss in Relation relevant sein. Alles unter 500 Millionen Franken Umsatz ist langfristig zu klein.
In Deutschland haben sie 18 Mitarbeiter. Wie soll das aufgehen?
Wir stehen erst in den Kinderschuhen und stellen derzeit Mitarbeiter ein. Wir profitieren aber von Synergien. Die Shop-Technologie müssen wir zum Beispiel nicht neu entwickeln. Und den Content können wir für beide Länder nutzen. Wir brauchen primär Lieferanten und Logistik, und wenn wir die Beta-Phase abgeschlossen haben, müssen wir eine lokale Vermarktung anstossen.
Wie lange dauert die Beta-Phase noch?
Wir wollen sie innerhalb des Jahres abschliessen.
Was ändert dann?
Wir haben dann ein marktfähiges Sortiment. Wer jetzt auf die Homepage kommt, findet keine Angebotsbreite wie in der Schweiz. Momentan haben wir 120’000 Artikel auf der Seite. Ende Jahr werden es gegen 200’000 sein. Nach dem Start mit Elektronikartikeln schalten wir nun die verwandten Haushaltsprodukte auf.
In der Schweiz sind ja Elektronikartikel billiger als in Deutschland. Hilft das?
Das ist so. Wir haben gelernt, mit kleineren Margen zu arbeiten. Wir sind auf Automatisierung und Effizienz angewiesen. Das hilft auch in Deutschland.
Sie haben in Weil am Rhein einen EU-Hub eröffnet. Was bringt das den Kunden in der Schweiz?
Sie können auf einem breiteren Marktplatz Produkte einkaufen. Wir öffnen so unseren Marktplatz europäischen Händlern und erledigen im Hintergrund für den Kunden alles, was mit Einfuhr, Zoll und Mehrwertsteuer zu tun hat. Und die Kunden können sicher sein, dass sie nur den Preis bezahlen, der im Shop angezeigt wird.
Sie können also Waren anbieten, die über Amazon nicht in die Schweiz geliefert werden.
Genau. Das System ist so aufgebaut, dass wir unlimitiert europäische Händler dazunehmen können.
Wann gehen sie nach Österreich?
Unsere Technologie ist auf weitere Länder skalierbar. Und Österreich ist sicherlich der nächste logische Schritt. Wir haben aber noch keinen festen Zeitplan.
Danach folgen Frankreich, Italien, Spanien?
Das ist alles denkbar. Wie gesagt, haben wir aber keinen festen Zeitplan für eine solche Expansion.
Sprechen wir über die Migros. Von aussen hat man den Eindruck, die hippen Digitec-Leute hören nicht so gerne, dass sie zur Migros gehören.
Nein, das stimmt nicht. Wir haben eine schöne Symbiose. Natürlich sind wir anders. Aber das ist für beide Seiten in Ordnung. Es gibt auch Synergien, etwa beim Bau von neuen Lagern. Die Migros hat eine eigene Ingenieurs-Truppe, die sich über nichts anderes als den Aufbau von Lagern Gedanken macht. Solche Ressourcen haben wir nicht.
Wie stark ist der Einfluss von Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen und der Generaldirektion?
Wir haben einen regen Austausch. Gerade was strategische Themen, wie die Expansion nach Deutschland betrifft. Im operativen Geschäft sind wir aber ziemlich frei.
Die EBIT-Entwicklung der Migros Handels-Sparte steht mit 152 Millionen im roten Bereich. Wie viel trägt Galaxus und die Expansion nach Deutschland dazu bei?
Zu unserem EBIT oder den Kosten für die Expansion kann ich nichts sagen. Wir kommentieren unsere Zahlen nicht. Nur so viel: Mit dem Geschäftsverlauf sind wir zufrieden.
Digitec Galaxus ist also noch nicht profitabel.
Das bleibt leider im Nebel. Sorry.
Werden Lebensmittel ein Thema?
Wir haben ja ein paar Delikatessen. Man kann bei uns etwa Schokolade oder Wein kaufen. Frische, verderbliche Lebensmittel können wir aber nicht. Der Aufwand wäre zu gross für uns.
Funktioniert der Onlinehandel mit Lebensmitteln überhaupt?
Es kann funktionieren. In Grossbritannien geht es gut, in Deutschland ist es noch offen. In den USA tut sich Amazon in verschiedenen Regionen schwer. In der Schweiz könnte es funktionieren, da eine hohe Kaufkraft auf engem Raum gebündelt ist.
Wann nehmen Sie Coop-Produkte auf?
Wir wären dafür offen. Ich habe aber noch keinen Anruf von Interdiscount oder Microspot bekommen.
Der Online-Handel hat derzeit einen Anteil von 8 Prozent. Wie viel sind es in fünf Jahren?
Er wird sich verdoppeln. Wir wachsen jährlich mit knapp 20 Prozent und sehen in vielen Produktsparten ein grosses Potenzial.
Derzeit gibt es 2,6 Millionen Produkte auf Digitec Galaxus. Stimmt die Zahl noch?
Es sind bereits 2,7 Millionen. Wir bauen weiter aus. Dieses Jahr gehen wir auf jeden Fall auf über 3 Millionen. Vielleicht auch über 4 Millionen.
Amazon geht ja mehr und mehr ins Stationäre. Ein Thema?
Wir diskutieren immer mal wieder über einen weiteren Ausbau unseres Filialnetzes. Aktuell gibt es keine konkreten Pläne.
Rentieren die Läden?
Die Nachfrage der Kunden nach persönlichem Kontakt ist sehr gross. Fast ein Drittel der Bestellungen wird abgeholt. Und bei Retouren ist die Quote sogar noch höher. Der Bedarf für einen persönlichen Kontakt ist sehr hoch.
Kommt Amazon überhaupt noch in die Schweiz?
Das ist das ewige Gerücht. Wenn ich das wüsste, wäre ich gescheiter, als ich bin. Ich habe aber das Gefühl, die Expansion in die Schweiz passt nicht in deren Gesamtstrategie.
Asiatische Händler müssten Mehrwertsteuer auf Kleinwarensendungen entreichten, umgehen aber diese Regelung. Wie sehr schadet das?
Vor allem verschicken sie Ramschwaren zu billigen Preisen. Ich habe letztens den Test gemacht und mir eine iPhone-Hülle für vier Dollar gekauft. Nach drei Tage hat mich das Ding so genervt, dass ich mir eine neue gekauft habe. Wir haben mit Digitec und Galaxus eine andere Zielgruppe. Dem Gesamtmarkt in der Schweiz schaden Aliexpress und Wish aber schon. Und dem Steuerzahler gehen hohe Mehrwertsteuerbeträge flöten. Es gibt mittlerweilen einen breiten Konsens in der Politik, dass das Problem angegangen werden muss. Ebenfalls ärgerlich ist es, dass chinesische Händler ihre Produkte aufgrund von Subventionen günstiger von Shenzhen in die Schweiz schicken können, als wir von Wohlen nach La Chaux-de-Fonds. Aber auch da tut sich was.
Aliexpress kann ja von Ramsch zu hochwertiger Ware übergehen. Die Kunden haben nun vertrauen gewonnen. Wie sehr ist das eine Bedrohung?
Es gibt ein Szenario, in dem das eine Bedrohung wird. Der chinesische Markt ist aber noch nicht auf Markenware ausgerichtet. Und selbst im eigenen Land verschicken die chinesischen Onlinehändler zu 60 Prozent Fälschungen. Theoretisch kann aber ein Switch stattfinden. Dann wäre es schade, wenn wir Alibaba und Co. mit Steuergeldern und Post-Subventionen hochgefüttert hätten.
Dann müssen Sie halt besser sein.
Unsere Kunden schätzen, dass sie bei uns vernünftige Waren und keine Fälschungen bekommen. Wir sind ein ehrlicher Laden. Und dank der Nähe unheimlich schnell. 90 Prozent der Waren liegen in unseren Lagern, Bestellungen werden zum nächsten Tag ausgeliefert. Das können ausländische Firmen nicht.
Apropos Ehrlichkeit. Sind die teils negativen Produkte-Reviews in den Produkte-Beschreibungen bloss schlaue PR?
Wir lassen unseren Redaktoren die Freiheit, ehrlich zu sein. Wir legen keinen Corporate-Filter drüber und sagen: alles ist super. Und Ehrlichkeit ist manchmal halt negativ...
...schadet aber dem Geschäft.
Natürlich hat eine solche Kritik kurzfristig Implikationen. Etwa wenn wir Produkte, die wir in grösserer Stückzahl am Lager haben, negativ bewerten und die Ware dann liegen bleibt. Aber: Langfristig merken die Leute, dass sie bei uns nichts aufgeschwatzt bekommen.
Nehmen Sie sich da nicht aus der Verantwortung bei Beschwerden? Gemäss dem Motto: Wir haben ja gesagt, dass das Produkt nichts taugt.
Überhaupt nicht. Wir wollen den Kunden einfach nichts andrehen, von dem wir nicht selbst überzeugt sind. Es gibt zudem die Bewertungen der Community. Wenn ein Produkt nur eineinhalb Sternchen hat von fünf, ist das ein Indikator, dass man es mit Vorsicht kaufen sollte.
Was sagt die Migros zu dieser Strategie?
Die finden es gut. Der Migros ist diese Ehrlichkeit ebenso wichtig. Auch darin passen wir gut zusammen.