Die Zahlen sind selbst für Biotech abenteuerlich. Roche zahlt für Spark Therapeutics aus Philadelphia 4,3 Milliarden Dollar – für ein Unternehmen, das letztes Jahr einen Umsatz von gerade einmal 65 Millionen Dollar machte. Der Kaufpreis entspricht einer Prämie von 122 Prozent gegenüber dem Nasdaq-Schlusskurs vom vergangenen Freitag. Roche schreibt, der Preis pro Aktie liege 19 Prozent über dem Durchschnitt der Tageshochs der vergangenen 52 Wochen.
Die ersten Analysten-Reaktionen fielen heute morgen verhalten aus. Doch die Wette könnte aufgehen. Die Gründe:
1. Vom hinten nach vorne
Die Spark-Übernahme ist keine übliche «Bolt-on»-Akquisition. Der Deal macht aus dem Nachzügler Roche mit einem Schlag ein führendes Unternehmen im Bereich Gentherapie. Spark Therapeutics zählt zu den bedeutendsten Gentherapie-Pionieren. Das von Katherine High und Jeff Marrazzo gegründete Unternehmen entstand im Umfeld des Kinderkrankenhauses von Philadelphia – der eigentlichen «Wiege» der Gentherapie. Hier wurde auch die Therapie zur Behandlung leukämiekranker Kinder erstmals angewendet, die später von Novartis unter dem Namen «Kymriah» auf den Markt gebracht wurden.
2. Spark ist ein Pionier
Spark Therapeutics gehört zu den wenigen Unternehmen, die mit dieser vielversprechenden, aber auch riskanten Technologie Erfahrungen haben und auch schon eine erste Therapie zur Marktreife gebracht haben. Bereits zugelassen ist Luxturna, eine Therapie zur Behandlung einer durch einen genetischen Defekt verursachten Augenkrankheit, welche das Gesichtsfeld einschränkt und schliesslich zur Erblindung führt. Die Rechte zur Kommerzialisierung von Luxturna in Europa liegen bei Lokal-Konkurrent Novartis.
Erfahrung ist wichtig, weil es bei Gentherapien nicht nur darum geht, das defekte Gen zu reparieren, sondern auch darum, die Reaktion des Immunsystem unter Kontrolle zu bringen. Als Vektoren, welche die reparierten Genbestandteile transportieren, dienen Bestandteile von Viren. Diese Teile haben zwar nicht mehr viel gemein mit Viren, werden vom Immunsystem aber immer noch als solche erkannt und entsprechend bekämpft. Das macht die Technologie gefährlich und führte in den Anfängen auch zu Todesfällen. Die Technologie stösst deshalb trotz inzwischen unbestrittener Erfolge auf Skepsis.
3. Portfolio-Fit
Die Interessen von Roche dürften weniger bei der bereits zugelassenen Augen-Therapie Luxturna liegen, sondern vor allem bei dem, was danach kommen könnte: EIne Gentherapie zur Behandlung von Hämophilie A, der grössten Indikation im Bereich Bluterkrankheit, soll dieses Jahr in die dritte klinische Phase kommen – also der letzten vor der Zulassung.
Hinzu kommt eine zweite Hämophilie-A-Therapie, die sich allerdings noch in einem früheren Stadium der Entwicklung befindet. Mit Hemlibra gehört Roche bereits heute zu den führenden Unternehmen im Bereich Hämophilie. Das Medikament machte 2018 einen Umsatz von 224 Millionen Franken und ist auf dem Weg zum Blockbuster. Mit Spark hat Roche nun auch bei der gentherapeutischen Behandlung der Bluterkrankheit den Fuss drin. Allerdings: Spark ist nicht das einzige Unternehmen, das hier ein Eisen im Feuer hat. Die härteste Konkurrenz kommt von Biomarin. Beobachter gehen davon aus, dass es zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Zulassung kommen wird.
Dazu kommen bei Spark interessante Assets im Bereich Neurologie, die sich allerdings noch in einem in einem früheren Stadium der Entwicklung befinden. Dazu zählen mögliche gentherapeutische Behandlungen von Batten Disease, einer schweren neurodegenerativen Krankheit, und Huntington. Auch das passt ins Bild: Mit Ocrevus, einem sehr erfolgreichen Medikament zur Behandlung von Multiple Sklerose, hat sich Roche nach dem Ablauf der Patente für die grossen Krebsblockbuster Avastin, MabThera/Rituxan und Herceptin erfolgreich im Bereich Neurologie neu positioniert.
Fazit
Der Deal ist eine Wette auf die Zukunft, übliche Bewertungsmethoden helfen kaum zur Beurteilung. Zugleich zeigt sich in der Milliardenübernahme, welches Potential die Branche in Gentherapien wittert – in einer Technologie, die viele noch vor Kurzem für einen «Boutique»-Ansatz hielten: exklusiv womöglich, aber für den breiten Gebrauch nicht tauglich.