Der neue Lufthansa-Chef Carsten Spohr geht in die Offensive: Mit neuen Billig-Töchtern will er schnell wachsenden Rivalen wie Easyjet oder Ryanair Paroli bieten. Ab dem nächsten Frühjahr werde die Traditions-Airline im Europa-Verkehr unter der Marke Eurowings günstigere Flüge anbieten, kündigte Spohr am Mittwoch im südhessischen Seeheim an. «Wir wollen nicht zu den Getriebenen, sondern zu den Treibern in der Branche gehören», sagte er. Auch auf der Langstrecke plant die Lufthansa eine neue Günstig-Marke - entweder im Alleingang oder mit einem Partner. Anleger applaudierten: Das zuletzt arg gebeutelte Dax-Papier stieg in der Spitze um drei Prozent.
Erst vor einem Jahr hatte die Lufthansa mit Germanwings einen Billig-Ableger etabliert. Bei dem Newcomer Eurowings sollen die Kosten nochmals deutlich niedriger liegen, etwa durch Basen im Ausland oder Personal, das ein Fünftel günstiger ist, wie Spohr erläuterte. Die Flotte solle in Deutschland 23 Mittelstrecken-Jets umfassen, und bis zu vier weitere auf der ersten Auslandsbasis in Basel
«Wings» of Change
Das Wachstum von Eurowings geht auf Kosten von Germanwings - die Eurowings-Flieger werden von dort abgezogen. Zudem sollen die Billigflug-Geschäfte unter einer eigenen «Wings»-Holding zusammengefasst werden. Wings habe das Potenzial, der drittgrößte Lowcost-Anbieter in Europa zu werden, sagte Spohr.
Der Erfolg von Germanwings ist übersichtlich. Zwar fliegt die Airline weniger Verlust ein als die Lufthansa vorher auf den bedienten Strecken, doch dem Vormarsch der Billigkonkurrenz konnte sie keinen Einhalt gebieten. So eröffnete Easyjet im Frühjahr in Hamburg eine neue Basis. Gleichzeitig fasst Branchenführer Ryanair in Köln/Bonn stärker Fuß. Entgegen der alten Strategie drängen die Iren nun auch auf Großflughäfen, nachdem zuvor abgelegene Airports mit niedrigen Gebühren im Fokus standen.
Die Lufthansa-Experimente werden in der Branche genau beobachtet, da Billigflieger in Europa auf einen Marktanteil von knapp 50 Prozent kommen. Strittig ist, ob große Fluglinien innerhalb der eigenen teuren Konzernstrukturen überhaupt einen veritablen Ryanair-Rivalen aufbauen können. Air France versucht es derzeit mit der neuen Tochter Hop - British Airways hingegen hat mit Vueling einen Anbieter dazugekauft. Experten zufolge läuft die Lufthansa Gefahr, sich mit noch einem Geschäftsmodell zu verzetteln. «Einfachheit muss das Mantra auf der Kurzstrecke sein», sagte Airline-Analyst John Strickland zu Reuters TV. Ryanair und Co. betrieben ein einziges und erfolgreiches Geschäftsmodell, und zwar in ganz Europa.
Langstrecken-Ambitionen
Für das neue Langstreckenangebot sucht die Lufthansa noch einen Verbündeten. «Turkish Airlines ist ein potenzieller Partner und wir sind in sehr fortgeschrittenen Gesprächen», sagte der Lufthansa-Chef, der erst seit gut zwei Monaten im Amt ist. Eine Entscheidung soll im Herbst fallen. Zudem werde geprüft, inwiefern bis zu sieben A340-Langstrecken-Flieger zu niedrigeren Kosten auf neuen Strecken oder von der Streichung bedrohten Verbindungen eingesetzt werden können. Die Maschinen sind im Vergleich zu neuen Jets spritdurstig.
«Die Idee halte ich für verwegen», sagte Fondsmanager Michael Gierse von Union Investment der Nachrichtenagentur Reuters. Das sei in Europa bislang noch keinem gelungen. «Selbst Ryanair-Chef Michael O'Leary redet seit Jahren von der Idee, doch lässt die Umsetzung auf sich warten.» Interessant sei der Versuch von Norwegian - allerdings habe die Airline aus Oslo dafür Kerosin-sparende Boeing -Jets vom Typ 787 in der Flotte.
Hohe Erwartungen an Spohr
Die Strategie-Neubestimmung war mit Spannung erwartet worden. Die Lage der größten Airline Europas hatte sich in der letzten Zeit wegen Überkapazitäten auf dem Nordatlantikverkehr und einer Delle im Cargo-Geschäft so sehr verschlechtert, dass der Konzern vor einem Monat seine Gewinnziele für dieses und nächstes Jahr um jeweils etwa 30 Prozent senken musste. Als Reaktion kappt er zunächst das Kapazitätswachstum für den Winter um die Hälfte auf zwei Prozent. Zudem müsse der Konzern den von seinem Vorgänger Christoph Franz Anfang 2012 eingeleiteten Umbau weiterführen, auch wenn das dazugehörige Sparprogramm «Score» nächstes Jahr auslaufe, betonte Spohr.
Der Manager mit Pilotenschein ist seit zwei Jahrzehnten im Konzern und verfügt damit über den bei der Lufthansa wichtigen Stallgeruch. Die 117.000 Mitarbeiter hoffen, dass er tiefen Gräben zwischen Belegschaft und Management überbrücken kann. Die Angestellten gingen wegen des Sparprogramms immer wieder auf die Barrikaden - zuletzt legten im April die 5000 Piloten den Flugbetrieb für drei Tage lahm. Der Konflikt ist noch nicht beigelegt, seit Monaten laufen die Tarifverhandlungen hinter verschlossenen Türen. Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht.
(reuters/ccr)