Sie haben als Abt einen Beirat für Wirtschaftsfragen, dem Grössen wie der frühere CS- und Nestlé-Präsident Rainer E. Gut und Roche-Konzernchef Franz Humer angehören: Was ist die Idee dahinter?

Abt Martin: Ich habe den Beirat zusammengestellt, um Leute zur Seite zu haben, die ich bei Bedarf kontaktieren kann. Es ist ein reines Beratungsgremium, das keinerlei Entscheidungsbefugnisse hat.

Wie ist die Idee entstanden?

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Abt Martin: Entstanden ist die Idee, nachdem ich zum Abt gewählt wurde. Immer mehr wurde mir klar, dass ich auch in ökonomischer Hinsicht für unser Kloster verantwortlich bin. Die wirtschaftlichen Dimensionen waren mir vorher kaum bewusst. Ich habe in meiner neuen Funktion erfahren, dass ich in diesem Bereich nicht über genügend Kompetenzen verfüge.

Wie ist es Ihnen gelungen, Wirtschaftsgrössen wie Rainer E. Gut oder Franz Humer für Ihren persönlichen Beirat zu gewinnen?

Abt Martin: Rainer E. Gut ist mit dem Kloster Einsiedeln eng verbunden. Sein Verwandter, Benno Gut, war 1947 bis 1959 Abt des Klosters Einsiedeln. Rainer E. Gut hatte mich einmal zu einem Essen eingeladen. Dabei ist die Idee eines Beirats entstanden. Rainer E. Gut selbst hat natürlich auch wieder gute Kontakte. Er hat mir Türen geöffnet zu anderen Wirtschaftsleuten.

Wer ist neben Rainer E. Gut und Franz Humer noch im Beirat?

Abt Martin: Wir möchten keine Namen nennen. Die Leute aus der Wirtschaft, die mir zur Seite stehen, verstehen ihre Unterstützung als ein persönliches Engagement, unabhängig von ihrer Funktion in einer Firma. Sie möchten nicht, dass ihre Namen veröffentlicht werden.

Wie viele Mitglieder umfasst der Beirat?

Abt Martin: Es sind 15 Mitglieder, alles Persönlichkeiten aus der Schweizer Wirtschaft und Politik. Wir treffen uns voraussichtlich zweimal im Jahr. Dazwischen kann ich bei Bedarf die Mitglieder auch direkt kontaktieren. Besonders freut mich, dass sich diese Menschen nicht aus finanziellen Motiven oder Imagegründen engagieren, sondern weil ihnen die Zukunft des Klosters ein grundsätzliches Anliegen ist.

Was hat der Beirat gebracht?

Abt Martin: Dank dem Kontakt zu diesen Menschen haben sich mir völlig neue Fragestellungen eröffnet. Das ist für mich eine Herausforderung, der ich mich aber gerne stellen will. Konzernchefs stellen ganz andere Fragen, wenn es um die strategische Führung und Finanzierung des Klosters geht. Mein Horizont hat sich erweitert. Bei uns stehen laufend Renovationsprojekte an, für die wir Einnahmequellen erschliessen müssen. Dafür sind wir auch auf Rat und Tat von aussen angewiesen.

Aber Sie haben doch als Abt eine ganz andere Wahrnehmung als ein Top-Manager?

Abt Martin: Als Abt des Klosters Einsiedeln führe ich ein Unternehmen, das über 1000 Jahre Bestand hat. Wenn ich mit Führungskräften aus der Wirtschaft spreche, stelle ich fest: Es ist nie jemand dabei, der eine so alte Institution vertritt wie ich. Wenn heute ein Unternehmen ein Jubiläum von 20, 50 oder gar 100 Jahren feiert, ist das schon viel. Damit ist klar: Wir denken in weit längeren Zeithorizonten als dies heute die meisten Manager tun. Als Abt muss ich langfristig denken und entscheiden.

Es gibt also mit den Wirtschaftsleuten durchaus auch kontroverse Diskussionen?

Abt Martin: Ja. Für sie ist die Realität Kloster weitgehend eine unbekannte Welt. Anderseits lerne ich viel über die Wirtschaft. Das ist ein Geben und Nehmen. Ein Manager hatte mich gefragt, ob wir ein Leitbild hätten. Ich sagte, dass unser Leitbild die Benediktsregel ist und dass es vielleicht einen Unterschied gibt zwischen dem Leitbild in ihren Betrieben und unserem «Leitbild». Das Leitbild, das die Firmen haben, existiert zwar, ist aber oft irgendwo in einer Schublade, während aus der Benediktsregel seit der Gründung des Klosters im Jahre 934 jeden Tag bei Tisch vorgelesen wird. Benedikt selbst schreibt vor 1500 Jahren in seiner Mönchsregel, dass daraus jeden Tag in der Gemeinschaft vorgelesen werden soll, damit sich niemand wegen Unkenntnis entschuldigen kann. Und so halten wir es noch heute.

Ein Kloster zu führen ist eine grosse Management-Aufgabe. Nur auf Ihre prominenten Beiräte können Sie sich nicht abstützen. Wie haben Sie sich Ihr fehlendes ökonomisches Know-how angeeignet?

Abt Martin: Ich habe selbst einen Managementkurs mitgemacht. Das war für mich sehr lehrreich. Früher waren mir wirtschaftliche Zusammenhänge weitgehend fremd. Das hat sich geändert.

Wie führen Sie?

Abt Martin: Ich führe auch den wirtschaftlichen Teil des Klosters nach den Prinzipien der Regel Benedikts. Dialog und Beratung nehmen bei Benedikt einen wichtigen Platz ein. Manager unserer Zeit können aus diesem kleinen Büchlein sehr wohl Nutzen ziehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Abt Martin: Die Regel Benedikts stellt immer Gott und den Menschen in den Mittelpunkt der Überlegungen. Für Benedikt ist klar, dass Gott immer wieder durch konkrete Menschen zu uns spricht. Die Regel verpflichtet uns Benediktiner, mit dem Klostervermögen, das uns anvertraut wurde, sorgfältig umzugehen. Benedikt sagt, dass wir nichts vernachlässigen und das Vermögen des Klosters nicht vergeuden dürfen, aber auch nicht der Habgier oder der Verschwendung ergeben sein sollen. Diese Grundhaltungen können auch für einen Manager wertvoll sein.

Was lernen Wirtschaftsführer sonst noch von Ihnen?

Abt Martin: Im Kloster nehmen wir kurzfristige Entwicklungen viel gelassener als dies Manager tun. Ich bin als Abt ein Teil dieses Klosters, das 1071 Jahre alt ist. Wenn etwas vor 100 Jahren passiert ist, ist es aus der Perspektive eines traditionsreichen Klosters noch nicht lange her. Wir denken in anderen Zeitdimensionen. Das würde auch der Wirtschaft gut tun, die oft zu kurzfristig orientiert ist.

Sie sprechen den kurzfristig orientierten Gewinn an. Gemäss Benediktsregel ist doch der Gewinn und generell Geld keineswegs schlecht?

Abt Martin: Das stimmt. Die Regel verlangt aber vor allem Respekt vor dem konkreten Menschen. Die wirtschaftliche Dimension ist Teil eines grösseren Ganzen. Wenn eine solche Gesamtschau bei einem Manager fehlt, kann er persönlich zerrieben werden zwischen zwei Welten mit verschiedenen Prinzipien. Sowohl im Privat- als auch im Berufsleben braucht es Respekt, den Blick für das Ganze.

Wie nehmen Sie denn die Schweizer Wirtschaft wahr fehlt es an Respekt?

Abt Martin: Das würde ich nicht generell sagen. Durch die Leute im Beirat und andere mir persönlich bekannte Wirtschaftsleute erhalte ich Einblick in die Schweizer Wirtschaft. Dabei begegne ich Menschen, die sich sehr wohl um ethische Grundhaltungen bemühen. Ich erfahre immer wieder, wie Wirtschaftsführer extrem flexibel sein müssen, damit sie Erfolg haben. Wirtschaft ist nichts Starres. Mich faszinieren Unternehmer, die den Mut haben, Bisheriges zu hinterfragen und Neues zu wagen.

Inwiefern betätigen Sie sich als Kloster-Manager unternehmerisch?

Abt Martin: Unternehmer sein heisst für mich: Ein Risiko eingehen, wenn ich davon überzeugt bin, zu etwas Gutem beizutragen. Das erlebe ich auch in meinem Alltag als Abt des «Unternehmens» Kloster Einsiedeln. Wir dürfen kein Museum sein, sondern müssen uns wie die Firmen in der Wirtschaft laufend neuen Gegebenheiten anpassen. Dies aber ohne unsere Wurzeln aufzugeben. Gerade die Begegnungen mit Wirtschaftsleuten ermutigen mich, unser Kloster laufend in verschiedener Hinsicht weiterzuentwickeln und neue, auch unkonventionelle Ideen einzubringen. Wie ein Unternehmer müssen wir einerseits Werte pflegen, aber andererseits innovativ und kreativ sein. Ich bin dankbar, dass sehr viele Mitbrüder diesen Weg bewusst und engagiert mitgehen.

Was haben Sie sonst noch von Wirtschaftsführern gelernt?

Abt Martin: Ich habe von den Wirtschaftsleuten gelernt, irgendwelche Vorgaben nicht einfach zu akzeptieren, sondern diese zu hinterfragen. Das müssen Unternehmer oft tun, um zu neuen Ideen zu kommen. Das müssen auch wir im Kloster tun, damit wir nicht erstarren, sondern uns den Fragen unserer Zeit stellen.

Sie suchen den Kontakt zur Wirtschaft nicht nur aus Interesse, sondern auch weil Sie Geld brauchen. Was kann die Wirtschaft für das Kloster tun?

Abt Martin: Firmen und Führungskräfte können uns helfen, die vielfältigen Aufgaben unserer Gemeinschaft finanziell mitzutragen. Ich stehe dazu, dass wir darauf angewiesen sind. Und ich bin überzeugt, dass es gut investiertes Geld ist auch für unsere Gesellschaft. Bereits im 10. Jahrhundert hatten wir zum Beispiel Kaiserin Adelheid , die das damals junge Kloster unterstützten.

Konkret: Für welche Projekte brauchen Sie Gelder?

Abt Martin: Wir haben verschiedene Renovationsprojekte, für die wir dringend Einnahmequellen benötigen. Ein Beispiel ist die Insel Ufenau. Die romanischen Kirchen und das barocke Restaurationsgebäude müssen saniert und die Insel rollstuhlgängig gemacht werden. Zur Unterstützung wurde ein Verein gegründet. Dieser engagiert sich sehr, macht am 20. August 2005 einen Sponsorenlauf und sammelt mit weiteren Aktivitäten Gelder. Ein weiteres Projekt ist unser Kloster-archiv. Das Archiv hat eine grosse Bedeutung, nicht nur für das Kloster, sondern für die ganze Schweiz und für den süddeutschen Raum. Es geht zurück auf 350 Jahre vor der Gründung der Eidgenossenschaft. Da sind wir jetzt auf Geldsuche.

Finden Sie in Wirtschaftskreisen Gehör?

Abt Martin: Ja, ganz klar, sowohl was die ideellen als auch die finanziellen Anliegen betrifft. Die Einladungen als Referent zu Vorträgen in Wirtschaftskreisen spiegeln dieses Interesse. Dabei gehe ich immer von der Benediktsregel aus. Der Wert der Benediktsregel liegt darin, dass sie nicht einfach ein am Schreibtisch entstandenes Leitbild, sondern aus der menschlichen Erfahrung heraus gewachsen ist.

Propagieren Sie jetzt die Benedikt-Regel als Management-Lehrbuch?

Abt Martin: So weit würde ich nicht gehen. Aber sie ist ein Leitbild zum Mensch-Sein und Mensch-Werden. Das hilft vielen Managern für ihre Arbeit. Wenn ein Manager auch an sich, an seinem Charakter arbeitet, hilft er sich selbst, aber auch dem Unternehmen und seinen Mitarbeitenden.



Der Abt als Kloster-Manager: Steckbrief

Name: Martin Werlen

Funktion: Seit 16. Dezember 2001 Abt des Klosters Einsiedeln

Alter: 43

Ausbildung: Lehrerseminar, Studium der Philosophie, Theologie und Psychologie.

Das Kloster

Das Kloster Einsiedeln wurde 934 gegründet. Im grössten Benediktiner-Kloster der Schweiz leben heute 80 Mönche. Seit 1130 gehört auch das Kloster Fahr am Rande der Stadt Zürich dazu, wo 30 Schwestern als Benediktinerinnen leben. Zudem beschäftigt das Kloster 170 externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist ein wichtiger Arbeitgeber der Region. Um die historischen Bauten zu erhalten und weiterhin ein lebendiges Kloster mit internationaler Ausstrahlung zu bleiben, ist das Kloster auf finanzielle Hilfe von aussen angewiesen. Ein Beispiel ist die Sanierung des Marstalls:«Von vielen Seiten wurden wir unterstützt», sagt Abt Martin. «Doch auch bei diesem Projekt fehlen Gelder.» Die «Vereinigung der Freunde des Klosters Einsiedeln» lanciert am Sonntag, 18. September 2005, einen «Aktionstag pro Marstall», mit vielen Attraktionen und mit einem Benefizkonzert zugunsten des Projekts um 18 Uhr in der Klosterkirche.