In den meisten Firmen laufen die Arbeiten am nächsten Geschäftsbericht bereits auf Hochtouren. In unzähligen Sitzungen wird darüber debattiert, wie er aufzubauen sei, welches Fotokonzept verfolgt und was dargelegt werden soll, welche Daten er enthalten muss, welches Gestaltungskonzept und welcher Umfang angemessen sind und so weiter. Die übergeordnete Frage dabei ist stets: Was wünschen sich die Nutzer unseres Berichts?
Neu haben wir dieses Jahr für die Gesamtbewertung eine Jury geschaffen, der neben den Präsidenten der Gestaltungs- und der Value-Reporting-Jury professionelle Nutzer von Geschäftsberichten angehören. Diese stammen aus dem Bereich der Geschäftsprüfung, des Journalismus, aus dem Corporate-Communications-Metier und jenem der Wirtschaftskommunikation.
Diese Leute vermögen zu sagen, was Kunden von einem Bericht erwarten, was ihn insgesamt gut oder schlecht macht. Daher liessen wir sie nicht nur die drei besten Berichte erküren, sondern haben aus ihrer Diskussion auch die zehn wichtigsten Kriterien herausgefiltert, die für einen guten Geschäftsbericht erfüllt sein müssen.
Die Meinungen über die einzelnen Berichte waren unter den Jurymitgliedern nicht immer einheitlich. Doch hat sich gezeigt, dass alle denselben Massstab angewandt haben, um die Berichte zu beurteilen. Die untenstehende Reihenfolge der Kriterien ist willkürlich und sagt nichts über deren relative Bedeutung aus, sie sind in der Praxis ohnehin eng miteinander verknüpft.
Ein guter Geschäftsbericht …
1. … erörtert das Business
Die Erörterung des eigenen Geschäfts ist der eigentliche Zweck eines Geschäftsberichts. Einigen Unternehmen gelingt dies besonders gut. «Bei Novartis hat beeindruckt, wie das Unternehmen sein eigenes Geschäft in einen grösseren Kontext zu stellen vermochte», lobt Gaby Tschofen, Leiterin Corporate Communications bei Barry Callebaut, den Bericht des Pharmamultis. So beginnt etwa ein Text über eine Blutdrucktherapie des Pharmagiganten mit einem zahlenunterlegten Überblick über die weltweiten Ausmasse des Problems von Bluthochdruck.
Beim Sieger Straumann beeindruckt Tschofen die explizite Auseinandersetzung des Zahnimplantateherstellers mit dem Thema Produktsicherheit, die für ein Medizinalunternehmen besonders existenziell sei. Dabei sei es dem Unternehmen gelungen, trotz erfrischenden Texten und Bildern die für dieses Business notwendige Ernsthaftigkeit zu bewahren.
Ein weiteres Beispiel für die gelungene Vermittlung des eigenen Geschäfts sieht die Journalistin Anne-Marie Nega-Ledermann bei Nestlé im Bericht zum Wassermanagement, der dem Geschäftsbericht des Nahrungsmittelmultis beiliegt: «Der Bericht zeigt die Probleme, die sich weltweit in diesem Bereich stellen, und wagt einen Blick in die Zukunft.» Gleichzeitig erörtere Nestlé am Beispiel Wasser auch nachvollziehbar ihre Geschäftsprinzipien.
Ein guter Geschäftsbericht darf das Metier der eigenen Firma nicht auf uninspirierte Weise darstellen. Es braucht mehr: Der Bericht sollte für das Business Interesse wecken oder idealerweise gar begeistern.
2. … vermittelt die Unternehmenswerte und -kultur
Neben dem Business soll ein Geschäftsbericht auch die Werthaltungen des Unternehmens und seine Kultur vermitteln. Das ist zwar eng verknüpft mit der Vermittlung des Geschäfts selbst, verdient aber, wie die Diskussion gezeigt hat, einen eigenen Punkt. Peter Vetter, der Präsident der Gestaltungskommission, lobt zum Beispiel den «unkonventionellen Bericht» der Migros, weil dieser «extrem kohärent ist mit der Werthaltung und Unternehmensphilosophie» der zwei Millionen Mitglieder zählenden Genossenschaft. Es sei sehr gut nachvollziehbar, dass sich der Bericht ganz gezielt an ein jüngeres Publikum richte: «Dieses Publikum bestimmt die Zukunft der Migros.» Auch beim Bericht des Reiseveranstalters Kuoni kommt die gezeigte Werthaltung lobend zur Sprache: «Das Unternehmen hat mit seinem sehr ansprechenden Bildkonzept nicht alleine den Fokus der Touristen eingenommen und schöne Strände gezeigt», betont der Kommunikationsspezialist Andreas Jäggi, «das Unternehmen hat auch Sensibilität und Respekt vor den fremden Kulturen gezeigt, in die es Reisen anbietet.» Die explizite Darstellung der ethischen Grundhaltung und der sogenannten Corporate Citicenship in den Texten beim Zweitplatzierten Novartis kommt ebenfalls sehr gut weg: «Viele andere lassen Ähnliches noch vermissen», gibt Professor Rudolf Volkart, Präsident der Jury für das Value Reporting, zu bedenken.
3. ... ist glaubwürdig
Ein Geschäftsbericht kann noch so gut verfasst sein, noch so sehr ethische Grundhaltungen verkünden und auch in der Gestaltung hip sein, doch wenn die Leser das Unternehmen dahinter nicht wiedererkennen, ist der Bericht dennoch schlecht, weil nicht glaubwürdig. Was hingegen Glaubwürdigkeit bedeutet, zeigt die von Gaby Tschofen gemachte Feststellung über den orangen Riesen: «Das ist die Migros, wie ich sie kenne, wie sie stark auch meinem eigenen Eindruck des Unternehmens entspricht.» Der Migros-Geschäftsbericht zeugt in Gestaltung, Sprache und Information vom volksnahen und volkseigenen Unternehmen, das dieser Genossenschaftskonzern letztlich auch ist. Als weniger vorbildlich fügte Tschofen Kuoni an, weil der Bericht des Reiseunternehmens nur ungenügend auf die internen Veränderungen im vergangenen Jahr eingeht, «dabei ist das Unternehmen in Wahrheit durchgeschüttelt worden». Zur Glaubwürdigkeit gehört also, auf wesentliche Ereignisse im Geschäftsjahr eines Unternehmens einzugehen, selbst wenn diese unangenehm sein mögen.
4. … stellt Menschen vor
Ein Geschäftsbericht soll nicht nur Business und Daten vermitteln, sondern auch die Menschen, die zum Unternehmen in Beziehung stehen, näher bringen – etwa die Mitarbeiter oder die Kunden. Werden sie angemessen abgebildet oder dargestellt, wird das Unternehmen besonders wirkungsvoll vermittelt. Auch dieses Kriterium hat sich in der Debatte zu verschiedenen Berichten in mehreren Voten herausgeschält. «Die SBB geben sich merklich Mühe, auf die eigenen Mitarbeiter einzugehen, das hat mir neben der gut gelungenen Strategiediskussion im Bericht besonders gut gefallen.» So äussert sich etwa Philipp Hallauer, Verwaltungsratspräsident von KPMG Schweiz. Als Negativbeispiel findet Nestlé Erwähnung. Peter Vetter, Präsident der Gestaltungsjury, bedauert, dass der Bericht des Nahrungsmittelmultis wieder mehr einem «Produktkatalog» ähnlich sehe. Noch 2005 ging das Unternehmen als Gesamtsieger aus dem BILANZ-Rating hervor – auch weil es damals äusserst gut gelungen war, anhand von Mitarbeiterporträts einen Eindruck davon zu vermitteln, wie international und in wie vielen Kulturen der Multi tätig ist.
Wichtig ist zudem, wie das Management dargestellt wird – und dass die Verantwortlichen früh im Bericht erscheinen. Dass etwa im Bericht der St. Galler Kantonalbank der CEO erst auf Seite 56 vorgestellt wird, kommt bei der Expertenjury schlecht an.
5. … weckt Emotionen
Immer wieder dreht sich die Diskussion darum, welche Gefühle ein Geschäftsbericht bei einem Jurymitglied auslöst. Insbesondere der Gesamtsieger Straumann wurde aufgrund dieses Kriteriums von allen deutlich gelobt. Alle paar Seiten findet sich im ersten Teil des Berichts ein ganzseitiges Bild eines lachenden Gesichts eines Mannes oder einer Frau. Deutlich sichtbar sind dabei jedes Mal die Zähne. Wie der Zahnimplantatehersteller dadurch bei den Lesern Sympathien für sein Geschäft zu wecken vermag, kommt sehr gut an: «Hier ist es gelungen, eine gute Verbindung zwischen dem Produkt und seiner Bedeutung für das menschliche Leben fühlbar zu machen», meint Andreas Jäggi. «Dieser Ansatz ist genial», kommentiert auch Philipp Hallauer. Niemand sieht das anders. Ebenfalls gelobt für den emotionalen Gehalt wird der Bericht von Novartis, vor allem wegen der Bilder über Krankheiten: «Schon das Titelbild ist emotional so stark, das erschlägt einen fast», meint Gaby Tschofen. In die Kritik kommt dagegen der Bericht der SBB, des Drittplatzierten im Gesamtrating: Hier zeige die emotionale Vermittlung des Kerngeschäfts Mängel: «Die Freude am Reisen kommt kaum rüber», moniert Andreas Jäggi. Der Bericht sei zu techniklastig.
6. … ist verständlich
Ein Geschäftsbericht sollte für ein breites Publikum und insbesondere auch für jene gut verständlich sein, die nicht mit den Besonderheiten oder den Komplexitäten eines Unternehmens vertraut sind. Wie gut dies gelungen ist, gibt bei der Beurteilung der Berichte in der Jury ebenfalls intensiv zu reden. Vor allem die SBB heimsen Lorbeeren ein: «Dieses öffentliche Unternehmen hat einen sehr transparenten und gut lesbaren Bericht vorgelegt», hebt Peter Vetter hervor. «Die Beispiele der SBB und auch der Migros zeigen, wie man hochkomplexe Themen gut rüberbringt.» Als Gegensatz dazu sieht Vetter den Bericht von Novartis: «Die Informationen sind zu komplex, wer die Daten wirklich braucht, der bekommt sie auch sonst und benötigt nicht dieses Buch.» Diesbezüglich herrscht allerdings in der Jury keine Einigkeit. Andreas Jäggi widerspricht Peter Vetter vehement: «Der Novartis-Bericht ist in einer guten Sprache verfasst und sehr gut lesbar, selbst der Zahlenteil wird auch für Nichtfachleute gut erklärt.» Einigkeit herrscht darin, dass die gute Lesbarkeit ein zentrales Kriterium darstellt.
7. … bringt Lesegenuss
«Entweder liest man einen Geschäftsbericht wie ein Buch, oder er ist nicht konsumierbar», sagt Peter Vetter. Bei diesem Kriterium kann vor allem Gesamtsieger Straumann punkten: «Dieser Bericht beginnt schon auf dem Umschlag mit mir zu kommunizieren, und auch der Text im Bericht nimmt einen in Beschlag», sagt Gaby Tschofen. «Schon auf den ersten Seiten entscheidet sich, ob man weiterliest.» Besonders gut schneidet beim Lesegenuss auch die Migros ab: «Diesen Geschäftsbericht könnte man aus reiner Freude im Zug lesen und mit Genuss auch die Bilder betrachten», schwärmt Andreas Jäggi.
8. … kommt auf den Punkt
Einen Geschäftsbericht liest man vor allem dann gerne, wenn er nicht unnötig aufgeblasen ist. In dieser Hinsicht muss Novartis in der Debatte Kritik einstecken, obwohl ihr Bericht am Ende zum zweitklassierten erkoren wird: «Die Fülle von Informationen, die hier auf den Leser zukommt, wirkt wie ein Hammer», kritisiert Rudolf Volkart, «vor Dokumenten mit einem solch grossen Umfang und Detaillierungsgrad werden viele kapitulieren.» Der Bericht der SBB und jener von Straumann werden dagegen für ihre kurzen und zielgerichteten Texte besonders gelobt. Anne-Marie Nega-Ledermann hätte es beim Bericht von Novartis begrüsst, wenn er in mehrere Unterberichte aufgeteilt worden wäre. Doch damit stösst sie auf wenig Gegenliebe: «Alles in einem einzigen Buch ist besser», bemerkt Phillip Hallauer. Dieser Meinung schliesst sich die grosse Mehrheit der Jurymitglieder an. Dass Nestlé zum Wassermanagement ein eigenes, dem Bericht beiliegendes Buch verfasste, löst bei einigen Kopfschütteln aus: Das Wassergeschäft gehört schliesslich zum Kernbusiness von Nestlé. Durch die Aufteilung in mehrere Berichte erschwere ein Unternehmen den Lesern, die Kernbotschaften klar zu erkennen.
9. … kann von jeder Textstelle aus gelesen werden
Zentral für einen guten Geschäftsbericht ist auch, wie gut er aufgebaut und strukturiert ist: Lobende Worte findet Philipp Hallauer zu den Berichten von Straumann und Novartis: «Bei beiden weiss man auf jeder Seite klar, wo man sich innerhalb des Geschäftsberichts befindet.» Wichtig hierfür sind Kopf- oder Fusszeilen auf jeder Seite, die auf das Kapitel hinweisen und allenfalls sogar – wie bei Novartis – auf die Kapitel davor und danach. Doch auch andere Elemente können hilfreich sein, wie ebenfalls am Beispiel von Novartis hervorgehoben wird: «Jedes grössere Kapitel wird sehr gut und klar eingeleitet», findet Gaby Tschofen. Dass Novartis am Anfang jedes Kapitels jeweils in einem gelb hervorgehobenen Kasten das Wichtigste zusammenfasst, findet ebenfalls Anklang: «Liest man diese Kurztexte, hat man das Wesentliche bereits mitbekommen», sagt sie.
10. … hängt auch von der Firma ab
Das Urteil über einen Geschäftsbericht hängt auch von den Bedingungen ab, unter denen er erstellt wird. Diese können mit der Grösse des Unternehmens und den verfügbaren Ressourcen zusammenhängen. Das zeigt sich deutlich bei der Beurteilung des Berichts von Straumann: «Dass hier ein Unternehmen von der Grösse eines KMU einen derart guten Bericht vorgelegt hat, beeindruckt besonders», meint Professor Volkart. Nicht viel anders drückt es Peter Vetter aus: «Dass diese kleine Firma eine solche Qualität schaffen kann, wäre allein schon Grund für eine Prämierung.» Der Grössenunterschied zwischen Straumann und beispielsweise Novartis ist tatsächlich frappant: Der Zahnimplantatehersteller beschäftigt 1500 Mitarbeiter, Novartis über
100 000.
Eine Erschwernis bei der Erstellung eines Geschäftsberichts kann die Komplexität des darzustellenden Business bilden. Auch in diesem Punkt hat Straumann gepunktet – für Zahnimplantate Interesse zu wecken, ist anspruchsvoller, als für die Produkte eines Reisebüros wie Kuoni zu werben.
Eine Herausforderung, der sich insbesondere Unternehmen mit früheren erfolgreichen Geschäftsberichten gegenübersehen, besteht darin, das hohe Niveau zu halten. Die Überraschungen des letzten Jahres ziehen in diesem Jahr nicht mehr, dennoch muss man darauf achten, dass der Bericht an jene der Vorjahre anschliesst. Peter Vetter drückt das so aus: «Ein Unternehmen muss seinen Berichten Konstanz verleihen und sie dennoch stetig weiterentwickeln.»
Man darf gespannt sein, wie Straumann, Novartis, die SBB und auch andere diese Aufgabe im nächsten Jahr lösen werden.