Der Knalleffekt kam im Mai. Verteidigungsministerin Viola Amherd dampfte den Pflichtanteil der Gegengeschäfte bei der Beschaffung neuer Kampfjets ab 2025 dramatisch ein. Nicht mehr das Kompensieren von 100 Prozent der Beschaffungskosten ist das Ziel, sondern nur noch von 60 Prozent – und davon sollen lediglich 20 Prozent direkt zur Konstruktion des Rüstungsguts zusammen mit Schweizer Firmen beitragen.
Alles, was nicht im Konnex mit Fliegern, Panzern, Raketen und Radars steht, hat Amherd mehr oder weniger aus den Offset-Bestimmungen gestrichen. Entgegen den Wünschen und Kompetenzen der Schweizer Maschinenbauer, Elektrotechniker, Autound Luftfahrtzulieferer bis hin zu Uhrenherstellern sollen nur noch jene Firmen zum Zug kommen, welche in der Wehrtechnik zu Hause sind. Amherd geht damit auf Konfrontationskurs mit der heimischen Industrie.
Nun, nach einigen Wochen Klausur, geht diese in die Offensive: «Wir nehmen den Entscheid nicht hin», sagt Swissmem-Geschäftsleitungsmitglied Ivo Zimmermann. Man werde weitere Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten. «Es geht dabei nicht um Schnürsenkel oder Cateringunternehmen.» Sondern etwa um so relevante Branchen wie die «Raum- und Zivilluftfahrt». Die Industrie bangt nach Amherds Solo um Know-how, Standortvorteile, Technologietransfers und Jobs.
Alle Regionen sollen zum Zug kommen
Ausserdem befänden sich laut dem Industrieverband Swissmem Firmen, die die Vorgaben Amherds erfüllen können, fast ausschliesslich in der Deutschschweiz. Und das, obwohl in der Offset-Politik des Verteidigungsdepartements (VBS) von Anfang Jahr klar definiert ist, welche Regionen zum Zug kommen sollen – nämlich alle. Nebst den 65 Prozent der an Offsets beteiligten Firmen aus der Deutschschweiz sind das 35 Prozent aus der Romandie und 5 Prozent aus dem Tessin.
Doch unter der neuen Praxis dürfte das kaum funktionieren: «Wenn man die regionale Verteilung berücksichtigen will, muss man auch jene Offset-Geschäfte zulassen, die keine sicherheitsrelevante Technologie- und Industriebasis umfassen», kritisiert Swissmem die VBS-Chefin frontal.
Bislang waren bei Rüstungskäufen 100 Prozent Offset das Ziel. VBS-Chefin Viola Amherd (Bild) reduzierte auf 60 Prozent. Zwei Arten gibt es: Firmen direkt an der Herstellung beteiligen oder Güter ohne direkten Konnex mit dem Rüstungsgut liefern.
Kompensationsgeschäfte sind im inter- nationalen Vergleich keine Besonderheit, sondern der Regelfall. Insbesondere der Zugang zu international tätigen Grosskonzernen, welcher ohne Offset nicht möglich ist, wird als Hauptargument genannt.
Offsets für Abstimmung wichtig
Aus Sicht der Industrievertreter zählt eben nicht nur die wirtschaftliche Komponente. Vielmehr ist diese mit der politischen eng verwoben: Wenn nicht Kantone und Wirtschaft aller Landesregionen geschlossen hinter dem Vorhaben stehen, habe eine Volksabstimmung zugunsten neuer Kampfflugzeuge keine Chance.
Damit setzt der Verband voll auf die politische Karte und die Angst vor einem Desaster an der Urne: «Ohne Aussicht auf eine adäquate wirtschaftliche Beteiligung aller Landesteile werden wichtige Teile der Industrie die Beschaffungsvorlage kaum aktiv unterstützen.» Sprich: Gibt es keine indirekten Industriebeteiligungen für das Tessin, dürfte es schwierig werden, dort ansässige Kantonsvertreter bis hinunter zur Bevölkerung für eine positive Abstimmung zu gewinnen.
Die knappe Replik des Departements: «Wir sind zuversichtlich, dass die Vorgaben zur regionalen Verteilung trotzdem erfüllt werden können.» Die aktuellen Kompensationsvorgaben würden dafür reichen.
Das Hauptargument des VBS für das enge Korsett lautet: Kompensationsgeschäfte würden Beschaffungen ohnehin verteuern. Dem widerspricht die Swissmem nicht einmal. Allerdings stünden Mehrkosten von 2 bis 5 Prozent Steuerrückflüssen von gut Prozent gegenüber. «Mehrkosten werden durch die Steuerrückflüsse fast vollständig neutralisiert», heisst es in einer Studie der Uni St. Gallen. Die Realität ist: Zwischen VBS und Swissmem herrscht nun ein Zahlenkrieg um Kosten und Nutzen von Gegengeschäften.
Keine Subventionierung mit der Giesskanne
Die erste Verteidigungsministerin der Schweiz bleibt dabei eisern. Sie konzentriert sich auf das Rüstungsbudget und will Wirtschaftsförderung ausserhalb ihres Zuständigkeitsbereichs vermeiden. Dabei stützt sie sich auf den sogenannten Grüter-Bericht.
Der Studienautor und Ex-Chef der Eidgenössischen Finanzkontrolle, Kurt Grüter, kritisiert darin die willfährige Auftragspolitik für die Wirtschaft im Zusammenhang mit Rüstungsbeschaffungen in der Vergangenheit. Seine Empfehlung: «Bund und Swissmen müssen sich systematischer mit der sicherheitsrelevanten Technologie- und Industriebasis auseinandersetzen.» Ohne inhaltliche Vorgaben drohe die Subventionierung der Industrie mit der Giesskanne.
Geballte Macht der USA
Schützenhilfe kommt von den Herstellern selbst. Sie mussten Vorschläge zu möglichen Gegengeschäften einreichen. Und das so konkret wie möglich: welche Produkte, welche Branchen, welches Potenzial. Zwei von nunmehr vier Wettbewerbern – Saab als fünfter nahm nicht an den Testflügen im Juni teil und ist fürs Erste aus dem Rennen – sind US-Hersteller. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein US-Lieferant den Zuschlag bekommt, ist damit auf 50 Prozent gestiegen. Ein Besuch von Bundespräsident und Ex-Verteidigungsminister Ueli Maurer bei seinem Amtskollegen Donald Trump in den USA im Mai könnte zusätzlich für Rückenwind für US-Hersteller gesorgt haben. Maurer war bei Trump, um ein Freihandelsabkommen aufzugleisen.
Dass Offset-Geschäfte für Kampfflieger aus US-Produktion in diese politischen Verhandlungen mit einfliessen, kann das VBS zwar weder dementieren noch bestätigen: «Über ein allfälliges politisches Entgegenkommen der Anbieterländer kann derzeit nichts gesagt werden.» Nach den ersten Testflügen in Payerne weiss man aber, dass vom US-Hersteller Lockheed Martin Fahrwerke und Teile des Verdecks im Fall eines Zuschlags in der Schweiz hergestellt würden. «Die Gespräche dazu laufen mit einigen Schweizer Industriefirmen», sagt ein Sprecher.
Auch Boeing führt derlei Gespräche. Der US-Konzern verpflichte sich, «ein hohes Mass an operativer Autonomie innerhalb der Schweizer Industrie zu schaffen, die allen geografischen Regionen des Landes zugutekommt». Bereits beim Kauf älterer Modelle hatte Boeing «mit der Schweizer Industrie ein Programm im Wert von 1,3 Milliarden Dollar umgesetzt», sagt eine Sprecherin. «Mehr als 340 Schweizer Firmen haben profitiert.» Das bestehende Geschäft wolle Boeing nun intensivieren.
Freilich sind das nur Absichtserklärungen, die für gute Stimmung sorgen. Dennoch klingt das mehr nach der Bereitschaft, indirekte Industriebeteiligungen zu forcieren, als Amherd vielleicht lieb ist. Und es zeigt, wie wichtig die Offset-Verhandlungen für den politischen Entscheid sind. Es würde nicht überraschen, wenn die Frage der Gegengeschäfte für Fliegen oder Nichtfliegen des neuen Jets entscheidend wird.