Roche-Konzernchef Severin Schwan hatte alle Register gezogen. Er war selbst in die USA geflogen, um die Übernahme mit Spark-Chef Jeff Marrazzo persönlich zu besprechen. Er hatte sein Angebot wieder und wieder erhöht, um den jungen Gentherapieunternehmer bei Laune zu halten. Und er war schliesslich im Februar in einem Bieterwettbewerb auf einen Kaufpreis von satten 4,8 Milliarden Dollar gegangen, um auf der Zielgeraden nicht doch noch von der Konkurrenz abgefangen zu werden.
Gut fünf Monate später ist die Festlaune verflogen. Der milliardenschwere Deal zwischen Basel und Philadelphia hängt in der Luft. Und es sieht nicht danach aus, als ob sich daran so schnell etwas ändern würde. Mehr noch: Die beiden Parteien geben sich mittlerweile bis Anfang September Zeit, um die Übernahme in trockene Tücher zu bringen. Ein Deal in der Warteschlaufe.
Alle kamen auf ihre Rechnung
Dabei hatte es am Anfang ganz danach ausgesehen, als hätten sich hier zwei gefunden. Roche war, wenn auch für eine ziemlich stolze Summe, zu einer vielversprechenden Gentherapie-Pipeline gekommen. Die Investoren von Spark Therapeutics konnten sich auf eine selbst für die Biotech-Industrie hohe Prämie von mehr als 120 Prozent freuen. Und die Mitarbeiter der künftigen Roche-Tochter hatten mit dem Konzern aus dem fernen Basel einen neuen Besitzer gefunden, der – siehe Genentech und Flatiron – dafür bekannt war, seine Tochtergesellschaften an der langen Leine zu lassen und ihnen nicht mehr als nötig dreinzureden.
Doch dann geriet die Übernahme ins Stocken. Zunächst muckten einige Spark-Investoren auf und reichten eine Sammelklage ein. Das auf die Bekämpfung der Bluterkrankheit spezialisierte Unternehmen sei bei den Übernahmeverhandlungen nicht fair bewertet worden. Dann verstrichen mehrere Angebotsfristen, ohne dass es zu einem Abschluss gekommen wäre.
Und nun kommt es auch noch zu einer Verzögerung bei der wettbewerblichen Überprüfung. Die amerikanische Federal Trade Commission und die britische UK Competition and Markets Authority wollen den Deal genauer unter die Lupe nehmen.
Der Grund dafür: «Gentherapien sind Neuland, nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Wettbewerbsbehörden», sagt Lorenzo Biasio, Pharma-Analyst bei der Credit Suisse. «Noch weiss niemand so genau, wie die Gentherapiemärkte funktionieren werden.» Dafür seien die Therapien noch zu wenig lang auf dem Markt.
Gentherapiemärkte gehen anders
Das Problem dabei: Gentherapien sind keine Medikamente, welche die Patienten bei Bedarf wechseln können, sondern Einmalbehandlungen. Sie müssen nur alle paar Jahre einmal, womöglich sogar nur ein einziges Mal durchgeführt werden. Das heisst: Wer hier die richtige Therapie hat, der kann eine bestimmte Indikation auf Jahre hinaus besetzen. «Die Frage wird sein, wie man sicherstellt, dass die Interessen der Patienten gewahrt werden», sagt der Credit-Suisse-Analyst.
Dazu kommt im Falle von Roche, dass das Unternehmen bei der Hämophilie mit Hemlibra bereits ein vielversprechendes Medikament auf dem Markt hat. Hemlibra ist 2018 gut gestartet. Beobachter trauen ihm einen Umsatz von mehreren Milliarden zu. Was die Wettbewerbshüter beschäftigen dürfte: Das Medikament richtet sich an eine Untergruppe bei den Blutern, für welche die Behandlungsmöglichkeiten limitierter sind.
Zell- und Gentherapien sind das Thema in der Biotech-Industrie. Nach vielen Rückschlägen ist die Wissenschaft nun so weit, dass sie zum Beispiel defekte Gensequenzen in Zellen durch gesunde ersetzen und so Erbkrankheiten heilen kann. Dafür braucht es eine sogenannte Genfähre, also ein Molekül, welches das Reparaturschnipsel in die Zelle bringt. Oft wird dabei mit Bestandteilen von Viren gearbeitet. Das kann dazu führen, dass das Immunsystem auf die Therapie reagiert und Antikörper produziert. Das Handling der Abwehrreaktionen gehört zu den grossen Herausforderungen bei den Gentherapien.
Zu den führenden Unternehmen in der neuen Technologie zählt Novartis. Es brachte 2018 die erste Zelltherapie gegen eine bestimmte Form von Leukämie auf den Markt. Zudem akquirierte Konzernchef Vas Narasimhan für 8,7 Milliarden Dollar das amerikanische Gentherapieunternehmen Avexis. Roche hingegen hat die erste Runde ausgelassen und versucht nun, mit Spark auf den Gentherapiezug aufzuspringen.
Für einen erfolgreichen Abschluss der Übernahme spricht, dass Spark nicht das einzige Unternehmen ist, das sich auf dem Feld der Gentherapien gegen Hämophilie tummelt. Auch das kalifornische Biotech-Unternehmen Biomarin ist mit einer Gentherapie gegen die gefürchtete Krankheit in den Startlöchern. Mehr noch: Das Unternehmen aus Novato dürfte sogar noch vor Spark mit einer Therapie auf den Markt kommen.
«Wir sind der Meinung, dass die Transaktion nicht grundsätzlich infrage gestellt ist», sagt der Credit-Suisse-Analyst Biasio. Bei der Hämophilie gebe es genügend Spieler.
Und auch Roche ist guter Dinge, dass die Hängepartie in den nächsten Monaten zu Ende geht. «Wir bleiben weiterhin zuversichtlich, dass die Transaktion noch in diesem Jahr zustande kommt», schreibt das Unternehmen. Das Angebot sei fair und es werde vom Spark-Verwaltungsrat einstimmig unterstützt. Trotzdem wolle man sicherstellen, dass «wir potenzielle Hindernisse proaktiv identifizieren und beseitigen können».
Als «Sicherheitsmassnahme» hätten Roche und Spark beschlossen, den Fusionsvertrag bis zum 30. April 2020 zu verlängern. Der Konzernchef schrieb vor wenigen Tagen an die Mitarbeitenden von Spark: «Roche steht vollumfänglich zu der Übernahme.» Eine Botschaft, die man in Philadelphia gerne hören dürfte. Denn: Sollte der Deal nicht zustande kommen, so wird auf Spark-Seite eine Break-up-Fee von 144 Millionen Dollar fällig.