Sie haben zwischen 2011 und 2014 Meteo Schweiz geleitet. Wie ist die aktuelle Wetterlage bei Postauto?
Christian Plüss: Es ist noch immer bewölkt. Aber wir sehen die ersten Sonnenstrahlen.

Und wie war es, als sie im November bei Postauto übernommen haben?
Das Unternehmen war mit angezogener Handbremse unterwegs. Noch vor wenigen Monaten wusste man nicht, wie es weitergeht. Meine erste wichtige Botschaft war den Mitarbeitern zu vermitteln, dass wir eine Zukunft haben. Und davon bin ich nun nach einigen Monaten noch stärker überzeugt.

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Welche Vorarbeit hat Thomas Baur geleistet, der interimistisch übernommen hat?
Er hat in dieser Zeit viel aufgeräumt und Probleme aus der Vergangenheit gelöst. Er führte mit den Kantonen die Verhandlungen über die Rückzahlungen. Er initiierte den Verkauf des Frankreich-Geschäfts. Und er startete die Reorganisation. Ich kann nun nach vorne schauen und sehe die Aufhellungen.

Beim Personal gab es grosse Verunsicherung.
Als die illegalen Buchungen bekannt wurden, waren viele Mitarbeitende geschockt. Die grosse Mehrheit der Mitarbeiter sind hochgradig motiviert und arbeiten gerne für Postauto. Dann erfahren sie aus den Medien, dass es unrechtmässige Umbuchungen in diesem Ausmass gab. Das ist nicht leicht zu verdauen. Trotzdem hat der Betrieb immer hervorragend funktioniert. 

Sie sind Geophysiker und hatten eine Kaderfunktion bei Alpiq inne. Der Wechsel vom Stromkonzern zu Postauto überrascht. Wie kam es dazu?
Ich wurde angefragt. Das Stellenprofil hat jedenfalls gepasst. Es brauchte jemand mit Erfahrung in Service-Public-Themen. Diese hatte ich als Stromversorger und bei der Meteo Schweiz gesammelt. Zudem brauchte es jemand mit nationaler Erfahrung, was ich ebenfalls von Alpiq und Meteo Schweiz mitbringe. Mit dem öffentlichen Verkehr habe ich Erfahrung durch meine drei Jahren bei den SBB.

Der neue Postauto-Lenker

Christian Plüss (56) ist seit November 2018 Chef der Postauto Schweiz AG. Er übernahm die Führung von Thomas Baur, der das Unternehmen seit Februar 2018 interimistisch leitete. Plüss ist promovierter Geophysiker und leitete von 2011 bis 2014 Meteo Schweiz, bevor er zum Stromkonzern Alpiq wechselte, wo er die Geschäftseinheit Hydro Power Generation leitete. Zuvor war er CEO von Erdgas Ostschweiz und bei den SBB leitete er die Planungsabteilung für den nationalen und grenzüberschreitenden Regionalverkehr.

Sie kamen in einen Konzern der praktisch am Boden lag und in eine Position, die stark in der Öffentlichkeit steht. 
Aus Management-Sicht ist ein Unternehmen, das Schwierigkeiten hat interessanter, als eines, in dem alles wunderbar läuft. Da hat man Gestaltungsspielraum und kann etwas bewegen. 

Eine Vermutung: Als Bergsteiger, Kletterer und Skitouren-Fahrer waren sie in der Freizeit oft mit dem Postauto unterwegs. Sie können nun Beruf und Hobby besser verbinden als bei Alpiq.
Nein, das war nicht die Motivation. Aber es ist ein schöner Nebeneffekt. Bei Alpiq hatte meine Stelle ja auch den Charme, dass die Stauseen in den Bergen sind. Sie haben insofern Recht, dass es Themen sind, die mich auch in der Freizeit interessieren. Dadurch hat man nochmals einen anderen Bezug dazu. 

Nach ihrem Antritt hatten sie eine Tour de Suisse angekündigt. Ein Besuch ihrer Mitarbeiter und Stakeholdern. Was haben Sie dabei erlebt?
Wir haben 13 Standorte besucht. An jedem Ort waren zwischen 50 und 100 Mitarbeiter präsent. Das war enorm wichtig für uns, um zu spüren, wie die Leute denken und was sie beschäftigt. Und für sie war es wichtig zu sehen, wie die neue Geschäftsleitung tickt. 

Die gesamte Geschäftsleitung wurde ja ausgetauscht. Wie viele sind nun neu im Kader?
Wir haben 120 Kader neu rekrutiert. Viele davon sind aber aus der bestehenden Organisation gekommen. 

Was ändert sich in der Organisation?
Die wichtigste Änderung ist, dass wir von einer regionalen Organisation zu einer zentral geführten übergehen. Früher gab es neun Regionen, die alle einen Betriebschef hatten. Sie wurden wie ein KMU geführt.

Die Holding-Struktur gibt es also nicht mehr?
Diese wird gerade aufgelöst. Das hatte auch Thomas Baur bereits angestossen. Die formale Umsetzung ist in den nächsten Wochen abgeschlossen. Bis Mitte Jahr wird das erledigt sein.

Was versprechen Sie sich davon?
Postauto war in der Vergangenheit stark dezentral organisiert. Es gab teils neun verschiedene Lösungen, wie man etwas macht. Das ist nicht effizient. Ich sehe da Potenzial, dass man mehr übergeordnet agiert. 

Der Postauto-Skandal

Postauto hatte über Jahre hinweg Gewinne verschleiert und so höhere Subventionen erschlichen. Diese Praxis ist vor einem Jahr publik geworden. Die Post musste darauf insgesamt 205 Millionen Franken an den Bund und die 24 betroffenen Kantone zurückzahlen. Der Skandal um die illegalen Buchungen hatte zur Folge, dass die ehemalige Konzernchefin Susanne Ruoff zurücktreten musste. Auch die Verwaltungsräte Adriano P. Vassalli und Susanne Blank mussten gehen. Bei Postauto wurde davor die gesamte Geschäftsleitung entlassen. Jüngst wurde bekannt, dass das Bundesamt für Polizei (Fedpol) Ende 2018 ein Verwaltungsstrafverfahren gegen Ex-Postauto-Chef Daniel Landolf und seinen damaligen Finanzchef eröffnete. Im April wird nun der neue Post-Konzernleiter Roberto Cirillo sein Amt antreten. 

Hat die Dezentralität die Buchhaltungs-Trickserei begünstig?
Das kann ich so nicht bestätigen. Früher gab es jedoch keine Kultur des kritischen Fragestellens. Das wollen wir ändern. Dazu habe ich die Mitarbeiter bei den Treffen ermuntert. Ich will wissen, wenn etwas nicht gut läuft.

Welche Kritik äusserten die Mitarbeiter?
Ein Chauffeur hat eine Liste mit verschiedenen Punkten vorgetragen. Das hat mir gefallen. 

Was genau?
Besonders am Herzen liegt den Chauffeuren die Frage nach den Zulagen. Das Management hatte früher Jahr für Jahr die Minutenpauschalen für Sicherheitschecks, Tanken, Waschen und ähnliches gekürzt. 

Da sind sie ja noch in Verhandlungen mit den Gewerkschaften Syndicom und Transfair. Wann einigen sie sich?
Die Verhandlungen laufen. Bei den Verhandlungen sind wir als Arbeitgeber, die Gewerkschaften und Vertreter des Fahrpersonals dabei. Da suchen wir Lösungen.

Wann liegen diese vor?
Wir wollen noch im ersten Halbjahr eine Einigung erzielen. Die Klagen der Mitarbeiter sind aus meiner Sicht teils berechtigt. Ich will, dass wir ein fairer Arbeitgeber sind. Die Fahrer sind das Gesicht unserer Firma. 

Wie war die Stimmung unter den Chauffeuren? Sie haben ja am meisten unter dem Skandal gelitten.
Sie waren frustriert. Sie hatten das Gefühl, dass mit den Minuten-Pauschalen auf ihrem Buckel gespart wurde und Postauto dann mit dem gesparten Geld Gewinne machte, die nicht einmal legal waren. Ich verstehe, wenn da jemand gefrustet ist.

Wie ist es mit den Kilometerpreisen? Den Kantonen wurden ja zu hohe Preise verrechnet. Sind diese nun tiefer?
Ich weiss es noch nicht. Man muss das auch relativieren. Postauto war insgesamt rund zwei Prozent zu teuer. Die Grenze, was konkret illegal war, ist schwierig zu ziehen. Denn eine Bergstrecke, die mehr Diesel erfordert, ist auch etwas teurer als eine flache Strecke. Und wenn wir nun die Zulagen für die Fahrer erhöhen, werden die Kosten auch wieder leicht steigen.

Sie haben keine genaue Berechnung?
Bis Ende April erstellen wir nun die neuen Offerten für die Kantone, und diese werden sie genau anschauen.

Werden die Offerten öffentlich einsehbar sein?
Eine Offerte ist lediglich eine Vereinbarung zwischen uns und den Kantonen. Der eine oder andere wird dazu vielleicht etwas publizieren. 

Die Bevölkerung kann unterscheiden zwischen Postauto als Dienstleister und dem Management, das Fehler gemacht hat.

Ihre Aufgabe ist es ja, den angeschlagenen Ruf wiederherzustellen. Haben Sie dafür noch andere Massnahmen?
Für mich sind die Mitarbeiter entscheidend. Sie müssen an das Unternehmen glauben können. Von Kunden hatten wir jedoch wenig negative Feedbacks erhalten, weil der Betrieb ja funktionierte. Viele sagen sich: Mein Chauffeur kommt jeden Morgen und ist noch immer pünktlich und freundlich. Die Bevölkerung kann unterscheiden zwischen Postauto als Dienstleister und dem Management, das Fehler gemacht hat. Wir haben eher ein Vertrauensproblem mit den Bestellern, das nachvollziehbar ist.

Es gibt ja Kantone, die aufgrund des Skandals nun ihre Strecken neu ausschreiben lassen.
Das ist nicht ganz korrekt. Die beiden, die das nun durchziehen, sind das Wallis und der Jura. Die haben das schon vor der Krise angekündigt. Nun haben sie es bestätigt. Ob sie es wegen des Skandals gemacht haben, ist Spekulation. Postauto hat aber insgesamt mit 30 Ausschreibungen Erfahrung. Es ist also nicht so, dass wir auf dem falschen Fuss erwischt wurden. 

Macht ihnen die angedrohte Offensive im Regionalverkehr des österreichischen Busbetreibers Dr. Richard also keine Angst?
Ich habe davon gehört. Für uns ist dann aber wichtig, dass es klare Spielregeln gibt, die eingehalten werden müssen. Dazu gehört die Einhaltung von Arbeitszeitregeln, des Mindestlohnes, der Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes oder die Integration in den direkten Verkehr. Da aber jedem klar ist, dass man in diesem Geschäft keine substanziellen Gewinne machen darf, frage ich mich, was da der Reiz für ein privates Unternehmen ist. 

Hat die Rückzahlung der 200 Millionen Franken Einfluss auf den Betrieb? Müssen sie sparen?
Die Reorganisation hat man angestossen, um die alte Führungsstruktur zu durchbrechen. Es handelt sich dabei nicht um ein verkapptes Sparprogramm. 

Postauto war ja immer auch innovativ, und hatte etwa schon früh WLAN in den Bussen. Was kommt als nächstes?
In Sachen Digitalisierung haben wir noch Potenzial. Alle Chauffeure haben nun iPads bekommen und sind so auch erreichbar. Leuchtturmprojekte wie der Smartshuttle in Sion wollen wir weiterführen. Wir werden in den nächsten 10 Jahren aber nicht die Chauffeure ersetzen. Wir wollen aber die Technologie des autonomen Fahrens und das Steuersystem kennenlernen. 

In Brugg testen Sie ja die Tür-zu-Tür-Mobilität.
Da sehe ich in den Randregionen viel Potenzial. Der normale Fahrplan des Postautos hört in den meisten ländlichen Gegenden irgendwann am Abend auf. Doch die jungen Leute wollen abends in den Ausgang, können sich aber ein normales Taxi nicht leisten. Da ist das System des Sammeltaxis eine gute Alternative. Es gibt schon verschiedene Anfragen von potenziellen Bestellern. Da kann ich aber noch nicht mehr dazu sagen. 

Wann sind die Postautos elektrisch?
Wir haben schon einige, etwa neuestens in Graubünden. Momentan ist Elektro-Mobilität noch zu teuer. Und wir sind ja subventioniert. Wenn wir aber Kantone und Bund überzeugen können, da einen Mehrpreis zu bezahlen, könnten mehr elektrische Postautos fahren als heute.

Irgendwann werden Elektroantriebe billiger.
Batterien werden leistungsfähiger. In Saas-Fee machen haben wir einen Shuttle-Service, in Interlaken und Sarnen gibt es eine Linie und nun auch im Poschiavo – ein schönes Projekt, denn das Tal ist auch sehr auf Nachhaltigkeit bedacht. Und der Bus ist für Schulkinder unterwegs, also für die Zukunft. Das passt sehr gut.