Der grösste Schweizer Airport wird 70. Eine Analyse, wer das Sagen hat, was die dunkelste Stunde war – und was die Zukunft bringt.
Anfang September zelebriert der Flughafen Zürich seinen 70. Geburtstag. Das ist Anlass, um den grössten Airport des Landes zu analysieren: Wie wurde er gegründet? Was macht ihn stark und was schwächt ihn? Wer sind die wichtigsten Akteure? Und was sind die wichtigsten Projekte für die Zukunft? Eine Analyse in neun Kapiteln:
(1) Die Gründung
Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg waren noch hellwach. Erst ein Jahr war es her, dass Hitler-Deutschland kapitulierte, als die Zürcher Wahlberechtigten über den Bau des Flughafen Klotens abstimmten. Sie votierten mit einer Dreiviertelmehrheit für den Kredit in Höhe von fast 37 Millionen Franken. Teuerungsbereinigt entspricht das heute einem Preisschild von über 180 Millionen Franken. Jede der Zürcher Gemeinden sprach sich dafür aus. Am deutlichsten votierten die Stadtzürcher für ein Luftdrehkreuz vor den Stadttoren. Nur die Ustemer haben dem Vorhaben beinahe das Ja verwehrt.
Die «NZZ» sprach damals von einer «machtvollen Kundgebung an der Urne», von einem «Ehrentag für die Demokratie». Zürich habe es sich zur «Ehrensache gemacht, den Flughafen Kloten mit einem qualifizierten Mehr zu beschliessen». «Der steinige, hindernisreiche Weg, den das Zürcher Flugplatzprojekt zu begehen hatte, ist zurückgelegt», frohlockte das Blatt. Dem Volk seien die Augen über die wirtschaftliche und verkehrspolitische Tragweite des Projekts geöffnet worden. «Zürich tritt, nicht mehr zu früh, doch mit dem geziemenden Gewicht, an die Verwirklichung eines Projekts, das der Schweiz den unerlässlichen interkontinentalen Flughafen bringt.»
Noch im selben Sommer begannen die Bauarbeiten. Zwei Jahre später hob bereits der erste Flieger ab. Es war eine Maschine des Typs Douglas DC-4. Passenderweise war London die Destination des Fliegers, denn die britische Hauptstadt ist auch heute das am häufigsten von Zürich aus angesteuerte Ziel. 160 Flüge pro Woche gehen dahin. Die Zahl der Passagiere auf dieser Strecke summierte sich im letzten Jahr auf fast 1,9 Millionen. Das heisst: 6 Prozent aller Fluggäste in Kloten fliegen nach London. Oder anders gesagt: Jeder 16. Passagier wählt den Luftweg an die Themse.
Die Zahlen des Flughafens sind 70 Jahre nach dem Erstflug durchwegs erstaunlich: 741 Flieger starten oder landen im Schnitt jeden Tag. Das summiert sich auf über 270.000 Flüge im Jahr. Die Wertschöpfung für die Region und die für die ganze Schweiz ist enorm, die Lärmbelästigung allerdings auch. Aber der Reihe nach.
(2) Der Flughafen als Wirtschaftsfaktor
Knapp 30 Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr in Kloten angekommen, umgestiegen oder abgeflogen. Auch dieses Jahr lief es gut, besonders im Sommer. Die Passagierzahlen zeigen klar nach oben. In diesem Jahr dürfte abermals ein neuer Passagierrekord erzielt werden. Die Bezeichnung des Flughafens als «Tor zur Welt» ist dabei keine Übertreibung. Denn Flugpassagiere haben die Möglichkeit, 185 Destinationen (Stand 2017) anzusteuern. 131 Zielflüghäfen sind auf europäischem Boden. Nach London die wichtigsten Destinationen – gemessen an der Zahl der Passagiere sind Berlin, Wien, Amsterdam und Düsseldorf. 72 Linien- und Charterfluggesellschaften operieren in Kloten.
Die Dimensionen sind gross für einen Ort wie Zürich, der im Vergleich mit den europäischen Metropolen eher klein ist. Die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens ist erheblich: Im vergangenen Jahr hat der Flughafen mit rund 1700 Mitarbeitern einen Umsatz von 1 Milliarde Franken und einen Gewinn von 286 Millionen Franken erzielt. Knapp 300 Firmen am Flughafen beschäftigen etwa 27.000 Menschen. Die Wertschöpfung wird auf knapp 5 Milliarde Franken geschätzt, wie eine Studie im November des letzten Jahres errechnet hat. Gemessen am Wert aller ausgeführten Güter werden 40 Prozent aller Exporte über Kloten ins Ausland verschickt. Gerade für teure und empfindliche Produkte wie Medikamente, Uhren und Schmuck oder Präzisionsinstrumente ist Luftfracht oft alternativlos.
(3) Das sind die führenden Köpfe
Andreas Schmid ist das eiserne Schlachtross des Flughafens, der «Schwarzenegger von Kloten» («Sonntagsblick»). Er präsidiert den Flughafen seit 18 Jahren und sass auch im Flughafen-Cockpit, als die Swissair am Boden blieb. Ebenfalls aus dieser Zeit stammt Josef Felder. Er war Chef, als der Flughafen seine dunkelste Stunde erlebte. Heute ist der Aviatik-Fachmann im Verwaltungsrat – zusammen mit einigen Vertretern der Zürcher Politik. Namentlich: Corine Mauch (SP, Stadtpräsidentin Zürich), Carmen Walker Späh (FDP, Volkswirtschaftsdirektorin des Kantons Zürich), Eveline Saupper (Delegierte des Kantons Zürich) und Vincent Albers (Delegierter des Kantons Zürich).
Der politische Einfluss ergibt sich aus den Eigentümerverhältnissen. Der Kanton hält einen Drittel der Aktien des Flughafens. Er ist damit der bedeutendste Einzelaktionär. Die Stadt Zürich hält weitere 5 Prozent. Gemeinsam geben sie den Ton an und definieren die Stossrichtung des Unternehmens. Sie definieren auch das Pflichtenheft der Teppichetage. Das Kantonsvermögen zu mehren ist die Aufgabe von CEO Stephan Widrig. Seit Anfang 2015 ist er im Amt. Sein Team: Lukas Brosi (CFO, seit 2017), Stefan Tschudin (COO, seit 2017), Stefan Gross (CCO, seit 2016), Daniel Scheifele (CREO, seit 2016).
(4) Die Heimat der Swiss
Die Lufthansa-Tochtergesellschaft Swiss ist die führende Airline in Zürich. Es ist ihre Heimbasis, an der sie ihren Einfluss gemeinsam mit anderen Gesellschaften der Lufthansa-Gruppe stetig ausgebaut hat. Während etwa in Basel der Billigflieger Easyjet unangefochten Marktführer ist, kommt in Zürich niemand an der Swiss vorbei. Lange war Air Berlin die Nummer zwei in Kloten. Nachdem die Airline verschwunden ist, liegen nun Swiss (Marktanteil 52 Prozent) und Edelweiss (Marktanteil 6 Prozent; jeweils Stand 2017) auf den ersten beiden Rängen.
Nach der Air-Berlin-Pleite haben die anderen etablieren Airlines ihre Kapazitäten erheblich ausgebaut. Wichtige Mitspieler der Lufthansa-Tochterfirmen Swiss und Edelweiss sind in Zürich Easyjet, aber auch kleinere Anbieter wie Germania und Helvetic Airways. Diese Airline übernimmt allerdings viele Flüge für Swiss. In den vergangenen Jahren haben zudem Golf-Carrier wie Emirates, Etihad und Qatar Airways den europäischen Airlines mächtig Druck gemacht und ihr Angebot auch in Zürich gesteigert. Sie bieten oft sehr viele Sitzplätze an. So fliegt zum Beispiel Emirates zweimal am Tag mit dem Grossraumflieger A380 von Zürich nach Dubai. Neben Emirates fliegt nur Singapore Airlines ebenfalls mit einer A380 nach Zürich.
(5) Das freut und nervt die Passagiere
Der typische Passagier am Flughafen ist um die 30 Jahre alt, reist aus Freizeitgründen, lebt in der Schweiz und kommt rund 60 bis 90 Minuten vor dem Abflug nach Kloten. Das könnte in Spitzenzeiten allerdings knapp sein. Die höchsten Passagierzahlen verzeichnet der Flughafen in den Sommermonaten von Juni bis August. Dann kann es zu langen Warteschlangen bei der Sicherheitskontrolle kommen. Wer den Schengen-Raum verlässt, muss zusätzlich durch die Passkontrolle und womöglich auch noch mit der Skymetro ins Terminal E. Eine Stunde ist so schnell um, das Passagiererlebnis verkommt zur nervigen Angelegenheit. Trotzdem: im Vergleich mit anderen Flughäfen schneidet Zürich gut ab. Kunden bewerten die Wartezeit, Freundlichkeit des Personals und die Sauberkeit des Flughafens als relativ gut. Bei internationalen Rankings schafft es das Drehkreuz der Swiss deswegen auch immer wieder in die Top 10. Beim grossen «Handelszeitung»-Ranking landet Zürich sogar als bester europäischer Flughafen auf dem dritten Platz.
Neben langen Wartezeiten und unfreundlichen Kantonspolizisten gibt es mindestens vier weitere Punkte, die für Verstimmung bei den Fluggästen sorgen: Verlorenes Gepäck, Verspätungen, teure Flugpreise und hohe Konsumpreise. Ein herrenloser Koffer ist allerdings eher selten. Laut Swiss kommen auf 1000 Passagiere durchschnittlich vier Koffer nicht gleichzeitig mit dem Besitzer an, wie der «Beobachter» unlängst schrieb. Und selbst wenn das Gepäckband mal leer bleibt: In den allermeisten Fällen wird das Gepäckstück bei der Swiss innerhalb von 24 Stunden wiedergefunden und anschliessend nachgeliefert. Mühsamer ist die Diskussion um Unpünktlichkeit. Dies ist oft wetterbedingt. Wenn die Bise aus Osten bläst, muss nach einem Abflugregime geflogen werden, das die Leistungsfähigkeit massiv einschränkt. Der Flughafen plangt deshalb auf ein Südstart-Regime. Und gegen teure Preise letztlich gibt es nur eine Möglichkeit, wie Flughafen-Sprecherin Sonja Zöchling schonmal festhielt: Eine leere Flasche durch die Sicherheitskontrolle mitnehmen und dann auf dem WC auffüllen. Das Klotemer Hahnenquell kann bedenkenlos konsumiert werden.
(6) Immer Zoff um den Fluglärm
Alle wollen fliegen, sei es geschäftlich oder in die Ferien. Die Konsequenz ist ein ohrenbetäubender Lärm durch die Flieger, der auch die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz belastet. Die süddeutschen Gemeinden setzen sich seit Mitte der 70er Jahre für eine Reduktion der Anflüge durch süddeutschen Luftraum ein. Staatsverträge wurden ausgearbeitet und wieder verworfen. Bis Bundesrätin Doris Leuthard und Bundesverkehrsminister Peter Raumsauer 2012 eine Lösung für den ewigen Streit gefunden haben. Die Verantwortlichen beim Zürcher Flughafen bezeichnen die Vereinbarung als «klassischen» Kompromiss: «Deutschland erhält mehr Ruhezeiten, die Schweiz dafür langfristige Rechtssicherheit und keine absolute Deckelung der Nordanflüge.»
Für die Zürcher Gemeinden bleibt das Thema aber daueraktuell. Das zeigen die zahlreichen Leserbriefe, die immer wieder zu diesem Thema publiziert werden. Es gibt auch unzählige Bürgergruppierungen, die politisch Druck machen. Wie gross das Problem ist, zeigt auch die jüngste Debatte über die zulässigen Fluglärmimmissionen in der Nacht. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) hat im Juli zum ersten Mal Massnahmen gegen den Fluglärm in der Nacht angeordnet. Die Anzahl Zeitfenster für Landungen und Starts am Abend soll auf dem heutigen Stand eingefroren sein. Für den Flughafen ist das ein rotes Tuch. In einer Stellungnahme von Ende August heisst es: Sollten die Betriebszeiten verschlechtert werden, könne der Flughafen die Ziele des Bundesrats nicht mehr erfüllen. Innerhalb der Drehkreuze der Lufthansa-Gruppe (wie etwa Frankfurt, München, Wien) habe der Flughafen Zürich in den Spitzen über die mit Abstand tiefsten Kapazitäten sowie die kürzesten Betriebszeiten. Die Betriebszeit sei in den letzten 20 Jahren sogar um zwei Stunden verkürzt worden, «trotz deutlich gestiegener und weiter zunehmender Nachfrage nach öffentlichem Luftverkehr». Die Betriebszeit nach 22.30 Uhr sei insbesondere wichtig für Interkontinentalstarts, weil Geschäftsleute in der Nacht reisen wollten. «Direktflüge von Zürich nach Südamerika, Südafrika und Südostasien können nur zu dieser Zeit konkurrenzfähig angeboten werden», heisst es.
Der Flughafen Zürich in Zahlen (Stand 2017):
- Umsatzerlöse Aviation: 613 Mio. Franken
- Umsatzerlöse Non-Aviation: 413 Mio. Franken
- Polizei- und Sicherheitskosten: 112 Mio. Franken
- Passagiere pro Tag im Durchschnitt: 80.537
- Post pro Tag im Schnitt: 84 Tonnen
- Fracht pro Tag im Schnitt: 1344 Tonnen
- Verkaufsfläche: 33.200 Quadratmeter
- Parkplätze: 20.300
- Kerosinverbrauch: 1.653.870.000 Liter
- Mitarbeitende Flughafen Zürich AG: 1.714
(7) Das wichtigste Zukunftsprojekt: The Circle
Am Flughafen Kloten befindet sich die grösste Baustelle der Schweiz. Allerdings fahren die Bagger am kleinen Hügel Butzenbühl nicht auf, um neue Terminals oder Pisten zu errichten. Den Airport-Chefs geht es um etwas Grösseres: Mit dem Projekt «The Circle» soll nichts weniger als ein neuer Stadtteil von Zürich entstehen. Oder in den Worten von Flughafen-Chef Stefan Widrig: «The Circle wird zum internationalsten Ort von Zürich werden.»
Für Schweizer Verhältnisse sind die Dimensionen gigantisch: 160 000 Quadratmeter Mietfläche, ein Investitionsvolumen von einer Milliarde Franken. Anders als vielfach vermutet, soll «The Circle» aber nicht zum Shopping-Wurmfortsatz des Flughafens werden. Vielmehr soll ein vielfältiges Dienstleistungszentrum mit städtebaulichem Charakter entstehen. Dafür soll der japanische Star-Architekt Riken Yamamoto bürgen, der dem ganzen Komplex den Charme einer Altstadt verleihen will. Dazu gehören Hotels, Büroflächen, ein Gesundheitszentrum und einige Detailhändler wie etwa Jelmoli. Finanziell stemmt der Flughafen Zürich das Projekt zusammen mit der Swiss Life. Die Idee: Mit dem Circle-Projekt will der Flughafen einen Siebenmeilenschritt weiterkommen mit dem Plan, seine Aktivität zu diversifizieren und weniger abhängig vom schwer ausbaubaren Flugbetrieb zu werden. Die Herausforderung: Ein so ambitiöses Projekt ist zeitlich schwierig zu steuern. Erstmals wurde der Circle-Plan 2009 bekanntgegeben, aktuell wird mit einer Teileröffnung im ersten Halbjahr 2020 gerechnet. Und: Auch wenn mit Hyatt, Microsoft und Universitätsspital Zürich prominente Mieter gewonnen werden konnten, wird es eine starke Vermarktungsleistung bedingen, um den Vermietungsstand weiter nach oben zu wuchten.
(8) Der Flughafen als Aktie
Die Fluggesellschaft Swiss war kaum ein Jahr alt, da kämpfte das Unternehmen bereits ums Überleben. Im Frühjahr 2003 gab die Airline ein Sparpaket der Superlative bekannt. 700 Jobs fielen dem Kahlschlag zum Opfer. 20 der insgesamt 132 Flugzeuge wurden verkauft. In Zürich, Genf, Basel, Bern und Lugano wurden Frequenzen reduziert oder Strecken gestrichen. Die Aktie des Flughafens Zürich, dem wichtigsten Drehkreuz der Fluggesellschaft, fiel daraufhin auf unter 20 Franken – ein Allzeittief.
Es folgte ein Steigflug. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise kratzte das Papier an der Marke von 100 Franken. Dann ein temporärer Sinkflug, um in neue Sphären aufzusteigen. Im letzten Jahr dann der bisherige Höhepunkt: Die Aktie notierte Ende Juni bei fast 240 Franken. Der Flughafen hat dabei über Jahre eine weitaus bessere Performance hingelegt als der Swiss Performance Index (siehe Bild unten).
(9) Die dunkelste Stunde des Airports
Als am 11. September 2001 zwei Flieger das World Trade Center in New York zum Einsturz brachten, kollabierte der Flugverkehr weltweit. Die Zahl der Passagiere reduzierte sich am Flughafen Zürich um 35 Prozent. Die Swissair flog in eine Liquiditätskrise und brach schliesslich zusammen. Alle Flieger mit Schweizerkreuz blieben Anfang Oktober am Boden. Aber es kam noch schlimmer: Nur wenige Wochen später, am 24. November 2001, stürzte eine Crossair-Maschine beim Landeanflug auf dem Flughafen Zürich ab. 24 Personen starben, darunter die US-Sängerin Melanie Thornton. Das Unglück gilt als eine der grössten Katastrophen in der Schweizer Zivilluftfahrt.
Der Unfall, das Grounding und der Terror in den USA rissen damals ein riesiges Loch in die Kasse des Flughafens. Das Unternehmen machte innert weniger Wochen ein Minus von fast 100 Millionen Franken. Aufs Jahr hochgerechnet blieb unterm Strich ein Fehlbetrag von 36 Millionen Franken. Der «Blick» titelte: «Die Swissair stürzt den Flughafen in die roten Zahlen». Selbst die für ihre ruhige Gangart bekannte «NZZ» schrieb von einem «massiven Rückschlag». Der damalige Flughafen-Chef Josef Felder sagte an der Jahresmedienkonferenz: «Angesichts der Turbulenzen der letzten Monate fragt es sich, ob wir Löhne oder Schmerzensgeld erhalten.»