Als Bauingenieur in einer Ingenieurunternehmung, als Berner Kantonsoberingenieur und seit fünf Jahren als Chef der Schweizer Strassen kennen Sie die vielen Facetten unserer Infrastruktur. Wo orten Sie dringendsten Handlungsbedarf?
Rudolf Dieterle: Vorerst: Wir haben schon viel erreicht: Das Nationalstrassennetz geht seiner Vollendung entgegen, die Strassenverkehrssicherheit wurde trotz erheblichem Mehrverkehr markant verbessert und viele negative Auswirkungen der Strasse konnten reduziert werden …
… wir erleben im Alltag aber das Gegenteil. Nochmals: Wo besteht dringend Handlungsbedarf?
Dieterle: Weil unser Strassennetz immer intensiver belastet wird, kommt es vermehrt zu Funktionsstörungen. Die Sicherheit auf der Strasse ist nach wie vor ungenügend, die negativen Auswirkungen des Strassenverkehrs auf unseren Lebensraum sind immer noch zu gross. Es gibt also noch viel zu tun!
Ein Schlagwort ist das Verkehrsmanagement. Was ist darunter zu verstehen?
Dieterle: Verkehrsmanagement bedeutet die Summe aller Massnahmen zur optimalen Nutzung des immer knapper werdenden Strassenraums. Ziele sind gleichmässig fliessender Verkehr sowie ein hohes Mass an Sicherheit und Verträglichkeit. Technisch gesehen verstehen wir unter Verkehrsmanagement die Verkehrslenkung, die Verkehrsleitung, die Verkehrssteuerung sowie die Verkehrsinformation.
Können Sie ein Beispiel geben?
Dieterle: Die wohl bekanntesten Verkehrsmanagement-Systeme sind am Gotthard sowie im Raum Limmattal/Zürich-Nord anzutreffen. Am Gotthard ermöglicht ein Tropfenzählersystem, den Schwerverkehr zu regeln und die Sicherheit zu verbessern. Mit Ampeln werden die Frequenzen im Tunnel, die Art der passierenden Fahrzeuge sowie die Abstände zwischen den Lastwagen gesteuert. Pro Stunde dürfen höchstens 1000 Personenwagen den Tunnel durchfahren. Ein Lastwagen entspricht drei Personenwagen, sodass also stündlich zum Beispiel 700 Personenwagen und 100 Lastwagen durchs Nadelöhr geschleust werden können.
Das durch Sie geleitete Bundesamt für Strassen, das Astra, kümmert sich gemäss Homepage darum, dass es auf den Schweizer Strassen möglichst rund läuft. Läuft es wirklich rund? Strassenbenützer haben oftmals einen anderen Eindruck …
Dieterle: Das schweizerische Strassenwesen ist auf einem guten Stand. Viele Ausländer beneiden uns um das Geschaffene und Erreichte. Es wird aber wohl nie alles immer rund laufen. Die Anforderungen ändern sich, das Umfeld verändert sich, die Akteure ändern sich. Und solange Menschen an Schalthebeln und Steuerrädern sitzen, werden Fehler passieren. Wir werden also laufend Anpassungen und Verbesserungen durchführen müssen.
So viel zu den Problemen. Was macht Ihnen Freude?
Dieterle: Die markanten Verbesserungen der Sicherheit auf den schweizerischen Strassen. Diese Pluspunkte haben nicht nur mit den in den letzten Jahren realisierten Sicherheitsmassnahmen zu tun, sondern auch mit den immer sichereren Fahrzeugen und den Verbesserungen an der Infrastruktur. Es bleibt eines unserer wichtigsten Ziele, die Verkehrssicherheit weiter zu steigern.
Das Astra zeichnet für den Bau, den Unterhalt und den Betrieb des Nationalstrassennetzes verantwortlich und begleitet bis zu dessen Fertigstellung zahlreiche grosse Bauprojekte. Ist ein Ende des Strassenbaus in der Schweiz absehbar?
Dieterle: Zuerst einmal: Aktuell sind noch die Kantone zuständig für diese Aufgaben. Mit der Neuregelung des Finanzausgleichs – dem NFA – voraussichtlich per 1. Januar 2008 kommen diese Aufgaben zum Astra – mit Ausnahme der Fertigstellung des beschlossenen Nationalstrassennetzes. Wenn Sie mit Ihrer Frage die Fertigstellung des vom Parlament beschlossenen Nationalstrassennetzes meinen, dann ist ein Ende absehbar. Etwa 95% sind bereits gebaut. Damit das Nationalstrassennetz jedoch langfristig sicher, leistungs- und funktionsfähig bleibt, werden immer wieder Ausbaumassnahmen nötig sein.
Und der Unterhalt?
Dieterle: Dieser wird immer wichtiger und künftig mehr Mittel als bisher benötigen. Denn je mehr Nationalstrassen vorhanden sind, desto aufwendiger ist deren Unterhalt. Guter Strassenbau und -unterhalt werden deshalb eine Daueraufgabe bleiben.
Unter Ihrer Federführung steht das Verkehrssicherheitsprogramm Via Sicura. Wird dieses zum Erfolgsmodell mit vielen neuen Komponenten im Dienste der Verkehrssicherheit?
Dieterle: Die sinkende Anzahl Todesopfer auf den Schweizer Strassen zeigt, dass Massnahmen im Bereich der Verkehrssicherheit etwas bringen – egal, ob es sich um Einzelmassnahmen handelt oder um ein ganzes Bündel von Massnahmen wie bei Via Sicura.
Was ist zusätzlich erforderlich?
Dieterle: Erwiesenermassen ein breiter Ansatz, um die Verkehrssicherheit signifikant verbessern zu können. Damit nur noch gut ausgebildete und voll fahrfähige Menschen in sicheren Fahrzeugen auf Fehler verzeihenden Strassen verkehren, müssen verschiedene Faktoren beeinflusst werden: Das gesellschaftliche Problembewusstsein, das Verhalten der Verkehrsteilnehmenden, die Sicherheit der Fahrzeuge und der Strasseninfrastruktur sowie die Leistung und Qualität der Rettungsdienste. Auf diesen verschiedenen Ebenen will Via Sicura positiv wirken.
Wie erfolgreich wird Via Sicura sein?
Dieterle: Via Sicura ist ein ausgereiftes, vielfältiges und breit abgestütztes Verkehrssicherheitsprogramm mit einem guten Verhältnis von Kosten und Nutzen. Die Massnahmen, die im Paket enthalten sind, wurden von den besten Verkehrsexperten des Landes ausgearbeitet und begutachtet. Ich bin überzeugt, dass die politischen Gremien diesem Umstand Rechnung tragen und mithelfen werden, Via Sicura zum Erfolg zu führen.
Leisten neue Erkenntnisse der Verkehrstelematik beziehungsweise des ITS – des sogenannten Intelligent Transport System – daran substanzielle Erfolgsbeiträge?
Dieterle: Ja. Konkrete Projekte wie die europaweite Einführung der digital kodierten Verkehrsinformation, fahrerunterstützende Techniken wie ABS oder automatische Stabilisierungssysteme in den Fahrzeugen haben zum Ziel, den Strassenverkehr effizienter, sicherer und flüssiger zu machen.
Lässt sich das Zusammenspiel von öffentlichem und privatem Verkehr mit den Stichworten Taktfahrplan, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit noch verbessern?
Dieterle: Öffentlicher und privater Verkehr haben beide grosse Stärken, aber auch erhebliche Schwächen – glücklicherweise an unterschiedlichen Orten. Die Kunst einer guten Gesamtverkehrskonzeption ist, die Vorteile der einzelnen Verkehrsträger und Verkehrsarten optimal miteinander zu kombinieren. Hier gibt es gewiss noch erhebliches Verbesserungspotenzial. Auch die Politik wird diesbezüglich noch stark gefordert sein.
Kann sich das schweizerische Nachtfahrverbot als Eckpfeiler unserer Verkehrspolitik noch lange halten?
Dieterle: Das Nachtfahrverbot für Lastwagen ist gesetzlich verankert und geniesst eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Es steht für uns nicht zur Diskussion.
Ist angesichts der bestehenden und noch zunehmenden Fahrzeugdichte eine
noch effizientere Verkehrsabwicklung denkbar?
Dieterle: Ein effizientes Verkehrsmanagement kann hier sehr viel bewirken. Im Zuge des neuen Finanzausgleichs – also mit dem Übergang der Nationalstrassen von den Kantonen an den Bund – wird auch die Verantwortung für das Verkehrsmanagement auf den Nationalstrassen an den Bund übergehen. Die nationale Verkehrsmanagementzentrale in Emmen bei Luzern, die sich im Aufbau befindet, wird für das operative Verkehrsmanagement auf den Nationalstrassen zuständig sein. Von verbesserten Streckenausrüstungen und einem stark verbesserten Zusammenarbeiten der Verkehrsmanagement-Systeme erwarten wir zusätzliche positive Effekte für den Verkehrsfluss.
Wird gegen den Zwangsstopp des Lastwagenverkehrs bei Überlastung der Gotthardachse international nicht opponiert?
Dieterle: Das seit 2002 angewendete Tropfenzählersystem ist international als gutes und sicherheitsförderndes System weitgehend akzeptiert. Abgesehen von einer gewissen Bevorzugung des Binnenverkehrs – dem sogenannten S-Verkehr, der in der heutigen Form durch die EU toleriert
wird –, ist es für das Verhältnis mit den umliegenden Staaten entscheidend, dass die Ausländer nicht diskriminiert werden. Darauf achten wir genau.
Seit geraumer Zeit steht das Astra auch im Brennpunkt bei der Bekämpfung der Umweltbelastung. Belastet Sie diese Aufgabe und haben Sie die notwendigen Kompetenzen, um Erfolge zu erzielen?
Dieterle: Die Menge der durch den Strassenverkehr emittierten Luftschadstoffe hat in den vergangenen Jahren enorm reduziert werden können. Wir sind also auf einem sehr guten Weg. Die Treibhaus- sowie die CO2-Problematik stellen die grösste Herausforderung dar. Die Diskussion um die Klimaerwärmung lässt niemanden kalt. Eine klimafreundliche Mobilität macht alternative und innovative Antriebskonzepte nötig; hier können Politik und die Industrie Wesentliches beitragen. Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um den Zielen des Bundes in der Klima- und Umweltpolitik zum Durchbruch zu verhelfen. Dem Nachhaltigkeitsgebot lebt das Astra sowohl im Nationalstrassenbau wie bei den Vorschriften zur Ausrüstung von Fahrzeugen nach. Astra-intern leisten wir einen konkreten Beitrag zum Klimaschutz, indem wir einen Teil unserer Fahrzeugflotte mit Hybridautos bestücken und unsere Auslandreisen auf ein notwendiges Minimum beschränken.
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Rudolf Dieterle, Direktor des Bundesamtes für Strassen: «Wir müssen die Vorteile der einzelnen Verkehrsträger kombinieren.»
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Steckbrief
Name: Rudolf Dieterle
Geboren: 1950
Beruf: Bauingenieur ETH
Funktion: Direktor des Bundesamtes für Strassen (Astra), Bern-Ittigen
Familie: Verheiratet, vier Kinder
Hobbys: Sport, Pflege eigener Garten
Karriere:
- 1973 Diplom als Bauingenieur an der ETH Zürich
- 1974–1981 Assistent und Doktorand am Institut für Baustatik und Konstruktion ETHZ. Parallel zu dieser Tätigkeit Studium an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich
- 1979 Abschluss der Studien an der Uni Zürich mit dem Lizenziat
- 1981 Doktorexamen ETHZ. Suiselectra (Bauabteilung)
1982 Wechsel zur Techdata AG, Basel, Geschäftsleiter. Ab 1987 Delegierter des VR und Vorsitzender der Geschäftsleitung der Techdata
- 1998 bis April 2003 Berner Kantonsoberingenieur (Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern)
- Seit Mai 2003 Direktor des Bundesamtes für Strassen
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Fachbehörde
Seit seiner Gründung 1998 ist das Bundesamt für Strassen (Astra) die Schweizer Fachbehörde für die Strasseninfrastruktur und den individuellen Strassenverkehr. Im Verantwortungsbereich des Eidgenössi-schen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) wirkt es für eine nachhaltige und sichere Mobilität auf der Strasse. Im Mittelpunkt steht folgendes Ziel: Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Nationalstrassen- und Hauptstrassennetzes.