Herr Meyer, das neue Motto der SBB lautet «Bahn im Griff und Zukunft gestalten». Wie bekommen Sie das Sitzplatz-Problem in den Griff?
Andreas Meyer: Wir werden unsere Prognosesysteme zur Sitzplatzbelegung Schritt für Schritt weiterentwickeln. Dazu bräuchten wir idealerweise die Mobilitätsdaten unserer Kunden. Wenn wir etwa wüssten, dass jemand morgens von A nach B möchte, könnten wir besser prognostizieren, wie viele Leute auf dem Zug sind. So könnten wir Empfehlungen machen für die flexiblen Kunden. Auf längeren Strecken empfehlen wir mehr und mehr zu reservieren. Dass jemand, der nach Mailand fährt, auf dem Koffer im Gang sitzen muss, ist nicht zumutbar.

Die öV-Branche verspricht, dass das Reisen ab 2020 einfacher wird. Wie konkret?
Wir arbeiten ständig am Vereinfachen des Reisens. So bringen wir neue Ticket-Formen aufs Handy. Dank einer neuen Funktion in der App muss der Passagier nicht mehr im Vornherein ein Ticket kaufen, sondern kann lediglich einen Knopf auf dem Handy betätigen beim Ein- und Aussteigen.

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Sie geben dank den Ersparnissen durch das Programm RailFit20/30 Vergünstigungen in Höhe von 50 Millionen Franken den Kunden weiter – etwa in Form von Gutscheinen oder der neu günstigeren Telefon-Hotline. Möglich sind diese Senkungen nur auf Kosten eines Stellenabbaus.
Das RailFit-Programm machen wir, um mehr Handlungsspielraum zu erhalten. Wir spüren, dass die Kunden ein besseres Preis-Leistungsverhältnis verlangen. Gleichzeitig kommen wir auch von Seiten der Besteller – Bund und Kantone – unter Druck. Deshalb gibt es keine Alternative. Wenn ein Abbau nötig ist, erfolgt dieser sozialverträglich und wenn möglich über die natürliche Fluktuation sowie Pensionierungen. Zudem gibt es Berufsgruppen wie Lokführer, Zugbegleiter und Informatiker, die wachsen werden.

Dank den genannten Vergünstigungen sollen Sparbillette bis zu 70 Prozent günstiger werden. Haben Sie da ein bestimmtes Kontingent?
Die sind natürlich nicht unlimitiert. Wie viel von den Verbilligungen in der Höhe von 50 Millionen Franken in Sparbillette fliesst, kann ich derzeit nicht genau sagen.

SBB Medienkonferenz

Trend zu digitalen Tickets: An der Bilanzmedienkonferenz der SBB erklärt CEO Meyer, das Reisen weiter zu vereinfachen.

Quelle: Keystone

Am Montag hat die Konkurrentin BLS einen Rekordumsatz bei Cargo verkündet. Warum schaffen das die SBB nicht?
BLS-Cargo ist vergleichbar mit unserer internationalen Cargo. Und da verzeichnen wir Rekordergebnisse – trotz dem Unterbruch von Rastatt. Was Umsatz und Ergebnis angeht sind wir der BLS-Cargo sogar eine ordentliche Nasenlänge voraus.

Der Bundesrat fordert Veränderungen im Verwaltungsrat von SBB Cargo. Etwa, dass Sie das Präsidium abgeben. Wie stehen Sie dazu?
Wir haben vor Jahren dem Bund empfohlen, dass wir unsere Beteiligung an SBB-Cargo auf eine Minderheits-Beteiligung zurückfahren. Damit wäre nicht nur die Öffnung des Verwaltungsrats verbunden gewesen, sondern auch das Präsidium. Jetzt hat man einen politischen Kompromiss gemacht und will Cargo bei den SBB belassen.

Aber werden Sie weiterhin Präsident bleiben?
Wir werden die Vorgaben des Bundes selbstverständlich umsetzen und voraussichtlich 2019 auch einen neuen Verwaltungsratspräsident einsetzen, abhängig von der Entwicklung des Sanierungs- und Weiterentwicklungsprogramms sowie des Fortschritts in der Partnerschaftsstrategie. Die Rolle als VR-Präsident ist heute rein formal. Ich führe ja nicht als VR-Präsident sondern als Konzernchef. Und das wird bleiben.

Der Bund macht nicht nur Druck auf Cargo, das Bundesamt für Verkehr (BAV) treibt die Liberalisierung des gesamten öffentlichen Verkehrs voran. Geht das Ihnen zu schnell?
Es sind vor allem viele Felder der Liberalisierung gleichzeitig in Diskussion: Der internationale Bahnverkehr, der Fernverkehr, die Fernbusse und sogar die Öffnung des Vertriebs. Es fehlt aber das Gesamtbild, wohin das führen soll. Wenn man etwa eine Linie aus der Fernverkehrskonzession herausnimmt, dann zerstört das Synergien. Andere Unternehmen, die vom Ausland in die Schweiz drängen, werden sich natürlich auf die lukrativen Linien stürzen. Und irgendjemand muss dann den Rest noch fahren.

Andreas Meyer

Andreas Meyer ist 1961 in Basel geboren und hat an den Universitäten in Basel und Freiburg Rechtswissenschaften studiert. Er machte das Anwaltspatent und erwarb sich später an der französischen Business School INSEAD den MBA. Von 1997 bis 2006 arbeitete Andreas Meyer in verschiedenen Positionen bei der Deutschen Bahn AG. Seit dem 1. Januar 2007 ist er CEO der SBB AG. Andreas Meyer ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in der Nähe von Bern.

Andreas Meyer
Quelle: Keystone

Sie könnten aber auch ins Ausland expandieren.
Wir Schweizer Unternehmen haben kein Risikokapital, womit wir ins Ausland expandieren könnten. Wir kommen da eher in die Defensive. Aus meiner Sicht fehlt die ganzheitliche Betrachtung der möglichen Auswirkungen. Und die können recht einschneidend sein. So könnte es sein, dass wir eines Tages keine eigenen starken Verkehrsunternehmen mehr haben. Oder die Verkehrsbetriebe in einer Kooperation mit ausländischen Unternehmen gedrängt werden.

Das wird ja das BAV kaum beabsichtigen.
Wenn man unter Kenntnis der Risiken und Nebenwirkungen den Fernverkehr und internationale Verkehr auseinandernehmen will, dann ist das eine politische Entscheidung. Aber: Andere Länder würden sich die Finger lecken für ein solch erfolgreiches integriertes Bahnsystem. Dies aufs Spiel zu setzen, muss gut überlegt sein.

Wenn nun das BAV im Sommer der BLS die Konzession für gewisse Fernverkehrsstrecken erteilt, was tun Sie dann?
Ich glaube wir haben ein gutes Angebot abgegeben und haben aufgezeigt, wie wir qualitativ hochwertig fahren und weitere Preisreduktionen anbieten können. Ich bin also recht optimistisch, dass wir den Fernverkehr weiterhin fahren können. Sollte es anders kommen, müssen wir dann schauen, was entschieden wird und aus welchen Gründen. Es gibt ja eigentlich gar keine rechtliche Grundlage für ein solches Wettbewerbsverfahren. Ich bin sehr gespannt, wie das Bundesamt die Aufspaltung des Fernverkehrs begründen würde.

Die Affäre um Postauto löste im Parlament Diskussionen aus um die bundesnahen Betriebe. Fürchten Sie negative Konsequenzen?
Die Postauto-Affäre hat Auswirkungen auf alle bundesnahen Unternehmen und auf alle im öffentlichen Verkehr. Da wird man in Zukunft genauer hinsehen. Wir haben jedoch nichts zu verbergen. Wir führen die Unternehmen mit sehr differenzierten Zielen. So haben wir im Regionalverkehr etwa keinen höheren Gewinn gemacht, sondern den Kostendeckungsgrad erhöht. Und wenn wir Gewinn machen, wird dieser in eine zweckgebundene Reserve gesteckt. Aber ich glaube, dass es schon noch grössere strukturelle Diskussionen geben wird. Welche Funktionen kommen dem Eigentümer zu, welche dem Besteller? Wer kontrolliert? Ich vermute, dass die subventionsrechtliche Prüfung, die bisher das BAV gemacht hat, in die Hände von unabhängigen Wirtschaftsprüfern gelegt wird.

Sie nehmen Ende Mai ein zweimonatiges Sabbatical. Was haben Sie vor?
Meine Tage sind von morgens bis abends durchgetaktet. Nach elf Jahren als SBB-CEO tut es gut, einmal tun zu können, was ich will, ohne Termindruck. Ich werde Zeit mit meinen Eltern, meinen Freunden und meiner Familie verbringen. Ich freue mich darauf, auch mal am Morgen los zu gehen, ohne zu wissen, wo ich am Abend sein werde.