Mitte Dezember wurde die künftige Struktur von Remo Stoffels Firmenimperium besiegelt. In Chur unterzeichnen er und seine Gefolgsleute, unter ihnen Ex-Implenia-Spitzenmann Hans-Peter Domanig und Fulvio Micheletti, ein ehemaliger UBS-Manager, einen Fusionsvertrag, mit dem der Bündner Unternehmer seine Holding vereinfachen soll. «Es handelt sich um Sanierungsfusionen, um die Insolvenz der überschuldeten Einzelgesellschaften abzuwenden», sagt Marco Passardi, Accounting-Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ.
Was auch immer die Beweggründe sind: Die Sanierungsfusionen gewähren erstmals einen Einblick in die Finanzen jenes Mannes, dessen unternehmerischer Aufstieg stets von Unkenrufen begleitet war. Der Financier aus Vals polarisiert, seit er 2005 die Immobiliengesellschaft Avireal aus dem Swissair-Nachlass erworben und sich dann mit seinem damaligen Geschäftspartner überworfen hat. Was folgte, war ein erbitterter Rechtsstreit.
Auch zehn Jahre später gehen die Wogen hoch, als Stoffel ankündigt, in seinem kleinen Bündner Heimatdorf einen 381 Meter hohen Turm bauen zu wollen. Der Wolkenkratzer namens «Femme de Vals» wäre das höchste Gebäude Europas. Gegner werfen ihm Gigantismus vor: Mit der «Femme» verschandle der Unternehmer die alpine Landschaft in der Surselva. Stoffel sagte damals, er wolle insgesamt 300 Millionen Franken in Vals investieren. Bezahlt würden die Investitionen aus eigenen Mitteln: «7132 AG hat das Projekt finanziert, unsere eigene Vermögensverwaltungsgesellschaft VV Value Vals, hat an ihrer letzten Verwaltungsratssitzung der 7132 AG die entsprechende Finanzierungszusage gemacht.»
Seit der spektakulären Ankündigung sind fast vier Jahre verstrichen. Der Turmbau zu Vals lässt weiter auf sich warten. Dafür liegen der «Handelszeitung» erstmals Zahlen zu jener Vermögensverwaltungsgesellschaft vor, welche seinerzeit die Finanzierungszusage gesprochen hatte.
Das Firmenimperium von Remo Stoffel (zum Vergrössern unten rechts klicken):
Am 30. Juni 2018, dem Stichtag der Sanierungsfusion, war die VV Value Vals mit 35,5 Millionen Franken buchmässig überschuldet. Dies bei einer Bilanzsumme von 1,8 Milliarden Franken. Die kurzfristigen Bankschulden der VV Value beliefen sich dabei auf 1,2 Milliarden Franken. Etwa zur Hälfte in Dollar denominiert. Die laufenden Bankschulden haben sich dabei zwischen Ende 2017 und Mitte 2018 praktisch verdoppelt.
Stoffels Vermögensverwaltungsfirma zahlte auf den ausstehenden Krediten in den ersten sechs Monaten des Jahres rund 10 Millionen Franken Zinsen. Der durchschnittliche Satz betrug dabei 2,6 Prozent und war auf knapp vier Monate hinaus fixiert. Für den Milliardenkredit musste Stoffels Firma den Banken weitreichende Sicherheit gewähren: Per Ende Juni waren die Wertschriftendepots, sämtliche Aktien der VV Value sowie «weitere beim Kreditgeber deponierte Vermögensgegenstände» verpfändet.
Nebst diesen kurzfristigen Bankkrediten sind auch langfristige Darlehen bei der Konzernmutter XO (siehe Firmenstruktur oben) von 580 Millionen Franken ausstehend. Insgesamt wies die VV damit im Sommer 2018 Verbindlichkeiten in der Höhe von 1,84 Milliarden Franken auf.
Den Bankschulden und Konzerndarlehen steht ein riesiges Wertschriftenportfolio gegenüber, von dem nur wenige Aktien-Investments wie jenes in den texanischen Milchverarbeiter Dean Foods öffentlich bekannt sind.
Momentaufnahme: 400 Millionen Franken Cash
Zur Grössenordnung: Hätte Remo Stoffel Ende Juni auf einen Schlag sämtliche seiner Wertpapiere zum Kurswert verkauft, hätte der Bündner einen Erlös von 2,2 Milliarden Franken realisiert. Abzüglich sämtlicher interner und externer Verpflichtungen wären Stoffel knapp 400 Millionen Franken Cash geblieben. Dies ist jedoch eine Momentaufnahme. Und angesichts der Depotgrösse bestehen gewaltige Schwankungsdifferenzen.
Immerhin spricht Accounting-Dozent Marco Passardi von einem «konservativen Bewertungsansatz» der VV. In den Büchern der Value Vals findet sich nämlich «bloss» ein Wert von 1,7 Milliarden. Die Wertschriften seien also zum Anschaffungswert und nicht zum Kurswert am Stichtag bilanziert worden, erklärt er. Sowieso greift der alleinige Fokus auf Stoffels VV Value Vals zu kurz, denn Stoffels Einzel- und Holdinggesellschaften sind über gegenseitige Darlehen und als Kreditsicherheiten für Dritte aufs Engste miteinander verzahnt, wie die Fusionsbilanzen zeigen.
«Grundsätzlich lässt sich mittels Einzelabschlüssen nach Obligationenrecht nicht auf die allgemeine wirtschaftliche Verfassung der Gruppe als Ganzes schliessen», betont denn auch Passardi. So erlaubt das Obligationenrecht beispielsweise die Bildung stiller Reserven. Das bedeutet: Der tatsächliche Marktwert einer Immobilie kann deutlich höher sein als der Wert der Liegenschaften in den Büchern der Gesellschaft.
Unvollständiges Bild
Insofern geben die Einzelabschlüsse nach OR die wirtschaftliche Realität also nur bedingt wieder. Auch der unabhängige Fusionsprüfer beurteile jeweils nur die Einzelabschlüsse der übertragenden beziehungsweise der übernehmenden Gesellschaft, erklärt Passardi: «Das birgt die Gefahr eines unvollständigen Bildes, weil die Konzernlage im Dunkeln bleibt.»
Fest steht, dass die Fusionen der Einzelgesellschaften in die Priora Suisse nur möglich waren, weil Gesellschaftsgläubiger im Umfang der Unterdeckung im Rang hinter andere Gläubiger zurückgetreten sind. Aus Stoffels Umfeld ist zu hören, man sei bloss daran, in der Schweiz «einfache, klare Strukturen» zu schaffen, um hernach international industriell zu wachsen. Remo Stoffel selbst will sich auf Anfrage zu den Finanzen seines Konzerns im Detail nicht äussern: Als privat gehaltene Firma müsse man die süssen Früchte des Unternehmenserfolges nicht mit der Öffentlichkeit teilen: «Entsprechend haben wir keine Veranlassung, uns zu einzelnen Unternehmen der Gruppe zu äussern.» Eine solche Gesellschaft, deren Fusionsbilanz nun vorliegt, ist die Priora Airport Immobilien AG (PAI). Darin enthalten ist das ehemalige Swissair-Verwaltungsgebäude Balsberg in Kloten. Das siebengeschossige Geschäftsgebäude mit 45 000 Quadratmetern Nutzfläche gilt als eigentliches Flaggschiff der Gruppe und soll bald um drei Etagen erhöht werden.
Die «Anlageliegenschaften» der Priora Airport haben per Ende Juni einen ausgewiesenen Buchwert von 201 Millionen Franken. Daneben verfügt die PAI über Landreserven am Flughafen Kloten, die mit knapp 35 Millionen Franken in den Büchern stehen. Sie bilden als First District die planerische Entwicklungszelle einer möglichen Airport City Zürich.
Ausreichend stille Reserven
Auch diese Priora Airport Immobilien AG weist per Ende Juni 2018 eine auf Buchwerten ermittelte Überschuldung von 47 Millionen Franken aus. Bei einer Bilanzsumme von rund 600 Millionen Franken bestehen kurz- und langfristige Hypothekarkredite in der Höhe von 483 Millionen Franken. «Die PAI hat enorm hohe Bankschulden», sagt Accounting-Fachmann Passardi. Allerdings bleibt offen, wie hoch die stillen Reserven auf den Liegenschaften und unbebauten Flächen am Flughafen sind. Im Einzelabschluss ist nachzulesen, dass die Bilanz zwar eine Überschuldung ausweise, die Gesellschaft jedoch «über ausreichend stille Reserven verfügt, wodurch die Überschuldung nur buchmässig» bestehe.
Um die Hypokredite über 480 Millionen Franken zu decken, gehen die gewährten Sicherheiten allerdings über die Schuldbriefe, Mieterträge und Aktien der PAI hinaus. «Die Substanz der Firma reicht den Gläubigern offenbar nicht aus. Sie erachten die Ertragskraft offenbar als problematisch und bauen deshalb nicht auf möglicherweise vorhandene stille Reserven», sagt der Buchhaltungsexperte. Konkret ist «teilweise» auch das Wertschriftenportfolio der VV Value Vals verpfändet, die Aktien des Vermögensverwalters sowie «teilweise auch beim Kreditgeber deponierte Vermögensgegenstände» der VV.
Einen Hinweis auf die Ertragskraft der PAI könnten die «temporären Mietminderungen» liefern, die sich in der Erfolgsrechnung finden: Sie beliefen sich 2017 auf knapp 4 Millionen Franken bei Mieterträgen von rund 46 Millionen Franken. Aus Stoffels Umfeld ist zu hören, dass diese in Zusammenhang mit der Aufstockung von Balsberg stünden und «logistische Ursachen» hätten.
Wie auch immer: Der Abschluss der Priora Airport Immobilien gewährt einen Einblick in eine weitere zentrale Stoffel-Gesellschaft namens 7132 AG. Die 100-Prozent-Tochter hält unter anderem das gleichnamige «Design und Wellness-Hotel» in Vals und gilt als Projektantin für den «Femme de Vals»-Turm. Die 7132 AG hatte Stand Juni 2018 einen Buchwert von 7,5 Millionen und grosse, konzerninterne Verpflichtungen. So schuldete die Valser Hotel-Tochter der Airport-Mutter zwei Darlehen über je rund 62 Millionen Franken. Eines davon mit Rangrücktritt, welches fast vollständig abgeschrieben wurde. «Dies lässt darauf schliessen, dass bei der 7132 AG ein buchmässiger Kapitalverlust oder eine buchmässige Überschuldung vorliegen muss», sagt Passardi. Den Turmbau zu Vals rückt so kurzfristig in ein schiefes Licht, weil sowohl Projektantin 7132 AG wie auch Finanziererin VV Value per Ende Juni buchmässig überschuldet waren.
Kaufmännische Vorsicht
Von den fusionierten Firmen hatte einzig die Priora Immobilien AG am Stichtag ein positives Eigenkapital. Doch auch bei ihr weist Passardi auf eine «sehr hohe Fremdverschuldung» hin, wenn man den Buchwert zum Massstab nimmt. So betrug der Eigenkapitalanteil 6,7 Prozent. «Nach Lehrbuch sollte der bereinigte EK-Anteil mindestens 20 Prozent betragen», erklärt der Accouting-Experte.
Der tiefe Wert könnte allerdings auch kaufmännischer Vorsicht geschuldet sein, wie Stoffels Umfeld betont. Es geht um den in den Vereinigten Arabischen Emiraten domizilierten Facility Manager Farnek Services, an dem Stoffel über Priora 49 Prozent hält. Die Firma beschäftigt 4000 Mitarbeitende in Dubai, Abu Dhabi und Ras Al Khaimah. Gemäss Geschäftsbericht erzielte Farnek 2016 einen Umsatz von 55 Millionen Franken. Erst im Herbst verkündete die Firma neue Aufträge über umgerechnet 30 Millionen Franken.
Der stipulierte Geschäftserfolg kontrastiert jedoch stark mit dem Buchwert von Farnek. Dieser beträgt Mitte 2018 nämlich noch 1 Franken, nachdem die Firma im Jahr zuvor um 15 Millionen Franken wertberichtigt wurde. «Ausserordentliche Wertberichtigungen sind nach OR rechtens», sagt Passardi. Von den Steuerämtern würden sie nur dann akzeptiert, wenn ein geschäftsmässig begründeter Aufwand geltend gemacht werden könne. Ob Farneks Firmenwert bloss eine Fata Morgana ist, bleibt offen.