Vom Schiff aus ist Roth ein typischer Geschäftsleiter eines KMU. Seine Job Factory AG erzielt mit 80 Angestellten, 16 Lehrlingen und rund 120 lehrstellenlosen Schulabgängern jährlich 11 Mio Fr. Umsatz. Sie spürt den Druck aus Billiglohnländern, und sich mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Markt zu behaupten, ist hart. Während andere CEOs gerne sagen, ohne Wachstum sei ihre Firma tot oder ihr Ziel sei, nachhaltig zu wachsen, ist Roth nichts Derartiges zu entlocken. Der Chef der Job Factory in Basel tickt nicht wie das Gros der Managergilde. Roth treibt etwas anderes an als die eine oder andere Form von Wachstum.
«Mein Ziel ist es, mit dem Unternehmen Wert zu schaffen», sagt er. Das hört sich gut an, vor allem wenn das ein Unternehmer sagt, der von der Schwab Foundation des World Economic Forum (WEF) zum ersten Schweizer «Social Entrepreneur» gekürt wurde. Dank der Auszeichnung erhält er vom WEF allerhand Gelegenheiten, mit den Movern und Shakern der Welt sowie den weiteren 81 Social Entrepreneurs zu netzwerken.
Und welcher CEO redet nicht gerne über soziales und ethisch verantwortungsvolles Wirtschaften. Mit dem bei CEO üblichen Credo «gute Dienste tun widerspricht keiner Unternehmensstrategie, solange dies dem Gedeihen des Unternehmens nicht in die Quere kommt, das heisst, sich lohnt» damit ist Roth nicht einverstanden. Ihm leuchte das kurzfristige gewinnfixierte Denken nicht ein.
Roth hat durchaus Verständnis für Menschen, die mit Aktionen gegen das Gebaren entfesselter Globalisierungsakteure protestieren. Er gibt sich aber vorsichtig: «Man kann einen Haufen Menschen zusammentun, die es gut meinen, aber gut wird es damit allein noch nicht.» Was es brauche, sei eine Art organisierte «Entschleunigung», eine Priorisierung der Tätigkeiten, um am Ende einen Mehrwert zu erzielen, der im Interesse aller sei. Der Wert, den seine Fabrik «produziert», sind die 800 Jugendlichen, die seit der Gründung im Jahr 2000 die sechsmonatigen Praktika absolviert haben und dann mit Arbeitserfahrung in die reale, harte Arbeitswelt einsteigen konnten. Die Job Factory mitten im Basler Industriequartier ist wie ein kleines Universum mit Restaurant, Shops, Blumenladen, Druckerei, Schreinerei, Küchenmöbelbau, Gitarrenhandel usw.
Gerne arbeiten, statt hängen
Roth illustriert eine seiner Mehrwerterfahrungen: Kürzlich habe er eine Frau im Job-Factory-Restaurant angetroffen, die ihm die Veränderung erzählte, die die Job Factory bei einem verwandten Jugendlichen ausgelöst habe. Der Junge arbeite seit zwei Wochen hier, ihm gehe es blendend, vorher habe er nur frustriert rumgehangen. Roth macht die Erfahrung, dass es bei vielen 16- bis 20-Jährigen oft nur eine kurze Phase der Wertschätzung und der Ermutigung brauche, damit sie ihren Weg fänden.
Auch wenn Job Factory seit 2003 schwarze Zahlen schreibt und Roth Stunden verbringt, Interessenten aus anderen Städten das Business-Modell zu erklären, hegt er keine Expansionsabsichten im üblichen Sinn, sondern engagiert sich dafür, dass das Modell an anderen Orten multipliziert werden kann.
Ärgert es ihn, dass auch ein CEO wie Daniel Vasella gerne von Werten und sozialer Verantwortung von Firmen redet, gleichzeitig keine Skrupel hat, 20 Mio Fr. Lohn zu kassieren? Er lächelt: «Ich würde gerne mit ihm reden und seine Gedanken erfahren.» Novartis gehört zu seinen Kunden. In der Druckereiabteilung sind Broschüren von Novartis, Syngenta und anderen bekannten Konzernen ausgestellt, die die jungen Angestellten hergestellt haben.
Die Kunden vergeben wohl gerne Aufträge an Institutionen, die einen guten Zweck verfolgen. Roth protestiert: «Aufträge bekommen wir nicht als Almosen. Was vor allem zählt, ist das Preis-Leistungs-Verhältnis.» Sowieso, Job Factory beziehe keine Unterstützung von der öffentlichen Hand. «Wir sind kein Sozialprogramm», betont Roth. Trotzdem, wie kann er es sich leisten, schwer vermittelbare Jugendliche «on-the-Job» zu trainieren? Wichtig sei, dass die Firma Dienstleistungen und Produkte anbiete, für die ein Markt bestehe, und das zu konkurrenzfähigen Preisen und die Jugendlichen für die Arbeit begeistere.
Ganz typisch für seinen Ansatz ist es, Beziehungen und Nähe zwischen der knallharten Wirtschaftswelt und der der jungen Arbeitslosen zu schaffen. «Ein Jugendlicher, der nie die Chance hatte, regulär zu arbeiten, traut es sich nicht zu, in einem normalen Job Fuss zu fassen. Umgekehrt haben Unternehmen grosse Bedenken, einen Sozialhilfebezüger anzustellen.» Die Hemmschwelle sei hoch.
Bei den vom Arbeitsprozess ausgeschlossenen jungen Menschen ticke in der Schweiz eine Zeitbombe. «Den Jungen das Gefühl zu geben, wir brauchen dich nicht, ist fatal», sagt Roth sichtbar besorgt. In seiner Jugend habe er dieses Gefühl höchstens mal für fünf Minuten gehabt. Heute gebe es junge Menschen, die dieses Gefühl zwei, drei Jahre und länger erlebten.
Wieso fühlt er sich ein Stück weit verantwortlich für diese Ausgeschlossenen? «Wenn dies meine Kids wären», war sein Gedanke, als er die Vision der Job Factory entwickelte. Auch sei er überzeugt, dass man die Welt der Randständigen und die der Wirtschaft gar im Interesse Letzterer einander näher bringen könne.
Wer bei Roth das grosse Aha-Erlebnis sucht, durch das er auf das Humanbusiness gekommen ist, wird enttäuscht. Für ihn sei schon immer klar gewesen, dass die Wirtschaft dem Menschen dienen müsse und nicht umgekehrt. Von seiner Arbeit wollte er schon als Teenager in erster Linie überzeugt sein. Roth hat in den 70er Jahren in der Informatik gearbeitet. Im Alter von 25 Jahren habe er mit Kollegen aus einer Jugendarbeit innerhalb der reformierten Landeskirche beschlossen, sie müssten etwas unternehmen, um Jugendlichen aus der Zeit der Jugendunruhen eine Perspektive zu geben. So hätten sie 1979 die Stiftung «Weizenkorn» ins Leben gerufen heute grösste Arbeitgeberin für junge Menschen mit psychischen Problemen. Sie ist eine geschützte Werkstatt, die IV-Bezüger beschäftigt. Da es Ende der 90er Jahre immer mehr Lehrer gab, die versuchten, ihre Schüler die keinen Job fanden bei «Weizenkorn» unterzubringen, wurde aus dem «Weizenkorn» heraus vor sechs Jahren die Job Factory gegründet.
Humanistisches Elternhaus
Eine Garantie, dass das Konzept funktioniert, hatte Roth nicht. Auch über ein komfortables Geldpolster, auf das er im Notfall hätte zurückgreifen können er hat vier Kinder habe er nicht verfügt. Roth: «Verantwortung übernehmen ist immer riskant.»
Sein Weltbild geprägt hätte sein humanistisch ausgerichtetes Elternhaus. Die Werte, hinter denen er heute als reformierter Christ stehe, seien ihm schon als Kind vermittelt worden. Braucht es in der Corporate World mehr Christen, damit Menschen am Rande besser integriert werden? «Grundsätzlich braucht es alle», antwortet er, «notwendig sind Werte wie die christliche Nächstenliebe.» Er verweist auf das entsprechende Bibelgleichnis, wo der barmherzige Samariter am besten wegkommt: «Ich weiss nicht, was er geglaubt hat, aber seine Reaktion war gut.»
Der «Social Entrepreneur» sieht sich nicht als Teil eines Modetrends: «Ich glaube, soziales Unternehmertum .» Er erwähnt den russischen Wissenschaftler Nikolai Kondratiev, der sage, der nächste Entwicklungsschub resultiere nicht von neuen Technologien. Weiterentwickeln würden sich die Nationen, die ihre sozialen Probleme lösen und auch gesellschaftlich attraktiv seien. «Das ist eine echte unternehmerische Herausforderung.»
Steckbrief: CEO im Humanbusiness und kein Sozialhelfer
Name: Robert Roth
Funktion: Gründer, Verwaltungsratspräsident und Delegierter von Job Factory, erster Schweizer Social En-trepreneur der Klaus-Schwab-Stiftung
Alter: 55
Familie: Verheiratet, vier Kinder
Karriere
- 1971-1975 IT, Detailhandel
- 1976 Gründung Stiftung «Weizenkorn», grösste Schweizer Arbeitgeberin für Junge mit psychischen Problemen
- Seit 2000 Gründung und Leitung der Job Factory, BaselFirma
Job Factory Basel AG
Die Job Factory ist ein marktorientiertes Produktions- und Dienstleistungsunternehmen und beschäftigt 80 ausgebildete Fachkräfte und 130 so genannte «Juniors». Ziel der 2000 gegründeten AG ist es, Junge beim Einstieg ins Berufsleben zu unterstützen, die nach der Schule ohne Anschlusslösung dastehen. Das On-the-Job-Training dauert ein halbes Jahr. Pro Jahr erzielt Job Factory 11 Mio Fr. Umsatz. Die Factory hat 15 Bereiche. Die Juniors beziehen einen Lehrlingslohn und wählen zwischen fünf Berufsrichtungen. Bisher haben 800 die Berufspraktika durchlaufen.