Sie hatten es in der Hand und sie haben es beide vermasselt: Sowohl Roche als auch Novartis hatten vor ein paar Jahren ein mögliches Medikament zum Abnehmen am Start und beide haben es an Eli Lilly verkauft – womit der Geldregen nun nicht über Basel, sondern über Indianapolis niedergehen wird; falls denn die beiden Wirkstoffe Bimagrumab und Orforglipron wirklich zum Fliegen kommen. Im Nachhinein ist man immer klüger, kann man da nur sagen. Dass ein Unternehmen einen Wirkstoff auslizenziert, weil es dessen Potenzial nicht erkennt oder weil der Wirkstoff zu einem Therapiegebiet gehört, das auf der Prioritätenliste gerade nach unten gerutscht ist, ist in der Biotech-Industrie Alltag. Dafür ist man bei anderer Gelegenheit auf der Siegerstrasse und kommt für ein paar Dutzend Millionen Dollar zu einem Milliardenprodukt.

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Wie weiter, wenn man es vermasselt hat?

Spannender ist, wie die beiden Basler Pharmagiganten mit ihrem Irrtum von Gestern umgehen. Novartis-Konzernchef Vas Narasimhan stellt sich auf den Standpunkt, dass es keinen Sinn mehr ergibt, sich bei der nun laufenden Runde der ersten Generation von Abnehmspritzen und -tabletten ins Gewühl zu stürzen, dafür sei das Feld schon zu sehr besetzt. Für diese Sicht gibt es gute Gründe. Wenn man als Nachzügler ins Rennen steigt, dann ist das Risiko gross, mit einem Me-too-Produkt in der Kategorie «ferner liefen» zu landen. Das hat die Erfahrung mit den ersten immunonkologischen Medikamenten gezeigt, wo Roche mit seinem Tecentriq nie wirklich einen Stich hatte gegen die bereits etablierten Kassenschlager von Merck und BMS. Novartis fokussiert sich deshalb darauf, bei einer der nächsten Runden als Erster mit einem neuen Wirkstoff oder einer neuen Technologie auf den Markt zu kommen.

«Best in Class» ist hart, aber ...

Thomas Schinecker dagegen geht den Weg des «Best in Class». Das heisst, er versucht das Feld von hinten aufzurollen, was deutlich anspruchsvoller ist, als in der Rolle eines First Mover die anderen vor sich herzutreiben. Und offenbar auch nervenaufreibender, wie die vergangene Woche zeigte, als vor allem amerikanische Analysten und Analystinnen mit zweifelhaften Vergleichen bei den Nebenwirkungen der beiden Wirkstoffkandidaten CT-388 und CT-699 den Aktienkurs des Pharmakonzerns jenseits des Atlantiks rockten. Wie man hört, soll es dabei ziemlich rau zu- und hergegangen sein. Der Roche-Konzernchef habe sich vorwerfen lassen müssen, er sei zu «bullish» und zu aggressiv. Ein Analyst soll sich sogar dazu verstiegen haben, dem Konzernchef vorzuwerfen, er lüge.

Doch die Aufholjagd macht Sinn. Denn bei Wegovy und Co geht es längst nicht mehr nur darum, ein paar Kilos zu verlieren. Die Anzeichen verdichten sich, dass hier gerade das nächste grosse Kapitel in der Biotech-Industrie aufgeschlagen wird. Bereits erwiesen ist, dass die GLP-1-Rezeptor-Antagonisten – so die wissenschaftliche Bezeichnung der Wirkstoffklasse – einen schützenden Effekt auf das Herz-Kreislauf-System haben. Dass sie also das Risiko von Herzinfarkten senken.

Wenn man bedenkt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch immer das Todesfallrisiko Nummer eins sind, dann ist das doch bedeutend. Daneben gibt es Hinweise, dass sie gegen Fettleber wirken könnten und gegen Aussetzer beim Atmen während des Schlafes, einer gefährlichen Begleiterkrankung von schwerem Übergewicht. Ja selbst beim Kampf gegen Alzheimer und andere Demenzerkrankungen könnten sie eine Rolle spielen. Gut möglich also, dass hier gerade Grosses passiert und dass hier die Medizin vom Darm her neu aufgerollt wird.

Da lohnt es sich, einen Fuss in der Tür zu haben. Schliesslich geht es bei neuen Medikamenten nicht nur unmittelbaren Umsätze, die sich damit erzielen lassen, sondern auch darum, am eigenen Verständnis der Krankheiten zu feilen. Das gilt ganz besonders, wenn, wie in diesem Fall, womöglich gerade die nächste grosse Revolution der Medizingeschichte ansteht.