Wie im Googleplex siehts hier nicht aus. Keine Rutschbahn, keine Seilbahngondel für Breakout Sessions. Abgesehen von einem Billardtisch deutet am Hauptsitz von Galaxus. de nichts auf Gamechangerei hin. Essen ist auch nicht umsonst. Ein Leibniz-Cracker als Brainfood: 80 Cent.
Unauffällige Flure sind Trumpf an der Schützenstrasse 5 in Hamburg-Ottensen, hinter Glasfronten liegen propere Büroräume. Statt als E-Commerce-Raketenbasis könnte diese mittelprächtige Bürolandschaft ebenso gut als Home Turf des Sparkassenverbands Niedersachsen dienen, Kreditorenabteilung.
Der bescheidene Auftritt passt zur Art, wie Galaxus. de am 1. November in Deutschland startete. Im Markt, wo der Auftritt laut und die Werbebanner grell sind, geht Galaxus.de «süferli» ans Werk. «Beta» schreiben die Schweizer auf ihrer Website, Testmodus.
Keine TV-Werbung, keine Sandwich-Männer am Jungfernstieg, kein Pop-up-Store am Museumshafen Övelgönne. «Wir legen jetzt einfach mal los und müssen den Nachweis erbringen, dass es das Kundenpotenzial gibt, auf das wir es abgesehen haben», sagt Frank Hasselmann, Steuermann von Galaxus.de.
Hier spricht kein Rockstar des E- Commerce. Hasselmann, 40, zuletzt aktiv für den Industriekonzern Linde, ginge problemlos als Jugendsozialberater einer protestantischen Landeskirche durch.
Doppelte Glanzleistung verlangt
Der Mann aus Bremen, verheiratet, Vater dreier Kinder und Freizeit-Jogger, muss eine doppelte Glanzleistung vollbringen. Er soll Galaxus.de zum Erfolg verhelfen in einem Land, dessen E-Commerce-Geschäft von einem Business-Bärentöter dominiert wird: Amazon.
Und er muss die Migros von ihrer Ausland-Paralyse (siehe «Migros in Deutschland») befreien. «Irgendwann Anfang 2018», sagt Hasselmann, habe er erstmals vom «Österreicherloch» gehört. «Es wäre naiv zu sagen, dass kein Druck herrscht, und es ist mir nicht egal. Aber dieser Druck ist nicht täglich präsent.»
Amazon saugt das Wachstum ab
Täglich präsent hingegen ist die heutige und künftige Dominanz von Amazon. Der US-amerikanische Aggressor krallt sich grosse Teile des Wachstums: «Der Online-Markt in Deutschland ist 2017 zwar um 5,5 Milliarden Euro gewachsen», sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH Köln), «doch von diesem Zuwachs entfielen 68 Prozent auf Amazon und seinen Marketplace.»
Neuankömmlinge, sagt Hudetz, «gehen durch ein Stahlbad. Sie sind jedoch nicht ohne Chancen.» Hudetz sieht Amazon.de als seelenlosen Riesen: «Amazon ist eine funktionierende Grossmaschine mit einem Angebot von 300 Millionen Produkten. Die Firma hat sehr loyale Kunden, aber keine Fans.» Hier müssten die Schweizer einhaken: «Wenn sich Galaxus. de als sympathischer Problemlöser zeigen und die Schweizer Kanalexzellenz auf Deutschland übertragen kann, gibt es eine Chance.»
Sukkurs erhält Hudetz von Joël Kaczmarek, Chefredaktor der Fachpublikation «Digital kompakt» und Herausgeber des «Amazon Watch»- Reports, einer Analyse zur «realen Marktdominanz von Amazon»: «Es gibt aktuell ein Momentum gegen Amazon, das man nutzen kann.» Der Riese werde «als zu gross, zu brutal, zu unterdrückerisch wahrgenommen».Hasselmann macht sich Mut: «Amazon wird auf längere Zeit ein grosses Tier bleiben. Amazon kann riesengross sein – und wir daneben gross werden.» Aber wie will Galaxus.de das Momentum nutzen? Und warum ist Hasselmanns Mannschaft, derzeit sind es zehn Köpfe, 2019 sollen es zwanzig werden, so leise?
Von 40'000 auf 200'000 Artikel wachsen
Entgegen der Digital-Devise «done is better than perfect» will Hasselmann zunächst sicher sein, dass alles funktioniert: «Ein einziges Mal war die Website fünf Minuten lang down. Sonst ist bisher gar nichts schiefgelaufen.»
Man startet mit einem Elektronik-Sortiment. Zurzeit, sagt Hasselmann, «haben wir 40'000 Artikel auf der Plattform; 2019 wollen wir an 200'000 rankommen.» Es solle nicht eine Produktelawine auf die Kunden niederrasseln, man wolle die User am Händchen nehmen, fast wie im Laden: «Indem wir die Community einbinden und redaktionelle Inhalte offerieren, bietet Galaxus.de online ein stationäres Erlebnis.»
Sobald Galaxus.de im Elektronik-Sortiment tief und breit vertreten sei, würden weitere Angebote lanciert: «Auf Elektronik werden Haushalt, Baumarkt und Spielwaren folgen, ungefähr ab 2020. Galaxus.de will ein Vollsortimenter sein.» Zurückhaltend gibt sich Hasselmann zu Umsatzzielen.
Hohe Zielmarke gesetzt
Aber mit dem Ausspruch, in Deutschland zur Nummer fünf im E-Commerce werden zu wollen, wurde eine Marke gesetzt. Platz fünf im deutschen E-Commerce-Markt wird aktuell von Mediamarkt.de mit einem Umsatz von 734 Millionen Euro gehalten. Bis wann Galaxus.de diese Marke knacken soll, sei nicht definiert, sagt Hasselmann.
Erstaunlich, dass die Schweizer, die so leise und vorsichtig starten, ein so hohes Ziel legen und die sogar öffentlich kommuniziert haben. Warum diese Ansage? «Das soll deutlich machen, was unser Anspruch ist», sagt Hasselmann. Ist es sein persönlicher Anspruch oder eine Ansage aus der Schweiz? Beides, sagt Hasselmann: «Diese Ansage stammt von Galaxus Schweiz und Deutschland.»
Teure Kundengewinnung
Aufgrund der ambitionierten Zielvorgabe erstaunt es, dass Galaxus.de bisher kaum die Werbetrommel geschlagen hat im neuen Markt, wo kaum ein Konsument die Marke kennt. Wie lange kann es sich Galaxus.de leisten, so still zu sein?Kunden über Google Adwords und Preisvergleichseiten anzuwerben, ist teuer. Amazon etwa bindet über sein Loyalitätsprogramm Prime die Kunden: «Amazon reduziert mit Prime die Wechselwahrscheinlichkeit seiner Kunden dramatisch», sagt Hudetz, «und spart damit auch Geld in der Akquise.»
Ein solches Treuesystem würde sich aber mit dem Schweizer Galaxus-Kodex beissen, der besagt: Alle Kunden gleich behandeln. So sieht es auch Hasselmann: «In einem ersten Schritt folgen wir dem Schweizer Ansatz. Wir sind zwar bereit für Anpassungen, aber auch eine spätere Einführung eines Treueprogramms sehe ich nicht. Wir wollen alle Kunden gleich behandeln. Das hebt uns ab im Wettbewerb.» Mit der Gefahr, dass die Konkurrenz abhebt. Und Hasselmann in den Hammer läuft.
Wie Galaxus.de einen starken Kundenstrom generieren will, der täglich anbrandet, bleibt Hasselmanns Geheimnis. Noch lässt sich der Chef einiges offen. Ein Offline-Angebot, wie es Galaxus mit zehn Shops in der Schweiz hat? «Ich schliesse Läden in Deutschland nicht aus.»
Ein Offline-Netz mit den Migros-Töchtern Tegut und Depot? «Ich bin für jede Idee offen.» Galaxus-Sortimente auf Ebay? «Das könnte ich mir vorstellen, es hat aber keine Priorität.»
Affäre mit Amazon ausgeschlossen
Was sich Hasselmann überhaupt nicht vorstellen kann: mit Galaxus.de Teil des Marktplatzes von Amazon zu werden: «Dazu fehlt mir die Fantasie. Galaxus.de ist ein Gegenmodell zu Amazon. Da schliesse ich eine Affäre aus.»
Noch ist Galaxus.de in der Phase des «storming and norming», wie es Hasselmann nennt. Bald schon aber wird das «performing» wichtig. Hasselmann hofft auf Resultate, die sich durch die innige Begleitung der Kunden ergeben.
Die Migros zeigt mit dem Deutschland-Start ihrer 70-Prozent-Tochter Galaxus Mut. Lange Jahre hatte der orange Riese wenig Risikoappetit auf Handelsaktivitäten im Ausland. Hauptsächlicher Grund: das Waterloo in Österreich. Zwischen 1993 und 1995 verbrannte die Migros mit ihrem Engagement bei den Supermarktketten Familia und Konsum rund 300 Millionen Franken. Nach diesem Flop – intern als «Österreicherloch» bekannt – herrschte bezüglich ausländischer Handelsaktivität lange Migrosklerose. In jüngster Zeit wurde die Migros mit Handels- und Fitnessformaten etwas kecker in Deutschland. Erfolge stehen aber noch aus.
Migros-Supermärkte
Bis zu zwanzig Migros-Supermärkte wollte das Unternehmen einst in Süddeutschland eröffnen. Aber man kam nie recht vom Fleck. 2013 war Schluss. Die vier süddeutschen Supermärkte wurden aufgegeben.
Tegut
2012 wurde die Bioladenkette Tegut übernommen. Sie betreibt gegenwärtig 273 Märkte in Hessen, Thüringen und Bayern. Optimisten hoffen, dass es 2018 erstmals für einen Betriebsgewinn reicht.
Gries Deco
2009 stieg die Migros bei Gries Deco (Depot) ein. 400 der total 500 Filialen sind in Deutschland. Gemäss letzten Informationen fielen bei Gries Deco Verluste im zweistelligen Millionenbereich an.
Elements
Fitness in M-Sélection-Form: So der Plan der Migros Zürich seit 2011 mit aktuell sieben Elements-Zentren in München, Frankfurt und Stuttgart. Rote Zahlen plagen, Expansionspläne wurden gestutzt.
Migros.de
Seit 2007 betreibt die Migros-Tochter Chocolat Frey diesen Food-Online-Shop, der sich mit Schokolade und Kaffee profilieren will. Eher Versuchslabor als Gamechanger.
Amazon.de
Mit Amazon.de, dem Hauptfeind von Galaxus.de, hat sich die Migros längst angefreundet: Tegut arbeitet seit 2017 mit dem Aggressor zusammen. Die Migros vertreibt Hunderte ihrer Artikel über Amazon.de.
Preislich nah dran an Amazon
Nächstes Jahr wolle man weiter in die Community investieren: «2019 führen wir den Wiederverkauf ein. Galaxus.de-Kunden können also Produkte, die sie bei uns gekauft haben, über unsere Website weiterverkaufen. Das wird für das ganze Sortiment gelten.»
Mit den Preisen scheint Hasselmann bei den Leuten zu sein. Gleich zum Start griff sich «Computer Bild» zehn Elektronikartikel aus dem Galaxus.de-Sortiment heraus und verglich die Preise mit denjenigen von Amazon. Conclusio: «Der Preisunterschied war oft sehr gering, betrug im Einzelfall lediglich 1 Cent. Wenn man Amazons Marktmacht bedenkt, ist das eine kleine Sensation.»
Ein Schokoherz für den ersten Kunden
Eine Sensation war für Hasselmann der Verkauf des ersten Artikels über Galaxus.de: eine Logitech-Computermaus, Modell MX Vertical, kabellos, 95,90 Euro. Statt eines Pralinés von Chocolat Frey legte Hasselmann der Bestellung im Logistikzentrum Krefeld ein Lindt-Schokoherz bei. Und einen Brief: «From Krefeld with Love.»
Da freute sich Erstkunde Thomas ganz sicher. Und selbst wenn es stimmt, dass Frank Hasselmann die Website von Amazon «nur ein paar Mal pro Monat, mehr nicht» besucht, dürfte ihn dort etwas gefreut haben: Der Preis einer Logitech-Computermaus, Modell MX Vertical, kabellos: 95,90 Euro.