Es ist zum Verzweifeln. Die einen sind inkompetent, die anderen polemisch und die Dritten treibt eine politische Agenda. Christian Kälin redet sich ins Feuer, wenn er auf seine Gegner zu sprechen kommt. Und davon gibt es einige. Sie heissen EU, Global Witness, OECD, Tax Justice Network oder Transparency International. Sie alle wollen ihm das Geschäftsmodell zerzausen. Weil sie es partout nicht verstehen können oder wollen. Sagt Kälin.

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Sein Geschäft ist das Vermitteln von Staatsbürgerschaften und Immigrationsrechten, und zwar gegen Investitionen. Oder salopper gesagt: Pass gegen Cash. Dieser Tauschhandel erreicht mittlerweile ein Volumen von 3 Milliarden Franken, Tendenz steigend. Kunden sind Superreiche, die möglichst hürdenfrei durch die Welt reisen wollen und dort wohnen, wo es ihnen beliebt. «Reisefreiheit wird zum Schlüsselfaktor», schreibt die «Financial Times», gerade in Zeiten des Brexit.

Falsch, ätzen die Kritiker im Chor, es gehe nicht um visafreie Trips, sondern darum, mit Multi-Staatsbürgerschaften dem Fiskus, der Justiz und der Polizei ein Schnippchen zu schlagen. Und es gehe um den Wert einer Staatszugehörigkeit. Pässe von Nationen kaufen und sammeln wie schicke Oldtimer, das geht gar nicht. «So wird das Bürgerrecht zur Ware», warnt der Zürcher Staatsrechtler Daniel Thürer.

Diese exklusive Art der Immigration floriert. Gemäss Wealth Report der Beratungsfirma Knight Frank trägt heute bereits jeder Vermögende ab einer Million mindestens zwei Pässe in der Innentasche. Man ist mobil: Gegen 100 000 High Networth Individuals, wie die Millionäre unter Vermögensverwaltern heissen, wechselten 2017 ihre Heimat.

Es ist die Globalisierung, welche die Nachfrage treibt. Besonders gefragt sind Zweit-Staatsbürgerschaften unter Chinesen, Russen, Türken, Marokkanern, Kasachen, Saudis oder Bürgern aus Golfstaaten. Manche sind Unternehmer, Immobilien-Tycoons, Airline-Chefs oder Rohstoffhändler. Es geht auch um ihre Familien, um deren persönliche Sicherheit, um den Zugang zu Spitälern oder Elite-Universitäten im Westen.

Etwas Privatsphäre muss sein

Kälin ist Präsident der Kanzlei Henley & Partners. Sie ist Marktführerin im globalen «Residence and Citizen-Planning», wie es in der Firmenbroschüre heisst. Kälin ist aber viel mehr. Er gilt als Vordenker der Branche. Innert zwanzig Jahren hat er das Vermitteln von Staatsbürgerschaften und Immigrationsrechten professionalisiert und perfektioniert. Keiner weiss besser, was ein Pass oder eine Aufenthaltsbewilligung taugen und wie viel sie wo kosten. In einer fünfhundertseitigen Dissertation an der Rechtsfakultät der Universität Zürich hat er die Vergabe von Staatsbürgerschaften von der Antike bis in die Gegenwart analysiert. Dazu verfasst er serienmässig Broschüren und Bücher; sein «Global Residence and Citizenship Handbook» gilt als Standardwerk. Dessen Einleitung ziert ein Zitat von US-Präsident Benjamin Franklin: «Wo Freiheit ist, da ist meine Heimat.»

Henley & Partners ist überall zu Hause. Mittlerweile sind 300 Mitarbeiter in dreissig Büros rund um die Welt – von Antigua bis Vietnam – angestellt. Im Zürcher Seefeldquartier ist der Gruppensitz, doch Kälin, der Wohnungen in Zürich, Malta und in London hat, ist selten in der Schweiz. Meistens ist er unterwegs, visumsfrei. Denn er reist mit mehreren Pässen. Es dürften drei sein, mindestens. Er selber trägt nicht zur Klärung bei. «Etwas Privatsphäre muss sein.»

Zwei Dutzend Länder führen Staatsbürgerschaften im Angebot. Es sind meistens Kleinstaaten in Europa oder der Karibik, dazu Kambodscha, Jordanien, die Türkei. Die Preise bewegen sich im Bereich von 100 000 (St. Kitts und Nevis) bis 10 Millionen Franken (Österreich). Verlangt wird neben Liquidität ein guter Leumund – und im Karibikstaat Grenada: «Be healthy». Weitere Bedingungen bei diesen Citizenship-by-Investment-Programmen (CBI) sind der Kauf von Staatsanleihen, Investitionen in staatliche Entwicklungsfonds, Immobilienkäufe, der Erwerb von Firmen oder Firmenteilen, das Schaffen von Arbeitsplätzen. Beliebt ist der Pass von EU-Mitglied Malta. Dafür müssen 650 000 Pfund in einen Entwicklungsfonds fliessen und 150 000 Pfund in Staatsbetriebe. Die Staatsbürgerschaft gibts für den Familienanhang zum Discount-Preis: Für Ehefrau und Kind werden je 50 000 Pfund verrechnet.

Mr. Citizenship

Der Zürcher Christian Kälin, 47, ist Präsident von Henley & Partners. Sie ist Marktführerin beim Vermitteln von Staatsbürgerschaften und Aufenthaltsbewilligungen. Kälin absolvierte eine Banklehre bei von Ernst. Später studierte er Naturwissenschaften in Paris und Auckland und promovierte an der Uni Zürich in Recht. Vor ein paar Jahren zog er sich aufs Präsidium von Henley zurück. Er ist Teilhaber.

Christian Kälin
Quelle: Muir Vidler

Umgehen von Sanktionen gegen Iran

Transparency International schätzt, dass in den letzten 10 Jahren 6000 Pässe und 100 000 Aufenthaltsbewilligungen auf diese Art vergeben wurden. Das weckt Widerstand. Europas Kommissarin für Justiz, Konsumenten und Geschlechtergleichheit, Vera Jourova, sieht ihren Kampf gegen den Passhandel als Kampf gegen «Kriminalität, Geldwäscherei und Korruption». Im Visier hat die zupackende Tschechin vorab reiche Russen, die zu EU-Bürgern werden und im Schengen-Raum visumbefreit reisen dürfen. Noch schlimmer sind für Jourova jene Neo-Europäer, die bevorzugt mit «Golden Passports» aus Griechenland in der EU Fuss fassen und internationale Sanktionen ausbremsen. Zu ihnen gehört der gebürtige Iraner Ali Sadr Hashemi, der mit den Zusatzpässen aus Malta und St. Kitts und Nevis ausgerüstet ist. Letztes Jahr wurde er in den USA verhaftet, weil er illegal 115 Millionen Dollar aus Venezuela via eine Schweizer Bank in den Iran verschoben haben soll – und so, behaupten zumindest die Amerikaner, ihre Sanktionen gegen den Iran unterlaufen wollte.

Henley-Präsident Kälin hält freilich nichts von der Kritik aus Brüssel. «Die Aussagen zu Kriminalität und Geldwäscherei – das ist einfach Nonsens.» Die Analyse der EU ziele «total daneben», sei nicht fundiert. Und dass diese Investment-Immigration Kriminelle anziehe, sei absurd. Henley & Partners und andere Vermittler würden umfassende Background-Checks, Know-your-client-Abklärungen betreiben, Interpol-Datenabgleich inklusive. «Unsere Due Diligence übertrifft jene beim On-Boarding im Private Banking», ist er überzeugt. Nein, nicht die paar hundert, bestens geprüften «Economic Citizens» seien das Problem der EU, sondern die ins Uferlose steigende Zahl von Einbürgerungen. Richtig ist: 2017 erhielten 673 000 Ausländer einen EU-Pass, durch Heirat, Geburt oder Einbürgerung.

Oder durch korrupte Migrationsbeamte. Als Einfallstor gilt Bulgarien, das alljährlich Hunderte Pässe unter der Hand vergibt. Der jüngste Fall flog letzten Herbst auf, als eine Handvoll Migrationsbeamte Ukrainern und Serben mit gefälschten Dokumenten die begehrten EU-Pässe besorgten. Kostenpunkt je Staatsbürgerschaft: 5000 Euro. Eine mehr als laxe Einbürgerungspraxis, die Kälin gerne erwähnt, um Brüssels CBI-Kritik abzuschmettern. «Die EU sollte beunruhigt sein über jene Zehntausende pro Jahr, die Beamte in Süd- und Osteuropa schmieren, um an EU-Pässe zu gelangen.»

Doch so schnell wird er EU-Kommissarin Jourova nicht los. Sie will dem Passportverkauf den Garaus machen oder diesen zumindest einschränken. Ihr Problem ist indes viel gröber: Die Vergabe von Staatsbürgerschaften ist national geregelt, Brüssel kann nur empfehlen oder auf gemeinsame Standards pochen. Doch es will sich keine Regierung dreinreden lassen, schon gar nicht beim sprudelnden Geschäft mit den «Golden Passports». Da kennt sogar das rührige EU-Mitglied Österreich kein Pardon. Bei der letzten europaweiten Analyse wurde Wiens Passhandel ausgespart – weil die Anforderungen an die Antragsteller «völlig willkürlich» («fully descretionary») seien und die nötigen Investitionen für einen Pass «nicht spezifiziert» würden.

Schweiz: Steuerlücke für Reiche

Staaten streiten sich weltweit um gute Steuerzahlende und drücken schon mal ein Auge zu, um eine Steuerpflicht zu begründen. Beim Kauf eines zweiten oder dritten Passes steht allerdings nicht die Steuerminimierung im Vordergrund. Denn eine Staatsbürgerschaft begründet noch keinen Steuersitz; dieser wird bestimmt durch den Lebensmittelpunkt. Ein Zypriot, der in Frankreich wohnt, ist in Frankreich steuerpflichtig. Hat er zwei, drei Wohnsitze, gilt der Hauptwohnsitz oder es wird über ein Doppelbesteuerungsabkommen eine Steuerausscheidung vorgenommen. Ausnahmen dieser Regel sind die USA, Eritrea und Vietnam. In diesen Ländern ist ein Bürger steuerpflichtig, auch wenn er im Ausland wohnt.

Wer einen Pass aus einem EU-, Efta- oder EWR-Land hat, geniesst als Pauschalbesteuerter in der Schweiz einen Bonus – dank bilateralen Verträgen, die ein Bleiberecht begründen. Der Kauf eines europäischen Passes zwecks Steuerersparnis ist unter Pauschalbesteuerten eine Ausnahme, wie Zahlen aus dem Kanton Zug zeigen. Die Pauschalbesteuerten stammen primär aus Russland, Brasilien, den USA, Japan, Australien und Kanada – nicht aus einem EU-Land.

Nicht nur die EU tut sich schwer, sondern auch die OECD. Zwar gäbe es für CBI-Programme durchaus legitime Gründe, doch sie könnten «potenziell missbraucht werden, um Vermögenswerte zu verstecken», warnt die Organisation. Allerdings hat die Steuerarbitrage wenig mit der Staatsbürgerschaft zu tun. Denn ein neuer Pass begründet noch lange keinen neuen Steuersitz, wie die Beratungsfirma EY im Bericht «Tax Residency and Citizenship» im März schrieb. Ohnehin würden seriös auf- und umgesetzte Citizenship-by-Investment-Programme keine internationalen Steuerstandards unterminieren (siehe Box unten links). Kälin sieht es logischerweise nicht anders. «Die Argumente der OECD sind hanebüchen», meint er. Citizenship habe «rein gar nichts» zu tun mit Steuern oder Steuerumgehung. Wahr ist indes auch, dass diverse Länder – auch die Schweiz – beim Anlocken von Multimillionäre mitunter sehr flexibel agieren und nicht immer auf eine Residenzpflicht pochen.

Um seinem Argument Nachdruck zu verleihen, tritt die Branche unter Kälins Führung die Flucht nach vorne an. Erklären, Image polieren, WEF-Auftritt, Podien organisieren. Für diese Knochenarbeit hat man den Investment Migration Council (IMC) in Genf gegründet. Die Vereinigung der Staatsbürgerschafts- und Residenzvermittler zählt derzeit 450 Mitglieder, darunter Henley & Partners, KPMG, BDO, PwC sowie Anwaltskanzleien aus London oder New York. Der IMC will Minimalstandards in die fragmentierte Branche tragen. Doch das Risiko sind nicht die Grossen, sondern die ungezählten lokalen Akteure, deren Geschäftssinn hoch und Qualitätsanspruch tief ist.

Millionen für den Staatsfonds

Kälin hat ein neues Argument gegen all die Kritiker gefunden. Es heisst Sovereign Equity. Und meint: Die Millionen aus den Citizenship-by-Investment-Programmen sollen zweckgebunden in Arbeitslosenprogramme, in den Schuldenabbau oder in Infrastrukturbauten fliessen. «In Dominica haben zwei Wirbelstürme Hunger und Elend hinterlassen, doch mit seinem Staatsbürgerschaftsprogramm konnte der Staat ein riesiges Wiederaufbauprogramm finanzieren», schwärmt er.

Besonders stark profitiert der Inselstaat Malta vom Passverkauf. Seit Einführung des CBI-Programms im Jahr 2014 sind 640 Millionen Euro in Staatsfonds und 120 Millionen in Staatsanleihen geflossen. Henley & Partners kassiert als Konzessionär der Regierung tüchtig mit. Bislang hat man umgerechnet 38 Millionen Franken eingestrichen, wie dem Jahresbericht 2018 zu entnehmen ist. Die Transparenz geht weiter: In der «Malta Government Gazette» werden alljährlich die neuen Staatsbürger begrüsst und alphabetisch geordnet aufgelistet – von Abdulhamid Abdullah bis Alsaled Ziyad. Auch die Steuerämter in anderen Staaten sollen sich für die Namen auf der Liste interessieren.

EU

Die Schweiz ist auf Platz Vier in Europa bei der erworbenenen Staatszugehörigkeit per 1000 Einwohner.

Quelle: Handelszeitung