Bei gängigen Materialien und mit der Kenntnis der Herstellungstechnik stellen eine Restaurierung und die konservatorische Pflege eines Kunst- und Sammlungsgegenstandes meist kein grosses Problem dar. Zunehmend müssen sich jedoch Sammler, Museen, Restauratoren und Kunstversicherer mit Schäden an Kunst- und Sammlungsobjekten des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen, deren Restaurierung mangels technischer Kenntnisse noch nicht möglich ist.
Alltagsgegenstände aus Kunststoff gehören seit längerem zu unserem täglichen Leben, aber auch Kunstwerke und Designermöbel wurden und werden aus den unterschiedlichsten Kunststoffen hergestellt. Kunststoffe sind synthetische Polymere und werden als Feststoffe, Schaumstoffe, Klebstoffe und Lacke hergestellt und verarbeitet. In irgendeiner Form sind sie deshalb in vielen Objekten des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts offensichtlich oder versteckt vorhanden.
Die Entwicklung der Kunststoffe verlief vom billigen Ersatzstoff für teure Naturmaterialien wie Elfenbein oder Schildpatt hin zum eigenständigen Werkstoff, der es Designern und Künstlern erlaubt, in Bezug auf Formen, Farben und Funktionen neue und individuelle Ideen zu realisieren. Die Forschung in der Industrie und den Universitäten, neue Kunststoffmaterialien für heutige Ansprüche auf der Grundlage der Kenntnisse über die Vorläufermaterialien zu entwickeln, geht immer weiter.
Der Zerfall erfolgt schneller als erwartet
Die Erhaltung früher Kunststoffe und der daraus gefertigten Produkte stellt eine grosse Herausforderung dar und wird immer dringender, da die Werkstoffe vom Zerfall bedroht sind und so für nachfolgende Generationen nicht mehr erlebbar sein werden. Doch gehören Idee, Prototyp, Design und Material als Einheit zusammen und sollten als Zeitdokument erhalten werden.
Die Sammlung des Vitra-Design-Museums in Weil am Rhein stellt weltweit eine der grössten und bedeutendsten Dokumentationen industriellen Möbeldesigns dar. Diese Vielfalt der im Laufe des 20. Jahrhunderts eingesetzten Technologien und Materialien als wichtiges Zeitdokument zu erhalten, ist das Ziel des AXA Art Conservation Project in cooperation with the Vitra Design Museum, das der Kunstversicherer in Zusammenarbeit mit dem Museum während zwei Jahren durchführt.
Die aus der Sammlung ausgewählten vier Objekte galten zum Zeitpunkt ihrer Entstehung als Alltagsgegenstände. Ursprünglich in den 60er Jahren zum Zweck der täglichen Benutzung entwickelt, inzwischen aber zum Kultgegenstand nobilitiert, finden sie zunehmend Sammler und Liebhaber, die an ihrem Wert und Erhalt interessiert sind. Auf internationalen Designer-Auktionen gehandelt, erzielen sie hohe Preise und werden dadurch auch Gegenstand der Kunstversicherung. Eintretende Beschädigungen, beispielsweise durch Bruch oder Materialveränderung, bedeuten für den Sammler zum jetzigen Zeitpunkt in der Regel einen irreparablen Schaden oder Totalverlust.
Kunststoffe zerfallen schneller, als zu erwarten war, und verändern sich manchmal völlig unvorhersehbar: Manche ehemals weiche Kunststoffe werden steinhart und brüchig, andere, feste Kunststoffe werden hingegen weich wie Butter. Dazu kommt, dass Designer mit verschiedenen Materialdichten experimentierten. Gaetano Pesce etwa fertigte 1983 für das New Yorker Pratt Institute eine der renommiertesten Designerhochschulen eine experimentelle Serie von neun Stühlen, mit denen die Grenzen zwischen Kunst und Design und zugleich die Grenzen des Werkstoffs Polyurethan ausgereizt wurden. Die Serie beginnt mit einem Stuhl, dessen Material so weich ist, dass er nicht einmal sich selber tragen kann, und nur der letzte Stuhl der Serie ist aufgrund seiner Festigkeit der einzig wirklich benutzbare. Das VitraDesign-Museum besitzt vier Modelle aus dieser Serie, doch Oberflächenverschmutzungen, Risse im Material und die Problematik der Ausstellbarkeit und Aufbewahrung auf Grund des heutigen Zustandes des erweichten Materials machen deutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Testreihen an Probekörpern
Durch die Zersetzungsprozesse werden nicht nur Objekte selber geschädigt, sondern durch die ausweichenden Zersetzungsprodukte können auch Objekte in der direkten Umgebung in Mitleidenschaft gezogen werden. Geschwindigkeit und Art der Alterungsprozesse der unterschiedlichen Kunststoffe sind äusserst komplex: Sie sind abhängig von der chemischen Zusammensetzung des Materials, von physikalischen Prozessen im Material, von der Art und Qualität des Herstellungsprozesses, von der Qualität der Ausgangsmaterialien, von den verarbeiteten Materialkombinationen, vom Aufbewahrungsort (Licht, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Schadstoffe aus der Atmosphäre).
Alle diese Aspekte zusammengenommen müssen bei einer objektbezogenen Restaurierung und Konservierung beachtet werden. Voraussetzung ist eine exakte Materialidentifikation, um Vermutungen über das weitere Alterungsverhalten anstellen zu können. Nur durch fachgerechte Sicherungskonzepte und konservatorische Massnahmen kann ein wirksamer Schutz für die bedrohten Kunst- und Sammlungsgegenstände gewährleistet werden.
Um geeignete Restaurierungsmassnahmen und -materialien anwenden zu können, sind zunächst viele vorausgehende Testreihen an Probekörpern erforderlich, die auf die Problematik der Alterung jedes einzelnen Kunststofftyps abgestimmt sind. Im Vitra-Design-Museum wurde deshalb ein Restaurierungsatelier für Kunststoffobjekte eingerichtet. Die im Rahmen dieses Projektes in den USA ausgebildete Restauratorin Kathrin Kessler ist damit beauftragt, Methoden zu erforschen, die eine materialgerechte Restaurierung dieser Objekte erlauben.
Sammler, Museen und nicht zuletzt Restauratoren sollen von den im Rahmen des Projektes gewonnenen Erkenntnissen profitieren. Erste Forschungsresultate sind bereits in einem nützlichen Faltblatt für Design-Sammler mit Tipps für den Umgang mit Möbeln aus Kunststoff veröffentlicht worden; eine umfangreiche Broschüre wird folgen.
AXA Art Versicherung: 50 Kunsthistoriker als Versicherungsexperten
Die AXA Art ist eine der weltweit führenden Kunstversicherungen mit Filialen in Europa und den USA. Insgesamt 50 Kunsthistoriker sind für die Versicherung von Kunstobjekten zuständig. Im Rahmen eines umfassenden Kundenservices unterstützt die AXA Art seit 2001 ausgewählte Projekte von Museen, die sich der Erforschung neuartiger Restaurierungsmethoden widmen.
Nach einer erfolgreich verlaufenen Kooperation mit der Guggenheim Foundation und dem MoMA in New York hat die AXA Art nun für die Jahre 2003/2004 in Zusammenarbeit mit dem Vitra-Design-Museum ein Projekt zur Restaurierung von Kunststoffen des 20. Jahrhunderts in Angriff genommen.
Ziel des von der Versicherung gesponserten Projekts ist es, anhand von vier Designerobjekten aus dem Besitz des Vitra-Design-Museums neue Methoden und Anwendungen zu erproben. Das Projekt wurde aus 200 Projekten ausgewählt und soll im September am Kongress des International Institute for Conservation in Bilbao vorgestellt werden. Dies Tatsache dokumentiert das internationale Interesse der Museumswelt an der Problematik der Kunststoff-Restaurierung.
Vitra-Design-Museum: Weltweit grösste Designermöbelsammlung
Die Initiative für dieses Museum ging vom Möbelproduzenten Vitra aus; es ist jedoch kein Firmenmuseum, sondern eine unabhängige Institution, getragen von einer gleichnamigen Stiftung. In den 1980er Jahren erlebte das Design eine nie da gewesene Aktualität, und die Öffentlichkeit begann sich zunehmend für dieses Gebiet zu interessieren.
Damals begann Rolf Fehlbaum, Vitra Chairman, die ersten Serienprodukte von Charles und Ray Eames sowie George Nelson zu sammeln, denn mit der Produktion dieser Klassiker hatte vor über 30 Jahren die Geschichte des Unternehmens begonnen. Mit dem Wachsen der Sammlung entstand der Wunsch, ein Gebäude als Aufbewahrungsort für die Objekte zu bauen. Eine Möglichkeit, diese Idee zu realisieren, ergab sich bei der Planung einer neuen Fabrikhalle. Mit dem Projekt wurde der bekannte zeitgenössische Architekt Frank O. Gehry beauftragt; im November 1989 konnte der unkonventionelle Bau in Weil am Rhein eröffnet werden.
Die Grundlage des Museums bilden eine der weltweit grössten und bedeutendsten Sammlungen des modernen Möbeldesigns sowie ein umfangreiches Archiv.
Kathrin Kessler: «Eine gezielte Konservierung ermöglichen»
Die Restauratorin Kathrin Kessler betreut am Vitra Design Museum in Weil am Rhein während zwei Jahren ein Projekt zur materialgerechten Restaurierung von Kunststoffobjekten. Das Projekt soll wegweisend für den zukünftigem Umgang mit gefährdeten Kunststoffobjekten sein und deren konservatorischen Erhalt ermöglichen.
Sie sind seit Beginn letzten Jahres am Vitra Design Museum als Restauratorin tätig. Was sind Ihre Aufgaben im Bezug auf das AXA Art Conservation Project? Im Rahmen des Projektes sind vier Kunststoffobjekte aus dem Bestand des Museums ausgesucht worden, die Schäden aufweisen. Jedes dieser Materialien zeigt andere Zersetzungserscheinungen: Der Polyester wird brüchig, der Schaumstoff wird bröselig und der Polyurethan-Feststoff in diesem speziellen Fall weich. Diese Objekte sind Unikate, für deren Erhalt im Rahmen des Projektes gezielt Restaurierungs- und Konservierungsmöglichkeiten entwickelt werden.
Verfügen Sie über ein internationales Netzwerk? Ich stehe in ständigem Kontakt zu Restauratoren und Naturwissenschaftlern, wie beispielsweise an der Neuen Sammlung in München, am MoMA in New York, an den Hochschulen in Köln und Bern, am Instituut Collectie Nederland (ICN) in Amsterdam und am Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen, um nur einige zu nennen.
Wurden Sie speziell für dieses Projekt ausgebildet, was die Kunststoffrestaurierung betrifft? Ich habe 1999 mein Studium an der Fachhochschule Köln in der Fachrichtung Möbel und Holzobjekte mit dem Diplom abgeschlossen. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit dem Erhalt von Objekten aus Celluloid beschäftigt. Dies war mein Einstieg in die Restaurierung und Konservierung moderner Materialien.
Können Sie uns etwas über die Experimente verraten, die Sie im Restaurierungsatelier in Weil am Rhein durchführen? Testreihen werden auf Grund von mikroskopischen Untersuchungen an den Objekten, entsprechend ihren speziellen Schadensbildern, entworfen und durchgeführt. Daraus resultierend ist zum einen die präventive Konservierung für den Erhalt der Objekte unumgänglich. Oft werden gerade diese Massnahmen vollständig vernachlässigt. Zum anderen werde ich über aktive Restaurierungsmöglichkeiten, schwerpunktmässig zur Verklebung von gealtertem Polyester, arbeiten.
Welche Zwischenbilanz können Sie nach gut einem Jahr ziehen? Im letzten Jahr ist sehr viel passiert. Die im Rahmen des Projektes neu eingerichtete Restaurierungswerkstatt bildet die Grundlage für Untersuchungen an den Kunststoffobjekten. Viele Kontakte konnten aufgebaut werden. Die Symposien zu Themen der Kunststoffrestaurierung bieten Raum für Diskussionen. Mit Unterstützung der AXA Art Kunstversicherung ist am Vitra Design Museum eine Plattform zum Austausch von neu gewonnenen Erkenntnissen in Fragen der Kunststoffrestaurierung entstanden.