Ein Gedankenspiel: Homer und Lisa Simpson stranden auf einer einsamen Insel. Um zu überleben, fangen sie vormittags Fische und sammeln nachmittags Kokosnüsse. Die pfiffige Teenagerin bringt es dabei auf vier Palmenfrüchte und zwei Fische; der tumbe Vater kommt gerade mal auf die Hälfte. Pro Tag können die Simpsons also neun kleine Mahlzeiten verputzen. Doch die Ration lässt sich durch einen einfachen Trick steigern: Lisa pflückt nur noch Kokosnüsse und Homer geht ganztägig auf Fischzug. Dadurch steigt die Tagesproduktion auf acht Kokosnüsse und zwei Fische, also insgesamt 10 Essens-Einheiten. Der Output der Robinsonwirtschaft ist um ein Zehntel gestiegen.

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Dies ist stark vereinfacht David Ricardos Theorie vom so genannten komparativen Vorteil: Handel treibende Länder sollten sich auf jene Güter konzentrieren, deren Produktion sie am besten beherrschen selbst wenn das mitunter dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheint. Homer Simpson etwa könnte argumentieren, dass es mehr Sinn macht, Kokosnüsse zu sammeln schliesslich kommt er auf zwei Früchte aber nur einen Fisch pro Tag. Doch im Vergleich (Komparation) mit Lisa reicht selbst das nicht.

Das aktuelle Wirtschaftsleben liefert reichlich Beispiele dafür, wie Länder versuchen, ihren komparativen Vorteil auszuspielen. So bauen europäische Consultants derzeit fieberhaft Software-Entwicklungszentren in Osteuropa oder Indien auf die wiederum westliche Firmen in den Ruin treiben.

Ricardo würde dieses so genannte Offshoring begrüssen. Aus seiner Sicht wäre nicht entscheidend, dass im Westen besser programmiert wird. Der komparative Vorteil der Europäer gegenüber den Indern liegt darin, dass sie über mehr Kapital verfügen. Sich mit anderen Dingen als dem reinen Investieren zu beschäftigen, wäre aus Ricardos Sicht Unsinn.

Mit Investments kannte sich der britische Ökonom aus. Ricardo war Börsenhändler, und zwar ein extrem erfolgreicher. Im Alter von 30 Jahren belief sich sein privates Vermögen schon auf 700000 Pfund ein Millionenbetrag nach heutigem Wert. Sein grösster Coup: Im Juni 1815, kurz bevor Napoleons Truppen mit denen Wellingtons zusammenstiessen, kaufte er britische Staatsanleihen. Nachdem der französische Feldherr in Waterloo vernichtend geschlagen wurde, legten die Papiere um 13,5 Punkte zu. Aus heutiger Sicht klingt das nach Peanuts; doch seinerzeit war das ein gigantischer Kurssprung.

Turbulente Zeiten

Der junge Broker Ricardo lebt in turbulenten Zeiten. In Frankreich tobt die Revolution. Die beginnende Industrialisierung erschüttert seine Heimat England. In Manchester werden 50000 protestierende Arbeiter von Soldaten brutal niedergeknüppelt. Zunächst steht Ricardo, Sohn jüdischer Einwanderer und ohne akademische Ausbildung, den Dingen passiv gegenüber. Er beobachtet, und nutzt die Umstände zu seinen Gunsten aus.

Mit Anfang 40 das Finanzgenie hat zu diesem Zeitpunkt schon finanziell ausgesorgt stösst er durch Zufall auf Adam Smiths «Wohlstand der Nationen». Das Interesse für Ökonomie ist geweckt. Ricardo beginnt, wirtschaftswissenschaftliche Aufsätze zu verfassen und mischt sich in die öffentliche Diskussion ein. Schnell gewinnt der brillante Analytiker Anhänger, darunter den berühmten Ökonomen Malthus, den der Börsenfuchs fortan mit Aktientipps versorgt (Malthus übrigens bekam vor Waterloo kalte Füsse und verkaufte seine britischen Staatsanleihen).

Wie sein grosses Vorbild Adam Smith tritt Ricardo entschieden für freien Handel ein. Wirtschaftsblockaden als Mittel der Kriegsführung lehnt er ab.

Berüchtigtes Lohngesetz

Berühmt, oder auch berüchtigt, ist daneben sein ehernes Lohngesetz: Demnach sei der Lohn eines Arbeiters optimal, wenn er nur das Existenzminimum sichert. Denn zahle man den Erwerbstätigen mehr, wüchse die Bevölkerung, Lebensmittel würden knapp und das Elend steige, argumentierte Ricardo. In den Ohren des heutigen Publikums mag das harsch klingen. Dem Ökonomen, im Privatleben übrigens spendabler Philanthrop, erschien das nur logisch.

Neu an dieser Theorie war vor allem ihr Pessimismus: Anders als Smith sah Ricardo das Wirtschaftsleben nicht als harmonischen Ringelpietz, sondern als Kampf verschiedener Klassen gegeneinander an: Arbeiter, Kapitalisten, Grundbesitzer, jeder gegen jeden. Diese düstere Auffassung hat dazu geführt, dass ausgerechnet der Börsenmakler Ricardo als Wegbereiter des Marxismus gilt.

Doch das passt zu einem Mann, dessen Leben stets voller Widersprüche war. Ein weiteres Beispiel: Grossgrundbesitzer spielten in Ricardos Werken immer die Rolle der Bösen. Ihre Einkünfte aus Verpachtung des Bodens kämen keiner anderen Klasse zu gute, wetterte er, während die Kapitalisten mit ihrem Gewinn wenigstens expandierten und neue Arbeitsplätze schafften. All diese Tiraden hielten Ricardo allerdings nicht davon ab, nach seiner Frühverrentung in Gloucestershire das riesige Anwesen Gatcombe Park zu erwerben. Hier residiert heute Prinzessin Anne, die Tochter der Queen.

Sein Lohngesetz mag sich überlebt haben, doch eines hat Ricardo eindrucksvoll bewiesen: Ein Ökonom muss nicht wie es im Sprichwort heisst ein armer Mann sein, der mit seinen Ratschlägen reiche Männer in den Bankrott treibt.

Bereits erschienen:Adam Smith: Gegen Zölle und Protektionsimus, «HandelsZeitung» Nr. 27. Lesen Sie nächste Woche:Karl Marx.



Zitate: Das würde Ricardo sagen...

... zu Unternehmen, die Mitarbeiter entlassen und Rekordgewinne einfahren: «Es gibt keinen anderen Weg, die Profite zu erhöhen, als die Löhne zu senken.»

... zum Ausufern des Sozialstaats: «Wenn jeder Mensch, der Unterstützung benötigt, sicher sein könnte, sie zu erhalten und zwar in einem Ausmass, dass dadurch sein Leben angenehm wird ... dann würde die Anstrengung des Arbeiters sich allein darauf richten, Unterstützung zu erlangen.»

... zum Euro-Stabilitätspakt: «Weder eine Bank noch ein Staat mit der unbeschränkten Macht, Papiergeld zu drucken, hat diese nicht missbraucht. »



David Ricardo - der «Ökonom der Ökonomen»

David Ricardo wird 1772 in London als Sohn jüdischer Einwanderer geboren. Die gut laufenden Geschäfte des Vaters, eines Börsenhändlers, ermöglichen eine behütete Kindheit. Damit der junge David rasch in die väterlichen Fussstapfen treten kann, lässt man es mit einer rudimentären Schulbildung bewenden. Mit nur 14 Jahren betritt der Teenager das Börsenparkett und tut sich schon bald als erfolgreicher Broker hervor.

Das gespannte Verhältnis zum autoritären Vater explodiert endgültig, als Ricardo im Alter von 21 Jahren zum Christentum konvertiert, um eine junge Quäkerin heiraten zu können. Fortan steht der Filius auf eigenen Füssen.Mit geborgten 800 Pfund beginnt Ricardo seine eigenen Börsengeschäfte, die rasch florieren. Die zufällige Lektüre von Adam Smith weckt sein ökonomisches Interesse. Ricardos erste eigene Publikation ist ein Leserbrief an den «Morning Chronicle». Der Redaktor ist vom Sachverstand des Börsianers so angetan, dass er ihn zum Kolumnisten macht. Ricardo schliesst Bekanntschaft mit den hellsten Köpfen seiner Zeit.

1814, mit nur 42 Jahren hat Ricardo finanziell ausgesorgt. Er zieht mit seiner Familie auf einen herrschaftlichen Landsitz und kauft sich einen Platz im Parlament. Hier wettert er vor allem gegen Strafzölle auf importiertes Getreide, die so genannte Corn Laws. Ricardo provoziert und polarisiert. Glühende Bewunderer und erbitterte Feinde halten sich zeitlebens die Waage.

Nach einer Reise durch Europa befällt Ricardo ein Ohrenleiden, das schnell in den Kopf vordringt. Am 11. September 1823 verstirbt der «Ökonomon der Ökonomen», wie ihn der deutsche Gelehrte Schumpeter später nennen wird, nur 51-jährig.