Zum Glück verursachte der Blackout weder grösseren Sach- noch Personenschaden», sagt SBB-Sprecher Roland Binz. Die SBB konnten sich mit spontan verteilten «Sorry Tickets» elegant aus der Affäre ziehen, zumal die Betroffenen mehrheitlich gelassen reagierten. Das wäre eigentlich Grund genug, jetzt endlich wieder zur Tagesordnung überzugehen, würde da nicht die Frage in der Luft schweben: War dieser Blackout ein einmaliges Ereignis? Die SBB verweisen auf die hohe Zuverlässigkeit ihrer eigenen Stromversorgung.

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Doch einen Teil ihres Stroms beziehen sie aus dem öffentlichen Netz. Sie hängen so an einem kompliziert verflochtenen internationalen Stromversorgungssystem mit über 500 Mio Bezügern, das vom Nordkap bis Gibraltar und von Wales bis Russland reicht. Die 25 Mitglieder der Union for the Coordination of Transmission of Electricity (UCTE) setzen die notwendigen Standards, damit Strom überhaupt über nationale Grenzen transportiert und gehandelt werden kann. Die Schweiz ist eine wichtige Drehscheibe in diesem europäischen Stromverbundsystem.

Netze unter Dauerstress

Dieses ist heute so offen und verwundbar, dass Experten den berühmten Schmetterlingseffekt bemühen, wenn sie die Risikoszenarien ausmalen. Ein Kurzschluss wie zwischen Amsteg und Rotkreuz würde im schlimmsten Fall nicht bloss 1500 SBB-Züge lahmlegen, sondern für einen sich von Dublin bis Sibirien erstreckenden Blackout sorgen.

Das Szenario mag übertrieben klingen, tatsächlich aber häufen sich grossräumige Stromausfälle. Allein in den letzten zwei Jahren gab es sechs grössere Ereignisse in Europa und Nordostamerika mit über 120 Mio Betroffenen. Am präsentesten in der Schweiz ist der Stromausfall in Italien im Herbst 2003, als von Mailand bis Palermo einen Sonntag lang nichts mehr funktionierte. Professor Wolfgang Kröger vom Institut für Energietechnik an der ETH spricht von einer «immer höheren Verletzbarkeit des Stromsystems». Vor zwei Jahren hat er das International Risk Governance Council (IRGC) mitbegründet. Diese Organisation will Blackouts bei wichtigen Infrastrukturen verhindern. In einer umfassenden Studie haben Kröger und seine Mitarbeiter das europäische Stromnetz auf seine Schwachstellen hin untersucht. «Die Netze stehen national und international unter Dauerstress, und es wird immer schwieriger, das System am Laufen zu halten», fasst Kröger das wichtigste Ergebnis zusammen.

Wegen der Liberalisierung des Strommarktes hat sich allein in den letzten zehn Jahren der Stromhandel verdoppelt. «Der Massstab des liberalisierten Marktes ist zu gross für die ursprünglich national und regional gebauten Netze», so Kröger. Hinzu kommt, dass bei der Deregulierung der günstige Strompreis und nicht die Sicherheit des Systems an erster Stelle steht. Im Klartext: Es wird zu wenig Geld in die Infrastrukturen investiert.

Gefahren für Unternehmen

Im Moment arbeitet die UCTE zwar an einem Handbuch, um den internationalen Stromtransport besser zu regeln. Doch das wird nicht ausreichen, um die Schwachstellen auszumerzen. Beim Stromhandel über Grenzen und grosse Distanzen hat kaum einer mehr den nötigen Überblick. Die Betreiber prüfen zwar mit Computermodellen, ob die Netze den Stromtransaktionen standhalten können. Aber die digitale Technik ist noch nicht flächendeckend ausgebaut. Es fehlt eine lückenlose Überwachung des Netzes, und es fehlen koordinierte Notfallszenarien.

Im Falle von Italien hätte es zum Beispiel genügt, die stromverbrauchenden Pumpspeicherwerke abzuschalten, nachdem ein in der Zentralschweiz gefällter Baum eine Leitung beschädigt hatte. Stattdessen führten Fehleinschätzungen und zu späte Reaktionen zum verhängnisvollen Schneeballeffekt.

Laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC) rechnen 91% der Stromversorger künftig mit regelmässigen grösseren Ausfällen. Die Wirtschaft tut gut daran, sich auf weitere Blackouts möglichst vorzubereiten. «So unerwartet und einzigartig dieser Vorfall für die SBB war, er kann sich jederzeit wiederholen», sagt Ruedi Kindler, Country Manager von American Power Conversion (APC), die auf sensible Infrastrukturen und deren Verfügbarkeit spezialisiert ist. Es drohten beim Blackout nicht nur Datenverlust, Betriebsstörungen und kaputte Geräte. «Die hohen Folgekosten bei Ausfällen der geschäftskritischen Infrastrukturen können für kleine und mittlere Unternehmen sogar zu einer existenziellen Bedrohung werden.»

Risiko minimieren: Versicherungen sind limitiert

Je höher das Sicherheitsbedürfnis einer Firma ist, desto entschiedener muss sie sich gegen drohende Strom-Blackouts selber wappnen. Nebst der technischen Aufrüstung mit betriebseigenen Notfall- und Sicherheitskonzepten sind auch Versicherungslösungen zu erwägen. «Allerdings lassen sich Betriebsunterbrüche in der Regel erst ab einer gewissen Zeitspanne versichern», sagt Swiss-Re-Sprecher Beat Werder. Ein dreistündiger Unterbruch wird in der Regel nicht gedeckt. Erst wenn ein Tag oder länger die Maschinen stillstehen, gibt es Geld. Die Versicherer unterscheiden auch, was allenfalls das auslösende Ereignis war. Stromrisiken sind grundsätzlich schlecht versichert. Von den weltweit sechs grössten Stromausfällen im Jahr 2003 mit Schäden in der Höhe von 15 Mrd Dollar waren nur gerade 0,2 Mrd Dollar abgedeckt.

Kaum versicherbar sind auch Folgeschäden. Restaurantbesitzer, Festveranstalter und Kinobetreiber etwa können die SBB kaum für entgangenen Nutzen verklagen, weil Gäste und Besucher plötzlich im Zug festsassen und am 22. Juni 2005 die geplanten Freizeitvergnügungen verpassten. (ps)