Pictet feiert das 200-jährige Bestehen als unabhängige Privatbank. Mit den unbegrenzt haftenden Partnern gehört sie zu den Raritäten in der Schweizer Bankenszene. Ist das eine langsam aussterbende Form von Geldinstituten?
Jacques de Saussure: Nein, nur ist es wichtig, dass die Führungskräfte über die Generationen hinweg ständig wechseln. Das ist bei uns sehr klar geregelt, weshalb wir diese Firmenstruktur auch über zwei Jahrhunderte hinweg bewahren konnten. Bei der Geschäftsausübung hat das wesentliche Vorteile.
Was konkret?
de Saussure: Management und der Besitz sind in den gleichen Händen. Die Mitarbeiter wissen, mit wem sie es zu tun haben. Gegenüber den Kunden besteht gleichzeitig eine hohe personelle Kontinuität. Mit dem Drei-Generationen-Prinzip wird sichergestellt, dass alle zehn Jahre zwei oder drei neue Partner in die Bank aufgenommen werden. Wer die Bank spätestens im Alter von 65 Jahren als Teilhaber verlässt, verliert sämtliche Ansprüche an die Gesellschaft. Als unbeschränkt haftende Partner müssen wir uns laufend mit den finanziellen Risiken unserer Geschäftstätigkeit auseinander setzen.
Fast alle klassischen Privatbanken von einst, wie etwa Bär oder Vontobel, haben sich zu Aktiengesellschaften gewandelt. Steht dieser Schritt auch Pictet früher oder später bevor?
de Saussure: Eine solche Absicht besteht nicht. In Deutschland sind viele Privatbanken verschwunden, weil sie sich im Kreditgeschäft zu stark exponiert haben. Die schweizerischen Privatbanken sind nicht mit solchen Problemen konfrontiert, weil sie sich praktisch ausschliesslich dem Asset Management widmen. Zudem darf es keine Schwierigkeiten bei der Nachfolgelösung geben. In unserem Fall ist der jüngste Teilhaber derzeit 37 Jahre alt. Dieser Mix in der Altersstruktur garantiert den Bankkunden auch eine langfristige Betreuung.
Sind Ihre Nachkommen bereit, das ständig wachsende finanzielle Risiko als Partner zu tragen?
de Saussure: Das ist eine Frage des Risikomanagementes. Weil wir kein Kreditgeschäft betreiben, hält sich das Risiko in unseren Bilanzen in engen Grenzen. Hohe Eigenmittel sind andererseits eine Sicherheit für die Kunden. Damit der Ablösungsprozess von einer Generation zur anderen nahtlos geschieht, braucht es eine hohe Eigenkapitalrendite.
Mit verwahrten Vermögen von 250 Mrd Fr. liegt Pictet unmittelbar hinter den Grossbanken an dritter Stelle. Ist unternehmerische Grösse ein Kostenvorteil?
de Saussure: Ja, allein schon wegen der hohen Fixkosten beispiels-weise im Bereich der Informatik oder des Marketings. Als grosse Bank verfügen wir zudem über sämtliche Spezialisten, die in der Vermögensverwaltung notwendig sind.
Andere klassische Privatbanken stecken in der Kostenklemme.
de Saussure: Das ist ein generelles Problem in der Bankindustrie. In den 80er und 90er Jahren hatten wir wegen der boomenden Börsen ständig steigende Erträge. Der «Bear-market» in den Jahren 2001 und 2002 hat die Kommissionseinnahmen erheblich gedrückt. Das hat den Strukturbereinigungsprozess beschleunigt. Dazu kommen die tiefen Zinssätze. Natürlich lassen sich gewisse Ertragsausfälle über höhere Gebühren etwas kompensieren, aber das hat seine Grenzen.
Der Aufwand für die Informatik steigt wegen des Erneuerungsbedarfs rasant. Wie behalten Sie die Kosten im Griff?
de Saussure: Man muss fokussiert bleiben. Wir sind nur im Vermögensverwaltungsgeschäft engagiert. Überdies passen wir die Informatikkosten dem Wachstumsrhythmus insgesamt an. Wo sich allerdings Chancen für die Neueröffnung von Stützpunkten ergeben, verändern wir die Infrastruktur sofort.
Wie stellen Sie sich zu Kooperationen mit anderen Banken?
de Saussure: Sämtliche Banken sehen sich heute vor allem als Integratoren und weniger als Entwickler. Wir suchen verschiedene Lösungen für unsere Organisation und integrieren diese nun mit Systemlösungen der Firma Avaloq als Kernstück. Die Informatik muss stets ein Hilfsmittel für die effiziente Abwicklung sein und ist somit Mittel zum Zweck, aber nie Selbstzweck.
Der Zufluss an Neugeldern bleibt gemäss jüngsten Studien bei den mittelgrossen Privatbanken deutlich hinter den Grossbanken zurück. Sind diese Institute zu wenig auf die Wachstumsmärkte in Asien und anderen Regionen ausgerichtet?
de Saussure: Der Neugeldzufluss stammt bei den Grossbanken fast vorwiegend aus Asien und Kontinentaleuropa. Dazu gehören auch teure Akquisitionen, die nicht immer eine genügend hohe Rendite erzielen. Nur in der Schweiz tätige Banken haben einen beschränkten Zugang zu diesen Märkten. Pictet hat in Europa bereits seit längerer Zeit ein dichtes Verkaufsnetz aufgebaut. In Italien wurden beispielsweise gewichtige lokale Stützpunkte errichtet. Auch in Asien sind wir schon lange präsent. Das ist auch nötig, denn der Einstieg in diesen Ländern beansprucht zwei bis drei Jahre. Die Asiaten muss man zuerst überzeugen. Derzeit sind wir vor allem mit dem institutionellen Geschäft erfolgreich in Japan. In Singapur verfügen wir über eine Banklizenz, die uns rasche Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.
Für eigene Stützpunkte in Singapur, Hongkong oder einer anderen chinesischen Grossstadt fehlt aber vielen Privatbanken die kritische Grösse. Das limitiert die Expansionschancen.
de Saussure: Natürlich ist es schwieriger, Neugeld in die Schweiz zu leiten. Andererseits gibt es weltweit laufend mehr vermögende Leute. Diese Personen muss man überzeugen. Viele von ihnen kommen sehr gerne in unser Land. Die Schweiz ist dank ihrer Stabilität noch immer sehr attraktiv. Zudem verfügen wir über eine hohe Fachkompetenz und können nebst sämtlichen Bankdienstleistungen auch alle Spezialisten anbieten. Es braucht aber ein Netz von Niederlassungen, um den Kundenkreis im Ausland auszuweiten. Dabei ist auch die Verankerung der eigenen Marke wichtig. Hilfreich sind dabei etwa die Anlagefonds, die weltweit unter unserem Namen vertrieben werden. Kleinere Banken haben da einen Nachteil.
Führt dies zu mehr Fusionen und Übernahmen bei den mittleren und kleinen Vermögensverwaltungsbanken?
de Saussure: Die Konzentration ist sicher eine logische Folge. Grösse allein ist aber nicht immer ein Vorteil. Um in diesem Konsolidierungsprozess zu bestehen, muss das Geschäftsmodell mit der Dimension der Bank übereinstimmen. Für spezialisierte kleinere Geldinstitute bestehen dank den offenen Architekturen im Produktangebot durchaus Chancen.
Denkbar sind auch neue Geschäftsmodelle, bei der jeder Vermögensverwalter als eigenständiger Unternehmer agiert?
de Saussure: Dieses Modell kennt man von den amerikanischen Brokerfirmen. Jeder Partner ist mehr ein Verkäufer als ein Berater. Das ergibt auch eine andere Kundenbeziehung. Wir sehen uns mehr als echten Berater des Anlegers. Wichtig ist, für das langfristige Interesse des Kunden zu arbeiten.
Wie kann eine Privatbank wie Pictet auch künftig ihre Unabhängigkeit bewahren?
de Saussure: Nebst der minutiösen Nachfolgeregelung muss eine ansprechende Rendite aus der Banktätigkeit resultieren.
Welche Rolle kommt der institutionellen Vermögensverwaltung zu?
de Saussure: Das ist ein wichtiger Geschäftszweig, vergleichbar mit «Whole-sale»-Aktivitäten, die sich vom Retailgeschäft des Private Banking unterscheiden. Der Bruttoertrag liegt entsprechend tiefer. Diese Produkte verschaffen uns im Markt eine hohe Visibilität und bringen Skaleneffekte. Demgegenüber ist die klassische Vermögensverwaltung stark von der Kundenbeziehung und den Qualitäten des Beraters abhängig. Beim Asset Management zählt in erster Linie die Performance.
Gibt es andere Geschäftsfelder, die an Bedeutung gewinnen?
de Saussure: Dazu gehören Erweiterungen in der bestehenden Dienstleistungspalette, wie etwa das Family Office.
Der jüngeren Erbengeneration wird ein distanzierteres Verhältnis zur klassischen Privatbank nachgesagt. Da werden zunehmend auch die Internetkanäle genutzt. Was ist Ihre Beobachtung?
de Saussure: Das ist nicht nur eine Frage der Generationen, sondern auch der Persönlichkeit. Es gibt kein einheitliches Kundenprofil. Wichtig ist für uns, dass wir unsere Dienstleistungen dank der technologischen Entwicklung überall auf der Welt anbieten können. Die Kunden schätzen aber nicht nur diese elektronische Verknüpfung, sie wollen uns auch regelmässig sehen.
Die Sicherheit und Vertraulichkeit eines Schweizer Bankkontos reichen bei vielen ehemals diskreten Kunden nicht mehr. Sie wollen auch eine gute Performance sehen. Zeichnet sich da ein verschärfter Wettbewerb unter den Banken ab?
de Saussure: Der Konkurrendruck ist bereits sehr hoch, und das wird sich noch intensivieren. Neben der Performance kommen der Sicherheit und der Vertraulichkeit weiterhin eine hohe Bedeutung zu. Der Kunde muss die Gewissheit haben, dass er mit den bestmöglichen Produkten bedient wird.
Gibt es die Privatbanken mit den unbeschränkt haftenden Partnern in zehn Jahren noch?
de Saussure: Ja, aber es werden nur noch wenige Institute dieses Rechtskleid haben.
Wie viele werden es in der Schweiz noch sein?
de Saussure: Vielleicht etwa zehn.
Profil: Steckbrief
Name: Jacques de Saussure
Geboren: 7. Februar 1952
Ausbildung: Masters degree in Mathematik und Computerwissenschaften, ETH Lausanne; Masters degree in Management M.I.T Cambridge USA
Funktion: Partner Pictet & Cie, Genf
Karriere
1978-1980 InterSec, New York: Investment consultant
Seit 1980 Pictet & Cie, Genf, ab 1987 als Partner