Die Glatz AG in Frauenfeld ist eine jener Firmen, die sich zum europäischen Marktführer entwickelt haben, ohne von der Öffentlichkeit gross wahrgenommen zu werden. Dabei kann die Firma auf 110 Jahre Geschichte zurückblicken nicht nur auf gute Zeiten. «Ohne unsere Stärke in der Produkteentwicklung gäbe es uns heute gar nicht mehr», stellt Markus Glatz, Geschäftsführer in der vierten Generation, nüchtern fest. Sein Urgrossvater, Albert Glatz, hatte den Grundstein der Firma 1895 gelegt, indem er ein Atelier für Regen- und Trachtenschirme eröffnete. Einzelne Stücke aus dieser Gründerzeit sind in der Museumsecke der Firma zu sehen, darunter ein zierliches, aus Fischbein gefertigtes Sonnenschirmchen.

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Ein Klassiker für dieLandesausstellung von 1939

Bereits 1931 machte sich der Erfindergeist der Familie bemerkbar: Der Sohn des Firmengründers entwarf und konstruierte den helvetischen Sonnenschirm-Klassiker Alexo mit Zahnkranzgelenk aus Messing zum Kippen. Er wurde 1939 an der Landesausstellung bekannt und wird in der Schweiz heute noch 2000-mal jährlich verkauft. «Die Firma war mit ihren Erfindungen der Zeit immer etwas voraus», sagt Markus Glatz.

Als sie 1959 den ersten Freiarmschirm auf den Markt brachte, habe sich kaum jemand für den Schirm interessiert, der entfernt an einen Galgen erinnert, erklärt er schmunzelnd. Erst als die Aussengastronomie Ende der 80er Jahre zu florieren begann und der Patentschutz des Modells schon abgelaufen war, regte sich Nachfrage. Noch heute gehört der freischwebende Sonnenschirm zu den meist verkauften Modellen.

Im Laufe der Jahre konnten die findigen Köpfe aus der Glatz-Dynastie zahlreiche Schirmmodelle patentieren lassen und zur Marktreife bringen. Beispielsweise den Grossschirm Pergola für die Gastronomie im Jahr 1972, eine Erfindung von Dölf Glatz, dem Vater des heutigen Geschäftsführers. «Die Schirme sind allgemein immer grösser geworden, auch für den Privatgebrauch. Vor 100 Jahren setzte sich allenfalls die Dame des Hauses mit einem Stühlchen in den Garten. Heute isst und lebt man bei schönem Wetter draussen. Am meisten verkaufen wir Schirme mit einem Durchmesser von 3 bis 3,5 m», erklärt Markus Glatz.

Doch die Konkurrenz aus Osteuropa und Asien hat im schweizerischen Schirmmarkt Spuren hinterlassen: 1960 gab es noch 40 Schirmhersteller, heute hat der Verband der Schirmproduzenten gerade noch fünf Mitglieder. In Frankreich gibt es gar keine einheimischen Schirmhersteller mehr, in Deutschland noch eine Hand voll.

Als Asien im Schirmmarkt mitzumischen begann, entschied sich die Glatz AG 2001 zu folgendem Schritt: Sie gründete mit einem amerikanisch-taiwanesischen Partner ein Joint Venture in China, um für den europäischen Markt nach zehnjährigem Unterbruch wieder konkurrenzfähige Standardprodukte anbieten zu können. Diese machen jedoch den kleineren Teil am Umsatzvolumen aus. Weitaus mehr Kunden entscheiden sich für teurere massgeschneiderte Schirme, bei denen sie vom Stoff über die Gestellfarbe bis zum Sockel alles selber zusammenstellen können. Die verwendeten Stoffe bestehen heute hauptsächlich aus Polyester oder Acryl. Heute noch werden diese individuellen Lösungen am Stammsitz in Frauenfeld angefertigt mit Einsatz von viel Handarbeit.

Beim Rundgang durch die Produktionshalle legen zwei Zuschneiderinnen sorgfältig mehrere Stoffschichten übereinander und schneiden daraus mit einer Handschneidemaschine die einzelnen dreieckigen Schirmteile zu. Das sei schwieriger, als es aussehe, erklärt Dölf Glatz: «Denn man muss beim Zuschneiden den Knick im Gestänge berücksichtigen, sonst gibt es später Fältchen im Stoff.» Hier werden die Schirme auch genäht und gesäumt. Auf der anderen Seite der Halle werden Metallschienen und Stangen bearbeitet und die Schirmüberzüge auf die Gestelle montiert. Seit den Zeiten des Firmengründers gehört auch die Reparatur der Schirme zum Angebot.

Hochbetrieb herrscht in der Produktionshalle jeweils zwischen Mai bis Ende Juli. Dank Jahresarbeitszeit können saisonale Auftragsschwankungen aufgefangen werden. Markus Glatz kennt die Einkaufsgewohnheiten der Endkunden: «Einen Sonnenschirm kauft man nicht beim ersten Sonnenstrahl im Frühling, sondern vielleicht dann, wenn man das erste Mal Gäste einlädt.» Der Geschäftsführer vergleicht den Kauf eines Sonnenschirms mit dem Erwerb einer Polstergruppe. Es handelt sich hier nicht um Billigschirme, die man einfach aus dem Regal des Grossverteilers zieht.

Innerhalb von zwei bis drei Wochen nach Eingang der Bestellung werden die Schirme an den Fachhändler ausgeliefert. Der aktuelle Farbentrend liegt stark bei den Unifarben, beispielsweise Ecru oder Terrakotta. Diese passen besser zur modernen Architektur. Der Kunde setzt nicht mit dem Schirm, sondern allenfalls mit den Gartenmöbeln und Kissen farbliche Akzente. Trotzdem sind Streifen ein Dauerbrenner. Auffällige Muster wie Karo oder Blümchen konnten sich kaum durchsetzen. Dieses Jahr ist erstmals die Nachfrage nach Schwarz laut geworden, das einen besseren UV-Strahlenschutz verspricht. Dicke Stoffe sind laut Markus Glatz für UV-Strahlen undurchlässig.

Ausbaufähiger EU-Markt

Die neue Geschäftsstrategie hat sich ausgezahlt: Das Umsatzwachstum im laufenden Jahr beträgt satte 18% trotz des schlechten Sommers. Über die Hälfte des 22-Millionen-Umsatzes erwirtschaftet der Schirmanbieter mittlerweile im Ausland, Tendenz steigend. 41% des Umsatzes entfallen auf den Heimmarkt, 32% auf Deutschland. Hier sieht Markus Glatz grosse Wachstumsmöglichkeiten. Trotz der Geiz-ist-geil-Kultur, die zurzeit im nördlichen Nachbarland herrscht, konnte Glatz den Umsatz dort um 35% steigern.

Sogar im schwierigen französischen Schirmmarkt war es dem Thurgauer Anbieter möglich, den Umsatz dank den Standardprodukten innerhalb kurzer Zeit von null auf eine Million zu erhöhen. «Auch in osteuropäischen Ländern wie Ungarn stellen wir eine Nachfrage fest. Diese Märkte sind ausbaufähig», so Glatz. In den nächsten fünf Jahren will die Glatz AG den Vertrieb in Europa markant ausbauen und damit den Exportumsatz weiter steigern. Lediglich ein Prozent der Produktion geht bisher ins Ausland ausserhalb von Europa, doch dieses Prozent kann sich sehen lassen. Gern erzählt Markus Glatz von illustren Privatkunden wie dem Jockeyklub von Hongkong, dem Sultan von Brunei oder der Ehefrau von Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, die im Übrigen ganz grosse Schirme liebt.



Firmen-Profil

Name: Glatz AG

Gründung: 1895 von Albert Glatz

VR-Präsident und Geschäftsführer: Markus Glatz

Umsatz: 22 Mio Fr.

Beschäftigte: 70

Produkte: Sonnenschirme

Kunden: Fachhandel

Internet: www.glatz.ch